Wissenschaftler im Klinikum
Mit Forschergeist und Helferethos
"Seit der Fusion mit der Grundlagenmedizin ist im Klinikum nicht nur eine andere Stimmung, sondern auch eine neue Gesprächskultur entstanden, und ich habe viele Personen kennengelernt, mit denen sich wunderbar zusammenarbeiten läßt: Das war für mich einfach Klasse", schwärmt der sonst eher verstandesbetont wirkende Wolfgang Berdel.
Das Wörtchen "war" verrät, daß der C3-Professor und Oberarzt in Gedanken bereits an dem für ihn maßgeschneiderten neuen Arbeitsplatz weilt: in der neu errichteten Knochenmark-Transplantationsklinik an der Universität Münster. Im März erging von dort ein Ruf an Berdel auf den Lehrstuhl für Hämatologie, Onkologie und Pulmologie. Grund genug für einen Wechsel sind großzügigere Räumlichkeiten. "Sie sehen ja, wie ich hier sitze" sagt er und weist in sein Fünf-Quadratmeter-Büro.
Vom Direktorposten einer Klinik verspricht sich der 45jährige Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie auch autonomeres Arbeiten. Seine Spezialdomäne ist die Entwicklung neuer Krebsmedikamente, und besonders die Suche nach biologischen - das heißt in diesem Fall auch paßgerechteren - Alternativen zur Chemotherapie.
Professor Wolfgang Berdel im Knochenmark-Transplantations-Labor: hier werden blutbildende Stammzellen von Patienten vor einer Hochdosischemotherapie gewonnen.Mit Methoden der Molekularbiologie werden zelluläre Informationsnetzwerke analysiert. Berdels Hoffnungen richten sich auf die Identifizierung tumorspezifischer Muster. Dabei setzt Berdel nicht erst im klinischen Part ein, sondern bereits am Reißbrett, das heißt bei der chemischen Komposition von Substanzen. Im letzten Jahr erhielt er für seine Entdeckungen an Zytokinen - das sind (Zell-)Wachstumsfaktoren - den Deutschen Krebspreis; ein Highlight in der Palette seiner vielen Auszeichnungen. Wenn man die "Evolutionsgeschichte" für ein solches Biotherapeutikum betrachte, meint Berdel, habe dieser Fund jedoch höchstens den Stellenwert "eines einzelnen Buchstaben in einem Buch mit abertausend Seiten." Niemand wisse, wann die heutigen Forschungsanstrengungen je klinische Früchte tragen werden. Schon die Erwartung, daß es noch in seiner Lebensspanne geschehen könne, hält der nüchterne Berdel für einen Euphemismus. Fortschritt in Form statistisch signifikanter Heilerfolge bringt zu seinem Bedauern "leider nach wie vor nur die Chemotherapie." Als eine vielversprechende Strategieänderung habe sich hierbei die Kombination mit biologischen Hilfsmitteln, z.B. Blutstammzellen, herausgestellt.
Berdel, der in einem Familienclan von Ärzten aufwuchs, begann sein Medizinstudium in Hamburg, seiner Heimatstadt, und setzte es fort in München und Freiburg. Die Faszination der Krebsforschung warf bereits mit der Doktorarbeit ihre Schatten voraus, für die er als biologisches Remedium für die Behandlung von Tumoren Fette testete, sog. Lipide. Er führte diese Experimente als Assistenzarzt in der Onkologie an der TU-München weiter und brachte sie, unter Aufbau einer eigenständigen DFG-Forschungsgruppe, schließlich bis zur Anwendung beim Patienten. Seine erste Facharztausbildung machte Berdel u.a. bei dem renommierten Münchener Kardiologen Prof. Blömer. Mit einem Heisenberg-Stipendium ging er 1987 an die Emory University School of Medicine in Atlanta/USA, um am Projekt "autologe Knochenmarktransplantation" bei Leukämie-, Lymphom- und anderen Tumor-Erkrankungen mitzuwirken. Anschließend etablierte er dieses Verfahren in München, und 1990, nach seiner Berufung, auch in Berlin am Universitätsklinikum Steglitz. Zu Berdels zahlreichen organisatorischen Tätigkeiten gehört seit 1996 die Mitarbeit in der Zulassungkommission beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
Unverkennbar durchzieht eine deutlich ausgeprägte soziale Ader den Lebenslauf von Wolfgang Berdel. Er organisierte Arzteinsätze in überseeischen Flüchtlingslagern, tat sich als Sprecher für andere hervor, zuerst als Schüler, dann als Assistent, zuletzt am Klinikum als Sprecher zweier Großprojekte (s. Interview). Mit Berdel verläßt das Klinikum ein Arzt, bei dem Forschergeist und Helferethos in ungewöhnlicher Mischung zusammenfinden. Da ist es für Patienten und Kollegen tröstlich, daß er als Wissenschaftler Präsenz zeigen und vom Standort Münster aus "mit Arbeitsgruppen hier im Hause weiter zusammenarbeiten" will.
Sylvia Zacharias
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