Das Juli-Portrait

Ein genuiner G-Proteinforscher


Wenn Professor Günter Schultz von der Wunderwelt der G-Proteine und Ionen-Kanäle erzählt, fühlt sich die interessierte Laiin im Nu wie eine Lottogewinnerin, die eine Privataudienz bei Einstein gewonnen hat. Aber den Pharmakologen bringt keine noch so unbedarfte Frage aus der Fassung. Freundlich und geduldig bemüht sich Schultz, wenigstens Schlaglichter des Verständnisses auf sein Forschungsgebiet zu werfen.

Und das umfaßt die "Signaltransduktion", also Signalerkennung und -umsetzung in den kleinsten Bau- und Funktionseinheiten unseres Organismus: den Körperzellen. Schultz' Domäne sind die G-Proteine. Vier Familien sind unter den G-Proteinen inzwischen bekannt. Sie selbst kooperieren mit einer "Großfamilie von etwa tausend Rezeptoren." Bei Menschen und Säugetieren sind sie für die Verarbeitung unterschiedlichster außer-zellulärer Reize zuständig: für Licht, Duftstoffe, Gewebs- und andere Hormone sowie für Neurotransmitter. Schultz: "Kuriosum am Rande: Die meisten Rezeptoren - etwa 400 - sind für die Duftstoffe da!" "Diese Schalter hier, zwischen dem signalempfangenden Rezeptor und dem ausführenden Effektor", erklärt der Leiter des Instituts für Pharmakologie und greift zum Bleistift, "müssen auf 'plus' schalten, damit die Zelle aktiv wird." Anders ausgedrückt: G-Proteine vermitteln Arbeitsaufträge an bestimmte zelluläre Signal-Produktionseinheiten.

Die Erkenntnisse dieser "molekularen" Grundlagenforschung dienen auch der Arzneiforschung. Schultz ist überzeugt, daß 50-60 Prozent aller Medikamente über Zellrezeptoren agieren. Und so schildert er das Modell der modernen Pharmakologie: "Wir mißbrauchen sozusagen die Maschinerie, die der Körper für seine hausgemachten Wirkstoffe einsetzt. Dazu bringen wir von außen Stoff-Imitatoren über die Rezeptoren in die Zelle ein. Sie haben eine stärkere oder gezieltere Wirkung oder - wie im Fall der Beta-Rezeptorenblocker - legen den Rezeptor selber still." Im Augenblick arbeitet sein Institut in einem Forschungsverbund mit Industriebeteiligung an der Entwicklung eines Schlaganfallmedikamentes.

Das biophysikalische Ausgangsmaterial für die Isolierung der G-Proteine besteht aus Schlachthofabfällen. "Die sind für'n Appel und 'n Ei zu haben", streut der Professor in lupenreinem Berlinerisch ein.

"Meine exzellente Mannschaft besteht vorwiegend aus Leuten, die in den USA Erfahrungen in den besten Labors sammeln konnten", begeistert sich Schultz. Dazu gehören zur Zeit ein halbes Dutzend Wissenschaftler und ein halbes Dutzend Drittmittel-Forscher. Sein Team ist ein wesentlicher Grundpfeiler des Sonderforschungsbereichs "Zelluläre Signalerkennung und -erkennung". Fazit von Schultz: "Im Output können wir durchaus mithalten mit den Amerikanern und den Japanern." Doch um den Nachwuchs steht es seiner Meinung nach schlecht. Genuine Forscherpersönlichkeiten "sind so selten geworden, daß es in den theoretischen Fächern mehr Stellen als Bewerber gibt." Und wie steht es mit Wissenschaftlerinnen in seiner Disziplin? Gilt noch, was Physik-Altmeister Max Planck befand: "Amazonen sind auch auf geistigem Gebiet naturwidrig?" Planck gewährte einer Frau nur "probeweise" Zutritt zu seinen Seminaren. Pharmakologe und Biochemiker Schultz dagegen zollt den Akademikerinnen in seiner Crew offenbar erheblichen Respekt: "Kürzlich gab es eine exzellente Habilitation von einer alleinerziehenden Mutter."

Zur eigenen Laufbahn faßt sich der 60jährige knapp. Er hat wie sein Vater, ein Radiologe, Medizin studiert. "Nach einer langweiligen Promotionsarbeit wurde ich hier ans Institut gelockt, von einem ganz tollen Dozenten." Das war Gerhard Senft. Und in der "Stube", im Dachstuhl des früheren Kaiser-Wilhelm Instituts für Biochemie, die heute sein Arbeitszimmer ist, befand sich damals das Labor, in dem er 1963 als 'Post-doc' zu arbeiten begann. Als Senft 1968 starb, ging Schultz für 15 Jahre von Berlin weg, erst nach Heidelberg, dann in die USA.

Prof. Schultz erzählt, wie er dort in eine der ,stärksten Wissenschafts-Mafias, hineingeriet. Es handelt sich um die "Cori-Schule", eine Kaderschmiede für Nobelpreisträger, die mittlerweile von der Enkelgeneration getragen wird. Die Namensgeber Carl und Gerti Cori emigrierten in den 30er Jahren aus Prag in die USA und bekamen den Nobelpreis für den Glycogenstoffwechsel. Der hemdsärmelig-ungezwungene und zugleich hocheffektive Führungsstil des Günter Schultz ist dennoch kein Mitbringsel aus der 'Neuen Welt'. Das wäre für ihn 'Eulen nach (Spree-)Athen tragen'. Er versteht sich als einer, der zusammenfügt, was durch den Weltkrieg auseinandergerissen wurde: die naturwissenschaftliche Elite, die ein wichtiges Zentrum in Berlin hatte.

Schultz arbeitet nicht an fünf, sondern an sieben Tagen der Woche. Auch Ehefrau Karin war jahrelang mit einbezogen: "Sie hat mir mein Labor 'gerunned' (von to run= führen), bis die drei Kinder kamen."

Interaktion zwischen den Zellen der Forschung im Inneren und im Äußeren wird bei Professor Günter Schultz ganz groß geschrieben. Das hat auch eine materielle Basis, wie ein Satz des von ihm verehrten Wissenschaftshistorikers Nachmansohn verdeutlicht: "Für Atome, Moleküle, zelluläre Funktionen ... gibt es keine Landes- und Erdteilgrenzen. Sie sind überall gleich auf dem Planeten."

Sylvia Zacharias


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