Zusammenfassungen der Tagungsbeiträge Fremdes in fremden Sprachen

Brigitte Jostes (Berlin)
Fremdes als Gegenstand des vergleichenden Sprachstudiums:
Methoden, Probleme und Perspektiven

Stellt man das Sprachliche als eine Art Trivium von Sprechen im allgemeinen (1), Einzelsprachen (2) und Texten (3) dar, so ergeben sich auch für "Sprachwissenschaftliche Annäherungen" diese drei Perspektiven auf ein im Zentrum stehendes "Schlüsselwort".

In Bezug auf die einzelsprachliche Ebene (2) zeigt die Polysemie des deutschen Adjektivs fremd die Grenzen einer traditionellen Wortfeldbeschreibung auf. Denn bei der notwendigen Relativierung auf einen Aspekt erhält man mehrere Wortfelder, deren Zusammenhang nicht deutlich gemacht werden kann. Mit der Einbeziehung kognitiv ausgerichteter Semantikforschung (1) - insbesondere des Frame-Begriffs - läßt sich nicht nur das Phänomen der Polysemie besser erfassen, auch die Probleme des Tertium comparationis des Sprachvergleichs werden so systematischer beschreibbar. Der Begriff "Schlüsselwort" (der mit Matoré eigentlich durch mot-témoin ersetzt werden sollte) verweist dann auf die Ebene der Texte (3), die über die individuelle Ebene hinaus Text- oder Diskurstraditionen (3a) ausbilden: Das Vokabular eines Diskurses, in dem Schlüsselbegriffe Schlüsselrollen spielen, ist mit seinen Paradigmen natürlich vom einzelsprachlichen Lexikon zu unterscheiden.

Nachgegangen wird der These, daß verschiedene Aspekte der Fremdheit auf allen drei sprachlichen Ebenen gefunden werden können, d.h. artikuliert werden. Die Verbindung etwa von Fremdheit und Wunder, wie sie aufgrund einer lautlichen Ähnlichkeit im Russischen auf der einzelsprachlich lexikalischen Ebene hergestellt wird, beschreibt Stephen Greenblatt auf der Ebene der Texte, in denen die ersten Kontakte mit der Neuen Welt repräsentiert werden. Auch die Verbindung von Fremdheit und Subjektivität läßt sich auf den verschiedenen Ebenen nachverfolgen: Während auf der lexikalischen Ebene in den betreffenden Wortfeldern Subjektivierungsprozesse nachgewiesen werden können, läßt sich auf der Ebene der Texte immer wieder der Wechsel von objektivierender Beschreibung und subjektiver Reaktion angesichts des Fremden beobachten, der etwa von Greenblatt als Wechsel der Repräsentationspraxis vom Wunder zur Verwunderung beschrieben wird. Diese sich manifestierende Subjektivität ist natürlich auf die Ebene des Sprechens im allgemeinen zu beziehen: Es ist immer ein sprechendes Subjekt, das die Fremdheit artikuliert.

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Bernhard Waldenfels
Das Phänomen des Fremden und seine Spuren in der klassischen griechischen Philosophie

Ich gehe in meinem Beitrag von der semantischen Trias aus, die das Deutsche nahelegt: 'Fremdes' als Auswärtiges, als anderen Gehöriges, als Fremdartiges. Hierbei stellen sich eine Reihe von Fragen: 1. Wie hängen diese Bedeutungsvarianten zusammen? 2. Kommt einer von ihnen ein Privileg zu? 3. Welchen Charakter haben die entsprechenden Kontraste: inwärtig - auswärtig; eigen - fremd; vertraut - fremd. Handelt es sich um Position und Negation (Privation), so daß dasselbe in positiver und negativer, in starker und schwacher Form auftritt, oder gibt es hier einen Urkontrast, dessen Differenz unüberbrückbar ist? 4. Wie ist die entsprechende Grenzziehung zu denken? als bloße Abgrenzung oder als Ein- und Ausgrenzung? In meinen phänomenologischen Analysen der Fremderfahrung (siehe Topographie des Fremden) vertrete ich eine starke Theorie des Fremden, in der der Ortsaspekt, der Urkontrast, sowie die Ein- und Ausgrenzung den Vorrang genießen.

Die Behauptung, daß in der klassischen Philosophie eine radikale Form der Fremdheit nicht zu finden ist, möchte ich überprüfen, indem ich einige signifikante Fragekomplexe herausgreife: das Gute als fremdes und eigenes Gut; der Freund als anderes Selbst; der ethisch-politische Status des Gastes; der ungewohnte Sprachgebrauch; das Verhältnis von Anderem und Fremdem. Den sprachlichen Hintergrund bilden die Wortbegriffe xenon, allotrion, heteron und ihre Kontrastbegriffe, wobei der Zusammenhang von oikeios ('eigen', 'heimisch') und oikos besondere Aufmerksamkeit verdient. Falls sie Hypothese stimmt, daß ein radikal Fremdes in der klassischen Philosphie nicht zu finden ist, so stellt sich nicht nur die Frage nach den Gründen, sondern auch die nach den Spuren seines Verschwindens.

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Fritz Hermanns (Heidelberg und Bayreuth)
Barbar, Prolet, Heide, Kommunist, Neger und Jude. Zur Konstitution von Fremdheit mittels sprachlicher Etikettierung

Fremd ist in der deutschen Umgangssprache heute offenbar nicht mehr das Wort, mit dem man Menschen aus der jeweils eigenen Gruppe als nicht-zugehörig ausgrenzt. Man bezeichnet sie spezifischer z.B. als Ausländer, als Aussiedler, Gastarbeiter oder Asylanten, diffamierend als Polacken, als Kanaken oder Bimbos, scherzhaft und, so scheint mir, oft nicht ohne Sympathie, als Zugereiste, Ossis, Wessis, Amis usw., prima vista wertneutral etwa als Afrikaner, Asiaten, Italiener, Griechen, Spanier, Türken, Sachsen, Bayern, Schwaben usw., wozu aber anzumerken ist, daß scheinbar wertneutrale Namen wie die letztgenannten in den Sprachgebräuchen von bestimmten sozialen Gruppen durchaus auch in hohem Maß wertend und affektiv besetzt sein können. Unterschiedlich- je nach Sprechergruppe - stark kann in all diesen Namen mitgemeint sein und zum Ausdruck gebracht werden, was die "Fremdheit"ausmacht: Jemand gehört nicht zu uns, zu unserer Gruppe, er / sie ist nicht wie wir, sondern "anders" und verhält sich und denkt nicht so wie wir. Und auch: er / sie ist hier fehl am Platze, er / sie sollte hier nicht sein und daher sollte er bzw. sie von hier verschwinden. Dann sind diese Namen Hyponyme von fremd.

In dem Vortrag, den ich halten möchte, soll es erstens um Kriterien (Eigenschaften) gehen, aufgrund derer Menschen (Menschengruppen) als "fremd", als nicht "wie wir" aus der jeweiligen Eigengruppe herausdefiniert wurden und werden. Historisch immer wieder wichtige Kriterien dafür sind Sprache ("Barbar"), sozialer Status ("Prolet"), Glaube oder politische Überzeugung ("Heide" und " Kommunist"), physiologische Merkmale wie besonders die Hautfarbe ("Neger"). Allerdings ist zu vermuten, daß ein einzelnes Kriterium der Ausgrenzungkaum je allein bleibt. Den "Barbaren", den "Proleten" usw. werden regelmäßig zusätzliche Eigenschaften zugeschrieben, die sie in noch anderer Hinsicht als "fremd" erscheinen lassen, als dies durch die Art der Namensgebung angezeigt wird. Insbesondere dürfte immer die (wenn oft auch nur, was wirklich wichtige Besonderheiten anbetrifft, vermeintlich) andere Kultur der ausgegrenzten Gruppe (als Gesamtheit von deren Denk-und Verhaltensweisen) bei ihrer Fremdsetzung eine Rolle spielen. Prototypisch "fremd" im Sinne der Zuschreibung einer Kombination vieler "fremder" Eigenschaften waren in Europa wohl "die Juden".

Zweitens möchte ich herausarbeiten und, so gut es geht, an Beispielen auch nacherlebbar machen, wie mit Namen, die für "fremde" Menschen und Personengruppen gebraucht werden, nicht nur (real oder nur vermeintlich) erkennbare Eigenschaften (Bilder, Wahrnehmungen, Kognitionen) einhergehen, sondern auch Gefühle (Emotionen) und Wollungen (Volitionen, Intentionen). Überhaupt, so meine ich, sind Wörter die Vehikel der Mitteilung nicht nur unseres Denkens, sondern ebenso auch unseres Fühlens sowie unseres Wollens. Das mentale, psychische Äquivalent der Wörter, wie wir sie täglich verwenden, sind nicht, wie in Philosophie sowie Linguistik oft gemeint wird, bloße "Vorstellungen", "Ideen" und "Begriffe", sondern ganze "Einstellungen" ("Attitüden"), wobei diese die "Ideen", die wir uns von Dingen, Sachverhalten und Personen machen, in sich einbegreifen. Dies zeigt sich vielleicht besonders deutlich an Bezeichnungen für "fremde" Menschen und Personengruppen.

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Mahamane L. ABDOULAYE und Elhadj Ari AWAGANA (Leipzig)
Verhaltensweisen gegenüber dem Fremden durch vier nigerische Sprachen:
Hausa, Fula, Kanuri, Zarma

Viele Autoren, die über afrikanische Gesellschaften geschrieben haben, sprachen von einer legendären afrikanischen Gastfreundschaft. So Diawara (unveröff. Dokument, S.12), der vor kurzem ausführte: "Cela [sich um eine einsame Person zu kümmern] est d'autant plus obligatoire que l' intéressé est un étranger, donc quelqu'un que la société a le devoir de soigner, de protéger".

In diesem Beitrag werden wir versuchen, diese Hospitalität im nigrischen Sahel durch die Semantik des Wortes "fremd" in vier Sprachen zu verfolgen, und zwar in Hausa, Kanuri, Zarma und Fula. Nach einer einleitenden semantischen Beschreibung möglicher Äquivalente von dt. fremd in den vier Sprachen, werden wir eine kontrastive Studie mit europäischen Sprachen ausführen. In diesen Sprachen wird z.B als fremd bezeichnet, wenn eine Person bzw. Sache sich nicht an seiner ursprünglicher Platz befindet, d.h. diese Person ist mir "fremd", weil sie bei mir an meinem "Wohnsitz" ist, also eher "Gast" als "Ausländer". Das Hausa-Wort bàaKoo bedeutet 'Gast', 'Neuankömmling' oder --für Sachen-- 'Neue' ). Der Fremde, der nicht anwesend ist, ist kein bàaKoo und wird meist mit verschiedenen Wörtern oder Redewendungen bezeichnet (wie 'Andere', 'von Außen', 'Unbekannte', etc.). Ferner wird darauf eingegangen, wie man solche Wörter in Redewendungen, Sprichwörtern usw. benutzt, um die positiven sowie die negativen Implikationen herauszuziehen. Schließlich wird nach den metalinguistischen Verhältnissen der Muttersprachlern gefragt, um die Begriffe, die haüfig mit dem Wort verbunden sind, zu erfassen. Das Verfahren, das in Befragung der Sprecher besteht, um ihre eigene Wörtererklärungen zu geben, ist schon eine seit langem etablierte Methode in den US-Ethnolinguistics und weist darauf hin, daß diese in der Lage sind, viele lexikographische Techniken zu nutzen, um Wörter zu erklären (z. B. durch die Benutzung von anderen Wörtern, mit Beispielen, etc., cf. Kaba 1979).

Wir hoffen dabei, daß diese vier Sprachen die historischen sowie die kulturellen Ähnlichkeiten mit den übrigen Sahel-Völkern aufweisen können. Sie sind einige von den am meisten verbreiteten Sprachen in dieser Zone. Das Hausa ist die "erste" oder "zweite" Sprache von etwa 50 Millionen Afrikanern (Wolff 1990), hauptsächlich in Nigeria und Niger, aber auch in der Diaspora im gesamten Westafrika und nach Osten in Zentralafrika bis zum Sudan hinüber verbreitet. Die Hausa leben als Bauern vor allem vom Hirseanbau und sind sehr bekannt als Händler, dies ist der Grund für die Verbreitung ihrer Sprache. Kanuri ist dagegen eine regionale Verkehrsprache und wird um den Tschadsee in vier Ländern gesprochen (Niger, Nigeria, Tschad und Kamerun). Die Anzahl der Sprecher liegt zwischen 4 und 6 Millionen (Cyffer 1997). Die Kanuri sind ebenfalls Bauern und gelten als Korangelehrte und bildeten in den vergangenen Jahrhunderten eine zentralisierte Macht aus, die die Kultur der anderen Völker in der Region prägte (Barth 1862). Zarma ist eine Dialekt der Sprache der Songhai, die im 16. Jahrh. ein großes Königreich gleichen Namens in der Nigerflußkrümmung gründeten. Sie wird heute von etwa 3 Millionen Menschen am Ufer des Nigerflusses gesprochen und zwar in Niger, Mali und Benin. Neben Hirseanbau leben die Zarma von Fischerei und Gärtnerei. Das Fula ist die Sprache des Nomadenvolkes Fulani (Fulbe) und verbreitet sich von Senegal bis zum Sudan und wird von etwa 16 Millionen Sprechern in 20 Länder gesprochen. Sie sind vor allem Viehzüchter und prägten im Laufe der Geschichte die gesamte Region als Staatsgründer, obwohl ihre Sprache weniger gebraucht wird, als ihre Präsenz in diesem Raum vermuten ließe.

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Wilfried Nippel
Griechen und Barbaren

- Die Griechen waren disponiert für eine differenzierte Wahrnehmung fremder Kulturen, sie kamen mit einer Vielzahl höchst unterschiedlich strukturierter Gesellschaften im gesamten mittelmeerisch-vorderorientalischem Raum zusammen, die von den Hochkulturen der Ägypter, Perser, Phönizier über Thraker, Skythen, Kelten bis zu nordafrikanischen, arabischen, indischen Völkerschaften reichten. Der frühe Barbarenbegriff, der alle nicht-griechich sprechenden Völker, ungeachtet ihrer großen Unterschiede meinte, war nicht peiorativ besetzt.

- In die Reflexion über fremde Völker, die sich aus praktischen Bedürfnissen ebenso wie aus theoretischer Neugier speist, mischt sich von Anfang an ein fiktives Element: an die Randzonen der bewohnten Welt projeziert man Völker, die ganz anders sind.

- In den ethnographischen Partien des Geschichtswerks Herodots aus dem letzten Drittel des 5. Jh.v.Chr. zeigt sich eine ausgeprägte theoretsiche Neugier an der Vielfalt gesellschaftlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Auffällig ist die Konzentration auf die jeweils beschreibbaren Rituale, das Ausklammern von Werturteilen, die Respektierung auch extrem befremdlicher Sitten als Ausdruck einer bei den jeweiligen Völkern geltenden Ordnung.

- In der weiteren Diskussion im 5. und 4. Jahrhundert verschränkt sich der ethnographische Diskurs mit der Reflexion über die Grundlagen der eigenen Gesellschaftsordnung und möglicher Alternativen zu ihr. Die Verbindung von Selbstdefinition und Fremdbeobachtung zeigt sich darin, daß man Barbaren für die Verkörperung eines Kulturzustands nimmt, den auch die Griechen selbst einmal durchlaufen hätten.

- Der Barbarenbegriff hatte sich bei den Griechen infolge der Perserkriege politisch aufgeladen. Das Selbstbewußtsein speiste sich aus dem Sieg über die orientalische Despotie. Dieses Überlegenheitsgefühl wurde namentlich im 4.Jahrhundert in die Rechtfertigung von Eroberung und Versklavung umgebogen; so in der Theorie von den Barbaren als Sklaven von Natur.

- Die Ausdehnung des Erfahrungsraums durch das Alexanderreich, später das römische Imperium, führt nicht zu einer empirisch gesättigten Ethnographie, eher ist das Gegenteil der Fall. Die Phantasieprodukte der älteren Tradition, die Herodot zum größten Teil ignoriert hatte, leben wieder auf.

- Die Topoi der antiken Ethnographie sind Bestandteil der europäischen Kultur geworden. Der Barbarenbegriff als "asymmetrischer Gegenbegriff" konnte immer wieder neu besetzt werden. Erfahrungen fremdartiger Kulturen wurden mit den Stereotypen der antiken Tradition verarbeitet; dabei ging es zugleich um die Rechtfertigung europäischer Kolonialsherrschaft.

- Die neuzeitlichen Theorien über die Entwicklung menschlicher Zivilisation von der französischen und schottischen Aufklärung bis zu den großen ethnosoziologischen Werken des 19. Jahrhunderts griffen immer wieder auf die antike Überlieferung zurück, um die generelle Abfolge von Kulturzuständen zu rekonstruieren, bei der dann die rezenten Primitiven die Stufen vor der antiken Zivilisation reüräsentieren sollten. Die Bewertung der antiken Quellen erfolgte auf Grund von Sachkritik und ethnographischen Parallelen. Nicht gestellt wurde die Frage, welche Mischung von Empirie und Theorie, Autopsie und Tradierung literarischer Topoi, Verständnis fremder Kulturen und Ethnozentrismus in einem jeweils wechselnden Mischungsverhältnis hinter den Aussagen antiker Autoren standen.

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Hans Grünberger:
Barbaren im Diskurs der Humanisten des 16.Jahrhunderts

Im lateinisch gehaltenen Diskurs der Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts rücken die Barbaren zusammen. Die hierbei gängigen Attribute des Barbaren als auch des Barbarischen hat gegen Mitte des 16. Jahrhunderts der Navarrese Jean Texier (um 1500 - um 1560) kollationiert und auf die Sphären von 'Zivilisation', Norm und Gesetz als auch sozialen Umgang focussiert. Die Verletzungen dieser Sphären lassen so auf Barbarei schließen. In der poetologisch-topologischen Kollation des Texier kulminieren die aufgelisteten Regelbrüche schließlich in der Gleichsetzung des Barbarischen mit dem Unmenschlichen. Entsprechend weniger bezeichnen die Humanisten ferne, fremde und wilde Völker als Barbaren sondern orten sie vielmehr als negativ vertraute Nachbarn im Hause des christlichen Europas.
So haben denn im 15. Jahrhundert vor allem die italienischen Humanisten um Enea Silvio Piccolomini, dem nachmaligen Papst Pius II., unter Vorgabe der in der Germania des Tacitus enthaltenen Attributionen von zeitgenössischen Barbaren gesprochen und geschrieben und dabei den Begriff und Zuschreibungen des Barbaren wiederbelebt, indem sie ihn in langen vorwurfsvollen Traktaten gegen die 'Deutschen' des Römischen Reichs gerichtet haben, die mitunter mit den Barbaren schlechthin gleichgesetzt wurden
Die so Angegriffenen bedienten sich ihrerseits zweier bevorzugter Betrachtungsweisen, die ich exemplarisch herausgreife
(1) Zunächst tritt, verschärft im Verlauf der Nationalisierung und Konfessionalisierung Europa seine dezidiert polemische und schließlich dominante Betrachtungsweise auf, die sich die Abgrenzung als einer vollständigen Ausgrenzung zum Zwecke ihrer Darstellung nimmt. Die ausgrenzenden Darstellungen focussieren sich um Topos und Attribute des Barbaren der jeweils anderen Nation und/oder Konfession. Hingegen wird im Sinne asymmetrischer Begriffsbildung (Koselleck) die eigene Nation/Konfession entbarbarisiert, wohingegen die Auswärtigen und vor allem auch alle diejenigen, die nicht sesshaft und damit ohne 'nationale' und ohne territoriale Zugehörigkeit sind,'Barbaren' sind und bleiben. Die Leitdifferenz von Eigenem und Fremden bemisst sich nach der Differenz gedachter nationaler und/oder konfessioneller Gemeinschaften. Hierbei wird die Terminologie des Fremden, wie sie ehedem Isidor von Sevilla kompiliert hatte als Differenzierungshilfe beigezogen. Als typisch ist hier zu skizzieren die Idee des Barbaren bei Franciscus Irenicus (1497-1554) (protonational), Andreas Althamer (1498­1539?) und Nicolaus von Amsdoff (konfessionell).
(2) Dann aber finden sich neben diesen ausgrenzenden Erörterungen Ansätze einer signifikanten Minderheit von Humanisten, die einer 'Entbarbarisierung desBarbaren' (M. Schneider) das Wort reden. Diese betrachten im Anschluss an das spätantik/frühchristliche ordo-Denken die Verhaltensordnungen unter einer gleichsam auctorialen Perspektive einer gottgewollten und ­geschaffenen Schöpfungsordnung und sammeln sie sine affectu. Auf diese Weise bleiben die als Fremde und Barbaren Ausgestossenen und Ausgeschlossenen im Diskurs dennoch in eben diese Ordnung integriert. Anhand der Komparatistik des Johannes Boemus (fl. 1480-1535) von 1520 und vor allem des Sebastian Franck (1499­1541) kann dieses Argumentationsmuster sinnfällig werden. Franck erhält hier besonderes Gewicht, da er den Diskurs ins Deutsche überträgt und sich somit an ein breiteres, wenn auch jetzt 'national' begrenztes Publikum wendet.
An der Argumentation des Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486-1535) lässt sich eine gleichsam radikalste Position verdeutlichen. Bei Agrippa kann bereits eine im Sinne vergleichender Betrachtungsweise ermittelte Ubiquität der verhandelten Stereotypen angenommen werden, die einer Aufhebung des Barbarenvorwurfs gleichkommt. Hier wird als vornehmlicher Parameter ein quasi universalistisches Verständnis von einer 'Menschhheit' nahegelegt. Angewandt wird dieser Diskursstil jedoch nur beschränkt: Entbarbarisiert erscheinen vor allem die Barbaren Europas insoweit als die vorherrschenden Stereotypen des Barbarentopos, so sie denn auf die christlichen Völker und Nationen angelegt sind, als ubiquitär erkannt werden. Hierdurch stellt sich eine Aufhebung des Barbarenmotivsein.

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Thomas Bauer (Erlangen)
Fremdheit in der klassischen arabischen Kultur und Sprache

Die Angehörigen der urbanen islamischen Gesellschaft der Vormoderne, von der hier die Rede sein soll, brachten fremden Völkern und Kulturen nur ein sehr mäßiges Interesse entgegen. Überdies macht die Vielrassigkeit und Vielsprachigkeit der auf der egalitären Religion des Islam beruhenden Zivilisation eine Abgrenzung "fremd" vs. "eigen" ohnehin schwierig. So werden im Schrifttum zwar zahlreiche Termini verwendet, die eine Gruppe Anderer den Eigenen aufgrund eines bestimmten Merkmals gegenüberstellen ("Muslime" vs. "Ungläubige", "Araber" vs. "Nichtaraber", "Seßhafte" vs. "Beduinen" etc.), doch konnotiert keiner dieser Begriffe eine über das unmittelbar bezeichnete Merkmal hinausgehende Fremdheit. Die "Fremden" treten als ein den "Eigenen" gegenüberstehendes Kollektiv nicht in Erscheinung. Bei allen Vorurteilen gegen Ungläubige, Schwarze, Beduinen etc. existiert kein Begriff, der die Gesamtheit der Fremden als "Barbaren" etc. zusammenfassen könnte. Auch fehlt jeder semantische Zusammenhang zwischen Wörtern für "Fremde" und "Feinde".

Dennoch ist "Fremdheit" ein im arabischen Schrifttum häufig behandeltes Thema. Im Vordergrund steht allerdings die Verarbeitung des subjektiven Erlebens der Fremdheit, d.h. die Erfahrung der Trennung vom sozialen Kollektiv der Familie und der Freunde infolge Reise, Auswanderung oder Flucht. Es war diese Vorstellung, die mit dem Wort "fremd, Fremder" (gharib) als erstes verbunden wurde. Dabei wurde das Leben in der Fremde (ghurba) überwiegend negativ empfunden. Der Tod als Fremder, unbeweint von Angehörigen und Freunden, galt als besonders schweres Schicksal und wurde dem Märtyrertod gleichgesetzt. Gerade im religiösen Bereich gewann man der Fremdheit aber auch positivere Seiten ab, wenn die identitätsstiftende Funktion von Fremdheit betont wird. So empfindet sich der Fromme als Fremder inmitten seiner gottvergessenen Zeitgenossen, und das Prophetenwort "Der Islam begann als Fremder und wird als Fremder enden" bot viel Stoff zum Nachdenken über die "Unbehaustheit" des Menschen im Diesseits.

Auch andere Verwendungsweisen des Wortes gharib spielen sich im kulturinternen Bereich ab. So wird in der arabischen Sprachwissenschaft ein schwerverständliches, der Kommentierung bedürfendes Wort als gharib bezeichnet. Bücher, die Gharib al-Qur'an "Fremdartige Wörter im Koran" betitelt sind, zeigen, daß Fremdes auch inmitten des Allereigensten gefunden wurde. Jenseits der subjektiven Perspektive des persönlichen Fremdheitserlebnisses gewinnt der Terminus gharib eine zunehmend positivere Konnotation, und die Faszination durch das Fremde tritt hervor. Bei der Bezeichnung von Gegenständen oder literarischen Erzeugnissen umfaßt die Bedeutungspalette von gharib Nuancen wie "fremdartig, seltsam, wunderbar, erstaunlich, neuartig, interessant, originell, einzigartig". Doch macht "Einzigartigkeit" einsam. Der als gharib gepriesene Herrscher oder der sich selbst als gharib empfindende Gelehrte ist zur Distanz von den übrigen Menschen verurteilt.

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Viktoria Eschbach-Szabo:
Das Fremde auf der fernen japanischen Insel

Die Geburt des Namens, den die Japaner für sich selbst verwenden, Nihon-Nippon 'Sonnenursprung', geschah nach chinesischen Chroniken um 670 in China, wo japanische Studenten die damalige Bezeichnung für Japan Wo 'Land der Berge, Buckligen' abzulehnen begannen und behaupteten, daß Japan direkt dort liegt, wo die Sonne aufgeht. Der weitere Ablösungsprozeß von der eigenen und fremden chinesischen Kultur, der besonders von den Vertretern der Kokugaku 'Landeswissenschaft' vom 17. bis zum 19. Jahrhundert vorangetrieben wurde, führte zu der verstärkten Entfernung Japans von der nunmehr feindlichen und fremden Kultur. Ausgehend von dieser Zeit werden verschiedene Bezeichnungen für Konzepte für fremd erstens im Sinne für den Ort, für das, was außerhalb des eigenen Bereichs liegt, zweitens für den Besitz, das, was anderen gehört, und drittens das, was von anderer Art ist: adashi, betsu no, gai, hoka no, koto, omote, soto, ta no, tôdoshi, utoshi, yosoyososhi semantisch diskutiert. Im weiteren beschäftigen wir uns mit Veränderungen des Wortfeldes des Fremden und mit Veränderungen der Sprach- und Länderbezeichnungen am Ende des 19. Jahrhunderts, an dem Wendepunkt zum westlich geprägten Fremden, das nun wieder Teil des Eigenen wird. Die semantische Analyse der Adjektiva wird in die Moderne fortgeführt, in der Japaner einerseits eine extrem starke kulturpsychologische Unterscheidung zwischen dem Bereich des Eigenen und des Fremden zwischen uchi 'innen' und soto 'außen' nachgesagt wird und andererseits durch die intensive Diskussion der Internationalisierung der Gesellschaft kokusaika neue Konzepte des Eigenen und des Fremden aufkommen.

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Ekkehard König / Peter Siemund (Berlin)
Identität und Alterität. Lexikalische, grammatische und kognitive Oppositionen

Fremdes läßt sich immer nur als Gegensatz zum Eigenen begreifen. Typischerweise bieten Sprachen diverse Lexeme an, die es möglich machen, zwischen der einem Subjekt zugehörigen und einer ihm nicht zugehörigen Sphäre zu unterscheiden. Ausdrücke zur Kennzeichnung von Identität wie dt. selbst und eigen erlauben es, Elemente aufgrund von gemeinsamen Eigenschaften zu einer Menge zusammenzufassen. Diesen gegenüber stehen Ausdrücke wie fremd, verschieden, anders, die Alterität bezeichnen, also disjunkte Mengen produzieren und Identität ausschließen. Gemeinsam ist beiden Gruppen von Ausdrücken, daß es sich um relationale Begriffe handelt. Eigenheit und Fremdheit wird immer mit Hinblick auf einen Bezugspunkt interpretiert, wobei fremd allem Anschein nach genau die Komplementärmenge zu eigen bezeichnet. Eine weitere Gemeinsamkeit dieser Ausdrücke besteht darin, daß man im Deutschen systematisch zwischen einer referentiellen (der eigene/andere Mann) und einer attributiven Verwendung (der Mann ist eigen/anders) unterscheiden kann.

Ziel unseres Beitrags ist es, eine systematische Aufarbeitung der Semantik von Ausdrücken für Identität und Alterität zu liefern. Diese Systematik bildet die Grundlage für weiterführende Überlegungen zur Beschreibung von Ausdrücken, die von fremd, selbst und eigen abgeleitet sind (das Fremde, das Eigene, das Selbst, eigentlich, eigens, etc.), für die Untersuchung von Wortbildungsprozessen, an denen diese Ausdrücke beteiligt sind (Fremdkapital/Eigenkapital, Selbstbezichtigung) sowie für die Aufklärung des Zusammenhangs von Identität, Alterität und Reflexivität (sich selbst, Selbstbetrug).

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Norbert Boretzky (Bochum)
Eigenes und Fremdes im Romani

Da die Roma als Minderheiten in anderen Gesellschaften leben und immer mit Ausgrenzung und Verfolgung zu rechnen haben, sollte es für sie von besonderer Bedeutung sein, das Fremde und die Fremden speziell zu bezeichnen. Ein altes Wort für 'fremd' im allgemeinsten Sinne gibt es jedoch nicht, und Lehnwörter werden m.W. für diesen Begriff auch nicht gebraucht. Es ist jedoch ein anderes lexikalisches Verfahren vorhanden, um Eigenes und Fremdes voneinander zu unterscheiden: Rom und adj. romano sowie einige weitere Wörter beziehen sich nur auf Roma/Zigeuner, während gadzo und adj. gadzikano sowie weitere Ausdrücke nur "Nichtzigeuner" bezeichnen. Es kommen weitere Verfahren der Differenzierung hinzu. In einzelnen Dialekten haben sich terminologische Verschiebungen ergeben, im allgemeinen funktioniert die sprachliche Abgrenzung aber überall ähnlich.

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Johannes Niehoff-Panagiotidis (Freiburg)
Fremde Schriften - fremde Sprachen in Südosteuropa

Auf den ersten Blick scheint in der traditionellen Kultur Südosteuropas ein schwer zu bewältigendes Chaos zu herrschen, welches sich nur schwierig, wenn überhaupt, explikativ ordnen läßt: Der unbeteiligte Beobachter hat den Eindruck einer völlig unübersichtlichen Situation, deren Komponenten irgendwie mit Sprache, Religion, Akkulturation etc. in Verbindung zu bringen sind. Erschwert wird die Erfassung dieser kulturellen Gemengelage v.a. durch die Wahrnehmung verschiedener Gruppen, die andere Gruppen regelmäßig als "fremd" einstufen. "Fremd" bedeutet dabei zumeist auch entgegengesetzt, feindlich, in ewiger Gegnerschaft befindlich. Ist etwa das Serbokroatische bis 1992/93 eine Sprache gewesen, der heute drei Sprachen - Serbisch, Kroatisch, Bosnisch - gegenüberstehen, drei Sprachen, die sich v.a. als "fremd" gegenüber den nächtsverwandten Idiomen abzugrenzen bemüht sind?

Ich vertrete hingegen ein explikatives Modell, das davon ausgeht, daß die Eigen- und Fremdwahrnehmung primär religiös geprägter Gruppen in Südosteuropa ein wesentliches Potential "balkanischer" Konfliktentstehung ist. Ausgehend von theoretischen Modellen zum symbolischen Charakter der Schrift, soll die Abgrenzung durch das geschriebene Medium im Mittelpunkt meines Vortrags stehen.

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Thomas Stolz, María Martínez Fontdevila &Anna Sabater Fuentes (Bremen)
GLOBAL FREMD - Eine Tour durch die weltweite Fremde

In einigen Sprachen der Welt sind die Ausdrücke, die man als Wörterbuchentsprechungen von Deutsch FREMD und EIGEN findet, eindeutig Entlehnungen. Dies trifft beispielsweise auf das stark hispanisierte Chamorro, eine austronesische Sprache der Marianen, zu, von dessen Sprecherschaft behauptet wird, daß sie sich vor dem ersten Kontakt mit den späteren spanischen Kolonialherren als einzige Ethnie der Welt verstand. Man könnte daher annehmen, daß in einem derartig geprägten Weltbild kein Platz für eine Unterscheidung von FREMD und EIGEN war und diese Distinktion erst aus Europa "importiert" wurde. Andere Sprachgemeinschaften zeigen jedoch, daß zwar generelle makroskopische Begriffe des Typs FREMD/EIGEN fehlen, aber sozusagen mikroskopische spezifische Begriffe - etwa vom Typ VOM-ANDEREN-DORF/VON-UNSEREM-DORF- sehr wohl vorliegen können.

Es stellt sich daher u.a. die Frage, ob mikroskopische und makroskopische Begriffe ähnliche Konnotationen tragen und inwiefern die einzelsprachlichen FREMD/EIGEN-Ausdrücke semantisch miteinander vergleichbar sind. In unserem Vortrag wollen wir einen Überblick über die semantische Domäne von FREMD/EIGEN-Ausdrücken in einer größeren Zahl von (meistenteils außereuorpäischen) Sprachen geben, eine typologische Ordnung vorschlagen und uns fragen, ob sich aus dem sprachvergleichenden Befund etwas Allgemeines über ein "universelles" Konzept von FREMD/EIGEN schließen läßt.

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Gianguido Manzelli (Pavia)
Fremde in den uralischen Sprachen zwischen Gastlichkeit und Feindschaft

(Foreigner in the Uralic languages between hospitality and hostility)

Uralic (Finno-Ugric) languages are rich in more or less isolated words as Hungarian idegen 'foreign' (of unknown origin) or Selkup (Southern Samoyed) posi'id.'.
The semantic range of some lexical items as Finnish vieras 'stranger' and 'guest' seems to suggest that Uralic peoples had a friendly attitude towards foreigners. But we know best the Hungarian history of the first half of the 10th century when the Turkicized Magyars became notorious for their extreme aggressiveness in Central and Western Europe. However, at the end of the same century diplomacy and good manners prevailed, even before mass christianization. In prince Géza's and king (Saint) Stephen's courts a very interesting ideology came out as regards foreign "hospites”. German (mainly Bavarian), French (Walloon) and North Italian (Venetian) guests gave their contribution to that development. According to the felicitous etymology by János Balázs the Hungarian word vendég 'guest', but also 'foreigner', originated in that period from Old Italian venedigo 'Venetian'. More reasearch should be carried out into what concerns the relationship between on one hand Hungarian idegen, vendég and külföldi (an item considered to be a loan translation of German Ausländer) 'foreign(er)', and on the other Old High German fremidi (but uuzlenti 'beach' vs. New High German Ausland 'foreign countries'!), Old French estrange ('foreign' > 'strange') and forain (> English foreign), and Old Italian foresto 'foreign'.


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