Patientengeschichte


Hirnschrittmacher setzt dem Zittern ein Ende

Die Zeichnung zeigt die Verbindung zwischem dem batteriebetriebenen Simulationsgerät unter der Brust, der Elektrode im Gehirn (rechts in Vergrößerung) und dem unter der Haut verfaufenden Kabel.
"Ich bin lieber der Erste als der Hundertste", sagt Günter Czirr. Er wurde der erste Berliner Patient, der einen Hirnschrittmacher trägt. Das ist nicht etwa ein Gerät, um klüger zu werden. Der lateinische Begriff 'Neurost imulator' hilft weiter: er dient der Beeinflussung von Nervenzentren. Durch das Fernsehen hatte Czirr von der neuen Operationsmethode erfahren, die in Berlin bisher nur an der Neurochirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Benjamin Franklin ange wendet wird. *

"Ich habe hier einen Magneten", sagt Czirr und greift nach einem kleinen blauen Gegenstand in der Größe eines Fünf-Mark-Stückes, "mit dem könnte ich den Schrittmacher abstellen." Doch dann würden seine H& auml;nde sofort wieder so stark zittern, daß er keine einzige Bewegung mehr funktionsgerecht ausführen könnte. Das war der Zustand, in dem er sich fast zehn Jahre lang zurechtfinden mußte. Günter Czirr leidet an einem sogenannte n essentiellen Tremor (Tremor = Zittern) "mit einer 'grobschlägigen' Frequenz von 4 - 6 Schlägen pro Sekunde." Das Zittern setzte den Rentner, von Beruf Werkzeugmacher, außerstande, ein Glas Wasser zu halten. Oder einen Knopf zu schließen, zu schreiben, geschweige denn, eine Schraube einzudrehen. "Er war völlig auf meine Hilfe angewiesen", sagt die Ehefrau. Das Schlimmste aber war: Der 70jährige traute sich nicht mehr, das Haus zu verlassen, so "pei nlich" war ihm "das Zappeln". Er fühlte sich wie ein 'Tattergreis', wie es abwertend im Volksmund heißt. Tatsächlich trifft der Tremor in erster Linie Männer über 50.


Unsichtbar, unter der Brust von Günter Czirr arbeitet jetzt der batteriebetriebene Neurostimulator. Er ist über ein unter der Haut verlaufendes Kabel mit einer Elektrode im Kopf verbunden und schaltet das gestörte Bewegungs- und Koordinationszentrum aus, das in der Tiefe des 'Nucleus ventralis intermedius', einer Region im Zwischenhirn, liegt.


Mit Medikamenten war dem krankhaften Zittern des Patienten nicht beizukommen. "Die Ursache seiner Krankheit ist noch unklar", sagt sein Arzt, Dr. Jan Vesper. Der 30jährige Assistenzarzt gehört zu dem drei Mann starken Team, das Günter Czirr operierte. Czirr selbst sieht einen zeitlichen Zusammenhang mit seinen Herzrhythmusstörungen, die seit neun Jahren durch eine künstliche Herzklappe unter Kontrolle gehalten werden: "Damit fing auch die Zappelei bei mir an."


Seine Kopfoperation dauerte sechs Stunden. Bei diesem speziell für das Gehirn entwickelten 'stereotaktischen' Eingriff, bei dem ohne Schädelöffnung gearbeitet wird, mußte das Operationsgebiet früher im 'Blindflug' ange peilt werden. Heute profitiert der Neurochirurg von der Videokontrolle und von der Computertomografie, die eine dreidimensionale Kartierung des Schädelinneren ermöglicht. Nach einer exakten Lokalisierung der 'Störung' führt er seine In strumente über ein kleines Bohrloch in der Schädeldecke auf vorgeschriebenen Weg ins Ziel. Die Gefahr von Blutungen ist sehr gering, denn "die Blutgefäße werden nicht verletzt, sondern lediglich zur Seite geschoben", so Dr. Vesper. Durch diese Technik konnte die Elektrode bei Günter Czirr millimetergenau an der gewünschten Stelle plaziert werden. Für ihre erste Funktionsprüfung schlossen die Operateure sie an einen elektrischen Stimulationsapparat an. In Rücksprache mit dem Patienten, der zu diesem Zweck wachgehalten werden mußte, nahmen sie dann die neurologische Feinanpassung vor. In dem Augenblick, in dem Czirr in der Lage war, ohne Zittern ein Glas Wasser festzuhalten, hatte die Elektrode i hren endgültigen Sitz gefunden. Der wichtigste Fortschritt gegenüber früheren stereotaktischen Behandlungen: Es wird kein Hirngewebe zerstört und der Eingriff ist reversibel, das heißt: Würde man die Elektrode entfernen, w&a uml;re der alte Zustand wiederhergestellt.


"Der Schrittmacher baut ein elektrisches Feld auf, welches die Ausbreitung der Zitter-Impulse verhindert", resümiert Dr. Vesper. Mit anderen Worten: Er sorgt für eine heilsame elektrische 'Störung'. Als Nebenwirkung kan n es durchaus "zu einer leichten Sprachstörung kommen" -, vor allem wenn, wie bei Czirr, beide Hirnhälften einbezogen sind. Bei ihm zeigt sich das in einer etwas schleppenden Sprechweise, die er selbst als "Kloß im Hals" ; erlebt. "Weil in dieser Region des Gehirns jedem Millimeter eine bestimmte Aufgabe zugewiesen ist, können dicht angrenzende Bezirke in das elektrische Feld miteinbezogen werden", kommentiert der Neurochirurg.


Czirrs Operation verlief 'minimal-invasiv', das heißt ohne großen Blutverlust. Blut floß lediglich beim Einsetzen des Neurostimulators in die Brust und beim anschließenden Einnähen des Kabels unter der Kopfhaut und am Hals. Nur dazu erhielt der Patient eine Vollnarkose.


Im Nachhinein fühlt sich Günter Czirr von dem sechswöchigen Aufenthalt im Klinikum "ziemlich überfordert." Mußte er doch alles zweifach über sich ergehen lassen, weil bei ihm beide Gehirnhälften mit einem Hirnschrittmacher ausgestattet werden mußten. Jetzt freut er sich auf sechs Wochen Rehabilitationskur.


Nicht nur für Patienten mit einem Tremor-Leiden sondern auch für Patienten, die an der Parkinson'schen Krankheit leiden, wäre ein solcher Hirnschrittmacher die einzige ärztliche Hilfe. "Noch ist dieses Verfahren allerdi ngs längst nicht Routine", bremst Dr. Vesper die Erwartungen. Bis Ende des Jahres hat sich sein Team noch zehn bis fünfzehn derartige Operationen vorgenommen.

Sylvia Zacharias

* außerhalb Berlins nur in Heidelberg und Homburg/Saar


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