Wissenschaftler im Klinikum

Ein Ketzer gegen die klassische Arzneimittel-Lehre

"Die Klinische Pharmakologie ist in Deutschland in keiner guten Verfassung", konstatiert Prof. Detlev Ganten. Das soll jetzt anders werden. Um den Zug ins gentechnische Zeitalter nicht zu verpassen, hat der neue Leiter des Instituts für Klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum Benjamin Franklin "die Forschungsrichtung des Instituts radikal geändert" und sie auf die Linie des Berlin-Brandenburgischen Verbunds 'Klinische Pharmakologie' gebracht. Dessen erste Projekte laufen in diesem Jahr an: "Alle müssen dabei etwas lernen", meint Ganten; auch die Wissenschaftler.

Für den Arzneiforscher ist die molekulare Medizin eine Chance, die Aufspaltung in Ursachenforschung und Therapieforschung zu überwinden. "Wir interessieren uns auch für die Krankheitsmechanismen", so die außergewöhnliche Standortbestimmung. "Wir suchen die verantwortlichen Gene und untersuchen die Wirkungsweise von neuen Arzneisubstanzen an transgenen Tieren" - denen also das fragliche menschliche Gen eingepflanzt wurde. Künftig könnten dann Versuche am Menschen eingespart werden. Ganten r³umt ein: "Mit klassischer klinischer Pharmakologie hat das nicht mehr viel zu tun".

Die ketzerischen Äußerungen des 54jährigen sind keinesfalls nur konjunkturbedingt. Auch in der genbiologischen Medizin hält der gebürtige Lüneburger mit einer gewissen norddeutschen Sturheit seinem alten Forschungsmotiv die Treue: "Nach der Promotion (über Magenkrebs) begann mich der Bluthochdruck zu interessieren." Dem Renin-Angiotensin, also dem blutdruckregulierenden System, widmete er sich dann in der Habilitation 1974. Darüber hinaus engagierte er sich in der Deutschen Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks. Enttäuscht vom Scheitern der deutschen "Herz-Kreislauf-Präventions-Studie", einem Megaprojekt der Bundesregierung für allgemein gesündere Lebensführung, plädiert Ganten für "einen individualisierten Zugang" zum Patienten. Und eben dies scheint das 'missing link' für seine Hinwendung zur Genforschung zu sein. Letztere verspreche, "durch Gen-Analyse die individuellen Risikofaktoren des Patienten" zu identifizieren. Wenn, wie Ganten vermutet, bei stattlichen 60 Prozent aller Hochdruckkranken eine "Kombination von Genen" im Spiel ist, würde gezieltere Prävention bzw. Therapie auch dem "viel zu hohen Medikamentenverbrauch" entgegenarbeiten.

Als Ausreißer aus festgetretenen Pfaden übte Ganten sich bereits als Pennäler. Anstatt dem Vater zuliebe sofort das Abitur zu machen, ließ er sich zum landwirtschaftlichen Gehilfen ausbilden. Seine Mediziner-Laufbahn hat er mehrmals durch kosmopolitische Umwege korrigiert. So lernte er die französische Uni und die 'Interne Chirurgie' eines französischen Krankenhauses in Nordafrika kennen. Nach der Medizinalassistenzeit in den deutschen Kleinstädten Tübingen und Emden lockte ihn ein vierjähriger Forschungsaufenthalt in die kanadische Metropole Montreal. Von dort nahm er den vielbegehrten Titel 'PhD' (Philosophical doctor) mit nach Hause. Am Pharmakologischen Institut der Uni Heidelberg wurde Ganten dann für 18 Jahre seßhaft, bis er 1991 zunächst als Gründungsdirektor des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin nach Berlin umzog.

Zwei Jahre später folgte er dem Ruf an die Freie Universität. Seine Hobbies? "Ich predige nicht nur Gesundheit", sagt er verschmitzt, "ich versuche auch selbst gesund zu leben". Wie in Heidelberg lädt der Institutsdirektor auch in Berlin seine Labor-Belegschaft zu regelmäßigem Trimm-Sport auf Wald und Wiese. Seine Studenten bekommen zu hören, Sport sei "die beste Behandlung von Depressionen". Für ihn, der mit einer Fachkollegin als Ehefrau und mit zwei Söhnen, die auf die Uni gehen, gesegnet ist, bestimmt keine Gefahr. Bei all der 'High Tech' in seiner Medizin klingt die Lebensweisheit des Detlev Ganten doch beruhigend schlicht: "Gesundes Körperbewußtsein entwickeln, Vertrauen in den eigenen Körper: Das ist viel besser als Medikamente!"

Sylvia Zacharias


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