Patientengeschichte

In 45 Minuten den Herzinfarkt eingedämmt


Ein heißer Julitag. Im neuen Cabriolet brechen Bernd Kempen* und sein Freund zu einer Fahrt "ins Blaue" auf. Sie kommen nicht weit. Kempen fühlt sich plötzlich elend; er spürt vom Brustbein bis in den linken Arm einen ziehenden Schmerz." Er bittet den Freund, ihn auf dem schnellsten Weg in die Erste Hilfe des Universitätsklinikum Benjamin Franklin zu bringen. Das Untersuchungsergebnis steht nach wenigen Minuten fest: ein Herzinfarkt.

Der 41jährige wird unverzüglich auf die Intensivstation der kardiologischen Abteilung transportiert. Dort stellen ihn die Ärzte vor die Wahl: Lyse oder Ballonerweiterung (Ballondilatation)? Im Klartext: Entweder ein Medikament, das einen eventuell vorhandenen Blutpfropf auflöst, Erfolgsaussicht: 60 bis 70%. Oder ein Eingriff direkt an der Herzader mit einem Herzkatheter, Erfolgschance: nahezu 100%. Kempen entscheidet sich für die in der Akutsituation vielleicht etwas risikoreichere, bei Gelingen aber sehr viel eher Erfolg versprechende Methode der Ballondilatation.

Am häufigsten trifft der Herzinfarkt Männer im Alter zwischen 45 und 55 Jahre; Tendenz: immer jünger. Der 41jährige Bernd Kempen (l.) - hier im Gespräch mit Prof. Heinz-Peter Schultheiss - profitierte von dem in Berlin einzigartigen "Rund-um-die-Uhr" Infarkt-Bereitschaftsdienst des Klinikums.

Die invasive Diagnostik des Herzens (Koronarangiographie) ergibt eine auf ein einziges Herzkranzgefäß begrenzte "Verstopfung" - Infarkt kommt vom lateinischen "infarcire" - in der linken Koronararterie. "Bei diesem Herzen liegt ein Linksversorgungstyp vor", erläutert Chefkardiologe Professor Heinz-Peter Schultheiss. Das heißt: Die betroffene Arterie ist stärker ausgeprägt als die rechte und hat deshalb ein entsprechend größeres Gebiet im Herzmuskel mit Blut zu versorgen.

Ein Verschluß der Arterie führt bei einem Linksversorgungstyp zum Absterben von sehr viel Herzmuskelgewebe, also zu einem sehr ausgedehnten Myokardinfarkt. "Vom Eintreffen in der Ersten Hilfe bis zur Rekanalisierung der Arterie verging bei Herrn Kempen nur eine Dreiviertelstunde", konstatiert Schultheiss zufrieden, "damit haben wir die zur Verfügung stehende Zeitspanne sogar noch unterschritten". Grundsätzlich gilt: Je schneller die Blutzufuhr wieder hergestellt wird, desto geringer der Gewebeschaden. Unter diesem Zeitdruck muß jeder Handgriff bei der Ballon-Intervention sitzen: Von der Leistengegend aus schiebt der behandelnde Arzt einen kleinen, an einem Katheter befestigten Ballon über die Hauptschlagader bis in das betroffene Herzkranzgefäß vor. Er wird unter Monitorkontrolle genau an der Stelle plaziert, wo der Blutstrom unterbrochen ist. Dann wird der Ballon aufgepumpt. Unter diesem Druck dehnt sich die Arterie auf, und sofort kann das Blut wieder ungehindert passieren.

Am häufigsten trifft der Herzinfarkt Männer im Alter zwischen 45 und 55 Jahren. Tendenz: immer jünger. Der 41jährige Kempen profitierte von dem in Berlin einzigartigen "Rund-um-die-Uhr" Infarkt-Bereitschaftsdienst des Klinikums Benjamin Franklin. Die dabei angebotene Ballon-Intervention ist laut Schultheiss allen anderen Behandlungsformen überlegen: sowohl im Hinblick auf den akuten klinischen Verlauf als auch langfristig. Darüber hinaus sind die Kosten - trotz des zunächst hohen Aufwandes - auf Grund der geringeren Komplikationsrate im Langzeitverlauf (zwei Jahre) niedriger. So kommt es bei 70% der Patienten zu keiner Rezidiv-Stenose. Dieser Prozentsatz liegt bei der medikamentösen Alternativ-Therapie deutlich niedriger. Kommt es zu einer Rezidiv-Stenose, also zu einer Wiederverengung der erweiterten Herzader, so ist eine erneute Intervention notwendig.

Warum es überhaupt zu einer erneuten Verengung kommt, hängt nach Vermutung der Ärzte mit der Technik dieses Eingriffs zusammen: Die Überdehnung der Herzkranzarterie führt unvermeidlich zu kleinen Einrissen. Dadurch kommt es an diesen Stellen zu einer lokalen Entzündung mit Narbenbildung. Bei 30% der Patienten entsteht so ein den Blutfluß hemmender Engpass.

Zur Absicherung des Heilerfolges und zur langfristigen Prophylaxe schließt sich an die prompte Infarkteindämmung ein mehrstufiges Therapieprogramm an. Kempen wurde zunächst für zwei Wochen stationär aufgenommen. Ganz oben auf der medizinischen Dringlichkeitsliste stand die richtige Einstellung des Blutdrucks und der Blutfette. Die Ärzte hatten bei dem Patienten eine unbehandelte Hochdruckkrankheit und eine Cholesterinerhöhung im Blut diagnostiziert. Außerdem registrierten sie weitere herzschädigende Risikofaktoren: Der Geschäftsmann ist Kettenraucher und steht häufig unter erheblichem Arbeitsstreß. "Ich arbeitete auf Hochtouren", räumt Kempen selbst ein, "denn ich hatte in meiner Firma zwei Führungsaufgaben gleichzeitig übernommen". Nach der Entlassung aus dem Klinikum wurde er zur "Anschluß-Heilbehandlung" in eine Rehabilitationsklinik überwiesen. "Ein Mann wie Kempen", kommentiert Herzspezialist Schultheiss, "muß umdenken lernen, auch um zukünftig übermäßige Streßsituationen zu vermeiden. Nicht ratsam ist dagegen ein radikaler beruflicher Ausstieg: Dies könnte sich als Bumerang erweisen".

Kempens Vater hatte den ersten Herzinfarkt mit 58, am zweiten ist er mit 70 gestorben. Als der Sohn den eigenen Infarkt durchlebt, ist das wie ein memento mori: "Mir wurde himmelangst, ich dachte an meinen Vater und wußte plötzlich: "Morgen kann dein letzter Tag sein!" Ohne Umschweife gab er das Rauchen auf und betreibt regelmäßig Sport. Für seinen kleinen Sohn will sich Bernd Kempen mehr Zeit nehmen. Und er beteuert, jetzt auch im Beruf "das Unwichtige stärker zu selektieren und öfter mal "Nein" zu sagen".

Sylvia Zacharias

* Name von der Red. geändert.


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