Beitrag zur Gartenkonferenz 2000
Perspektiven der Garten- und Kleinstlandwirtschaft in Stadt und Land - zur sozialen und ökologischen Notwendigkeit einer "weiblichen Ökonomie"  vom 21. - 25. Juli 2000 in Berlin, AG Kleinstlandwirtschaft und Gärten in Stadt und Land, C/O Freie Universität Berlin, Institut für Soziologie, Elisabeth Meyer-Renschhausen, gartenkonferenz@gmx.de , http://userpage.fu-berlin.de/~garten/

 
 
 
 
 

Wolfgang Eisenberg
Kleinbauer, (Deutschland)
 

Selbstversorgungswirtschaft - für die Stadtflüchter der späten siebziger Jahre im Wendland eine Episode?

Chronologische Beschreibung der Entwicklung

1. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre kam eine Welle von meist jungen Stadtflüchtern (Hamburg, Berlin, Göttingen) ins Wendland. Ihre politische Herkunft läßt sich grob mit Ökobewegung und undogmatischer Linke beschreiben.
2. Sie trafen auf meist ältere Stadtflüchter aus den 60er- 70er Jahren, die bereits als Rentner kleine Teil-Selbstversorgungswirtschaften betrieben.
3. Die eingeborene Bauernschaft (damals noch die dominierende soziale Gruppe) war konservativ bis rechts. (Die NPD hatte damals z.T. zweistellige Wahlergebnisse)
4. Kleine Resthöfe und Arbeiterkaten wurden als Kleinstwirtschaften mit entsprechendem Viehbesatz perspektivisch zur Selbstversorgung aufgebaut. Das dazugehörige Kultbuch (Anleitung) wurde John Seymours "Das Leben auf dem Lande". Die Selbstversorgung bezog sich oft auf die gesamte Hauswirtschaft (Verarbeitung, Vorratshaltung).
5. Die ökonomische Hauptsäulen waren einerseits staatliche Stützen, andererseits Pendel-Jobs in den Zentren. Ergänzend wurden Handwerk ausgeübt.
6. In dieser Zeit wurden in der Szene viele Kinder geboren.
7. Im weiteren Verlauf (Anfang der 80er Jahre) wurden Landwirtschaft und Handwerk teilweise durch offizielle Lehrverhältnisse professionalisiert. Dadurch erfolgte zunehmend Kontakt und Vermischung (auch sozial) mit der ansässigen Bevölkerung.
8. Durch die Anti-Atombewegung um Gorleben (ab 1977) entwickelte sich eine umfassende Diskussion über ökologische Themen, die Anfang der 80er Jahre auch die herkömmliche Landwirtschaft erfaßte.
9. Im weiteren Verlauf stellten für bundesdeutsche Verhältnisse überproportional viele landwirtschaftliche Betriebe auf Ökol.-Landbau um. Ein kleiner Teil der Stadtflüchter nahm durch Gründung von landwirtschaftlichen Betrieben an dieser Entwicklung teil. Oft erfüllten sie auch Pionierfunktionen.
10. Etwa Mitte der 80er Jahre bröckelte die beschriebene Selbstversorgungsbewegung durch mehrere Faktoren bedingt langsam ab.
a.) Durch Professionalisierung und soziale Vermischung (Einheirat) auf ansässigen landwirtschaftlichen Betrieben.
b.) Durch Abwanderung ins Handwerk
c.) Durch Abwanderung in die Politik (hauptsächlich im Rahmen der in dieser Zeit entstandenen grünen Partei).
d.) Durch ein "Zurückschwappen" der Stadtflüchterwelle in die Zentren, dort oft mit akademischen Karrieren verbunden.
11. In den 90er Jahren nach dem Mauerfall kann man im Wendland nicht mehr von einem überproportionalen Anteil von Kleinst- und Selbstversorgungswirtschaften sprechen.
 

Interpretation

1. Für einen großen Teil der Stadtflüchtlinge war die Arbeit in der Selbstversorgung etwas Neues. Die Auswirkungen dieser Arbeitsverfassung auf die gesamte persönliche Existenz war Vielen nicht klar.
2. Die theoretische Herangehensweise sowohl in fachlicher aber auch in sozialer Hinsicht stand sehr im Vordergrund (Kopfsteuerung). "Linke Mobilisierung des Landproletariats, Kampf dem Zentralismus, Wunsch nach Selbstbestimmung, Ökologie vor Ökonomie, Projektion von eigenen Idyllen aufs Landleben waren einige bewußte oder unbewußte Aspekte dieser theoretischen Überbaus.
3. Die herkunftsbedingte soziale Prägung schlug nach der kurzzeitig idyllisierenden Hinwendung zum einfachen Leben in vielen Fällen wieder durch.
4. Der politischen Karriere bei den Grünen war eine "urproduktionelle Lebensphase" genauso förderlich wie eine proletarische Lebensphase bei den Roten.
5. Der Zeitgeist der 90er Jahre entwickelte sich heftig von einer ressourcensparenden, genügsamen Grundstimmung hin zu einer "Fun-betonten" Mobilitäts- und Mediengesellschaft.
6. Der "Ego-Trip" war nicht mit äußerlichen Fesseln, wie sie auch die kleinste Selbstversorgerwirtschaft mit sich bringt, vereinbar.
7. Das Wendland kann heute, im Jahre 2000, der Erosion von Bäuerlichkeit und Zerstörung von sozialverträglichen landwirtschaftlichen Strukturen kaum mehr entgegensetzen als andere Regionen.
8. Für die Verbreitung von Kleinstlandwirtschaft und Gartenbau scheint im Wendland nicht ökonomischer Mangel maßgeblich gewesen zu sein (die Arbeitslosigkeit lag hier durchgängig auf ostdeutschem, nämlich zweistelligem Niveau), sondern war offensichtlich abhängig von Zeitgeist und politisch- ideologischen Faktoren.
9. Eine eindeutig positive Folge der beschriebenen Entwicklung ist das breite Eindringen ökologischer Themen in den Bereich der Landwirtschaft, ohne daß immer gleich auf Öko-Landbau umgestellt wurde. Der nach wie vor starke bäuerliche Widerstand gegen die Gorlebener Atomanlagen (fast schon legendär) zeugt davon.
 
 

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Stand: 20.9.2002