Lobbyismus
in Deutschland
Fünfte Gewalt: unkontrolliert und einflussreich?
Fachtagung des
Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen in Kooperation mit der Bundeszentrale
für politische Bildung und der Heinrich-Böll-Stiftung Ort: Berlin, Heinrich-Böll-Stiftung
Termin: 24. - 26. Januar 2003.
Zur Tagung ist als Ausgabe 3/2003 ein Themenheft des Forschungsjournals erschienen. Inahltsangabe und weitere Informationen zu diesem Heft finden Sie hier.
Heute stellt
jede kleine Initiative und jedes Großunternehmen strategische Überlegungen
an, wie die eigenen Interessen am wirkungsvollsten zur Geltung gebracht
werden können. Für dieses Vorhaben bieten Lobbyisten - einzelne Personen
und Organisationen - ihre Dienste an. Sie sorgen dafür, dass die Interessen
ihrer Auftraggeber im Vorfeld politischer Entscheidungen im Raum der
Legislative und Exekutive ihre Wirkung entfalten. Impuls für diese Tagung
ist das Ungleichgewicht, dass auf der einen Seite der lobbyistische
Einfluss auf die Politik stetig zunimmt, während auf der anderen Seite
die sozialwissenschaftliche Durchdringung dieses Themenfeldes damit
nicht mithält.
Im
Mittelpunkt der Tagung stand daher die systematische Informationssammlung,
die Sichtung und Bewertung neuer Erkenntnisse von Praktikern und Theoretikern.
Die Tagung hat vor allem ausgelotet, wie lobbyistische Strukturen demokratischer
und transparenter gestaltet werden können. Sind neue Formen lobbyistischer
Interessendurchsetzung zu erkennen? Für die Fachtagung waren folgende
zehn Fragenkomplexe wichtig:
-
Wie arbeiten
Lobbyisten heute?Diese Frage richtet sich unter anderem auf
den Grad der Professionalisierung, den Lobbyisten heute erreicht
haben. Bestimmte Phänomene deuten darauf hin, dass es mit guten
Kontakten allein nicht mehr getan ist. Welche Rolle spielt heute
professionelle Politik-, Strategie- und Kommunikationsberatung für
das lobbyistische Handwerk? Anwaltsfirmen auf der europäischen Ebene
arbeiten anders als Verbandsfunktionäre der Spitzenverbände auf
dem Berliner Parkett.
-
Wie eng
arbeiten Politiker mit Lobbyisten zusammen? Auch die aus den
Verbänden kommenden Politiker, die in den Bundestag gewählt werden,
müssen sich über ihre neue Rolle klar werden. Sie sind nicht länger
nur der verlängerte Arm des Verbandes im Parlament. Politiker haben
einen besonderen Auftrag, der im Idealfall auch zur Ausbildung eines
rollenkonformen Verhaltens als Abgeordneter führt. Wie reagieren
Politiker konkret in Situationen, in denen sie lobbyistischer Interessenpolitik
gegenüberstehen?
-
Warum
scheuen Lobbyisten und ihre Kunden die Öffentlichkeit? Lobbyismus
vollzieht sich abseits öffentlicher Aufmerksamkeit, er ist unspektakulär
und diskret. Es gehört zu den professionellen Grundsätzen der Lobbyisten,
nicht die Scheinwerfer und Mikrophone zu suchen. Tun sie es dennoch,
wie im Fall Schreiber oder Hunzinger, so verstoßen sie gegen die
Diskretionsregeln, die sich die Branche selbst auferlegt hat. Welche
Gründe sprechen für diese Regeln?
-
Ist der
parlamentarische Betrieb auf (hilfreiche) Lobbyisten angewiesen?
Diese Frage richtet sich insbesondere an die Politiker, die im parlamentarischen
Betrieb lobbyistischer Interessenpolitik gegenüberstehen. Inwieweit
können Ausschüsse und Ministerien Wissen und Expertise mobilisieren,
um von Lobbyisten unabhängiger zu werden - oder sind Lobbyisten
auch eine Bereicherung und Hilfe bei schwierigen Entscheidungen?
-
Welchen
Einfluss haben Lobbyisten tatsächlich? Die Wirkung der Lobbyarbeit
ist in der Regel schwer zu bewerten, da sie sich zumeist jenseits
öffentlicher Aufmerksamkeit abspielt. Zudem sind die Einflussformen
so vielfältig und die Wirkungen so graduell, dass sich schwer genau
angeben lässt, inwieweit sich lobbyistische Interessen durchgesetzt
haben. Dennoch kann danach gefragt werden, wie weit bei konkreten
Entscheidungen - Riester-Rente, Atomkonsens, Gruppenfreistellungsverordnung
- Interessen von außen sich durchgesetzt haben.
-
Wie könnte
man Lobbymacht kontrollieren - wie kann Transparenz hergesellt werden?
Welche Möglichkeiten gibt es, mächtige Interessen daran zu hindern,
gemeinwohlschädigenden Einfluss auszuüben. Das Verbändegesetz, das
die FDP in den 1970er Jahren eingebracht hat, ist sang- und klanglos
gescheitert. Welche Möglichkeiten haben wir heute, gemeinwohlschädigendes
Verhalten zu sanktionieren und innerverbandliche Demokratie einzufordern?
-
Wird
die Demokratie durch die Macht mächtiger Lobbyisten ausgehöhlt?
Ihrem Anspruch nach sollen sich die Interessen der Bürger über die
Abgeordneten zu einem politischen Willen verdichten. Neben dem Willen
der Bürger gibt es in allen Demokratien mächtige und weniger mächtige
Interessengruppen, die den Gesetzgebungs- und Entscheidungsprozess
zu ihren Gunsten zu beeinflussen versuchen. Ab wann ist Lobbyismus
für die Demokratie schädlich oder ist er ein ganz normales politisches
Gestaltungsmittel?
-
Wie kann
Lobbyismus demokratisiert werden? Neben der Kontrolle geht es
auch um die Frage der Demokratisierung des Lobbyismus. Transparenz
ist sicher eine Antwort - aber vielleicht eine nicht zureichende.
Die Frage nach der Demokratisierung ist anspruchsvoller. Sie unterstellt,
dass sich Interessen auch öffentlich rechtfertigen sollen und rechnet
mit der Selbstaufklärung der Akteure. Inwieweit aber lassen sich
mächtige Interessen in einen Diskurs zwingen, in dem sie sich rechtfertigen
müssen?
-
Treten
"neue" Akteure des Lobbyismus auf den Plan? Erfahrungen in Brüssel
und auch in Berlin zeigen, dass sich zu den traditionellen Verbänden
neue Akteure gesellen: Anwaltsfirmen und Public-Affairs-Abteilungen
von PR-Agenturen und Unternehmensberatungen. Wie agieren diese Akteure,
die zumeist einen konkreten Auftraggeber haben und wie unterscheiden
sie sich von Verbandsfunktionären? Kommt mit diesen Akteuren mehr
Professionalität in den Lobbyismus?
-
Können
soziale Bewegungen das Instrument für ihre Zwecke nutzen? Soziale
Bewegungen sind, von ihrer Organisationsstruktur und ihrer Weise,
sich im politischen Raum bemerkbar zu machen, nicht unbedingt auf
Lobbyismus angewiesen. Angesichts der Veränderungen und der zunehmenden
Artikulationsfähigkeit auch schwacher Interessen muss dennoch genauer
untersucht werden, wie soziale Bewegungen die neuen Instrumentarien
nützen.
Programm
Freitag, 24.
Januar 2003
Begrüßung
Thomas Krüger, Bundeszentrale für politische Bildung
Einführung
Prof. Dr.
Thomas von Winter, Berlin:
Lobbyismus: Forschungsstand und politische Realität
Kommentare
von:
Reinhold Kopp,
Generalbevollmächtigter und Leiter Regierungsbeziehungen Volkswagen
AG
Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich Böll Stiftung
Moderation: Corinna Emundts, Frankfurter Rundschau - Büro Berlin
Samstag, 25.
Januar 2003
Internationale
Erfahrungen mit Lobbying
Prof. Dr.
Martin Thunert, Universitiy of Michigan
Dr. Silvana Koch-Mehrin, Conseillé+Partners, Brüssel
Moderation: Eva Haacke, Wirtschaftswoche
Dr.
Claus Giering, CAP München
Lobbying in der EU. Zwischen Politikberatung und Politikbeeinflussung
in Brüssel
PD Dr. Christian
Lahusen, Bamberg
Lobbying in der EU
Moderation: Dr. Rudolf Speth
Im Disput:
Die Soziallobby in Deutschland - Kritik und Alternativen
Dr. Jürgen Borchert, Richter am Hessischen Landessozialgericht
Prof. Dr. Karl Lauterbach, Institut für Gesundheitsökonomie,
Universität Köln
Moderation: Rainer Pörtner, Berliner Zeitung
Kommunikation
ist Alles - Das Einflussfeld der public affairs-Büros in Berlin
Dr.
Hans Bellstedt, Plato Kommunikation, Berlin
Dr. Inge Maria Burgmer, Burgmer Managementberatung, Berlin
Dr.
Kornelius Kleinlein, Linklaters & Alliance, Berlin
Moderation: Hans Hütt, Arens & Behrent, Berlin
Festveranstaltung
15 Jahre Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen
Bewegung, Reform, Protest - Blockaden und Veränderungen
Prof. Dr. Joachim Raschke
Sonntag 26.
Januar 2003
NGOs: mit
wenig Mittel viel erreichen
Dr. Ulla Mikota, Geschäftsführerin, Verband Entwicklungspolitik
Deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. (VENRO)
Dr. Hansjörg
Elshorst, Vorsitzender von Transparency International - Deutschland
Dr.
Joachim Schabedoth, DGB
Heinz Laing, Greenpeace
Moderation: Dr. Helga Lukoschat, Geschäftsführerin Europäische
Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft
Lobbying
zwischen legitimer Interessenvertretung und unkontrollierter Beeinflussung
Armgard von Reden, IBM
Heinrich
Timmerherm, Bevollmächtigter des Vorstandes BMW AG, Leiter Konzernbüro
Berlin
Karlheinz Maldaner, Konzernbeauftragter Deutsche Telekom AG,
Politik und Regierungsangelegenheiten, Berlin
Hartmut
Bäumer, Bridges Consulting Public Affairs & Management
Moderation: Dr. Ursula Weidenfeld, Der Tagesspiegel |