Feierliche Semestereröffnung mit Rita Süssmuth

Mit Humboldt über den Tellerrand blicken


"Dieser Fachbereich ist paradigmatisch für das, was der Universität insgesamt als Programm ansteht." Mit diesen Worten leitete Dekan Peter Gaehtgens am 28. April die zweite feierliche Semestereröffnung des Fachbereichs Humanmedizin ein, zu der Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth den Gastvortrag hielt. Der erst zweieinhalb Jahre junge Fachbereich wolle die Erstsemester auf diese Weise in die "Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden" einführen. Darüber hinaus wolle er vor dem Hintergrund des gewaltigen Drucks durch die öffentliche Meinung und der verbreiteten Skepsis gegenüber dem Umgang der Universität mit öffentlichen Geldern nicht nur die Präsenz von akademischen Institutionen dokumentieren, sondern auch zum gesellschaftlichen Dialog auffordern. Als Referenten eingeladen würden deshalb bewußt Nichtmediziner, den Anfang machte im vergangenen Wintersemester Ignatz Bubis.

Der Dekan hatte viel Zeit zu überbrücken, bis die Bundestagspräsidentin mit fast einer Stunde Verspätung auf das Podium des Hörsaals eilte, direkt nachdem sie das Startsignal zum Bau des Parlamentsgebäudes Alsenblock im Berliner Spreebogen gegeben hatte.

Zunächst sprach Rita Süssmuth von Lampenfieber, weil es "kaum etwas Schwierigeres" gebe, als "auf Fragen der jungen Generation zu antworten". Und so waren es auch mehr Denkanstöße als Antworten, die sie mit ihrer Semestereröffnungsrede zum Thema "Bildung versus Ausbildung - Universität heute und morgen" verband. Fast pathetisch sprach die Bundestagspräsidentin eingangs vom "großen Vertrauen", daß sie in die junge Generation setze: "Sie ist in großer Mehrheit toleranter geworden, fähiger zum Dialog in gegenseitigen Meinungen, wißbegieriger und lernfähiger."

Süssmuth verdeutlichte, daß ein Studium heute ein größeres Risiko darstellt als vor 30 Jahren. In dieser Zeit haben sich die Studentenzahlen mehr als verdreifacht, die Zahl der Professoren stieg relativ dazu aber nur geringfügig. Vor dem Hintergrund von Massenuniversität und schlechteren Ausbildungsbedingungen einerseits und der Massenarbeitslosigkeit andererseits - zur Zeit gibt es in Deutschland sieben- bis achttausend arbeitslose Ärztinnen und Ärzte - sah Süssmuth den Hebel zur Veränderung im wesentlichen an zwei Stellen: Zum einen forderte sie mehr Handlungsfreiraum für die Universitäten, zum anderen plädierte sie für eine Rückbesinnung auf das ärztliche Ethos in der Medizinerausbildung.

Klar bekannte sie sich dazu, daß es bei der Neuordnung des Medizinstudiums nicht zugleich bessere Qualität und gleichbleibende Studentenzahlen geben könne. Auch sei es "an der Zeit, daß sich die Hochschulen ihre Studierenden wieder selbst aussuchen", sagte die Bundestagspräsidentin mit Blick auf die französischen Universitäten. Dort findet, nach Zulassung vieler Studierenden, nach wenigen Semestern eine starke Selektion statt. Einen Vergleich zog Süssmuth auch zu den USA, wo die Steigerungsrate der öffentlichen Mittel im Bildungswesen stolze 20 Prozent betrage, während es in der Bundesrepublik nur 1,3 Prozent wären. Sie plädierte dafür, den Universitäten mehr Budgetautonomie einzuräumen, schloß auch die Möglichkeit von privatfinanzierten Hochschulen nicht aus, räumte jedoch ein, daß das notwendige Reformen nicht ersetze.

Gerade angesichts der schwierigen Arbeitsmarktlage sei es enorm wichtig, "über den Tellerrand der engsten Berufsorientierung" zu sehen. Das gelte nicht nur für die Lernenden, sondern auch für Lehrenden: Süssmuth drang darauf, die Studierenden nicht allein auf die Medizin, sondern auf das Arztsein vorzubereiten. Fragen des ärztlichen Ethos müßten wieder mehr in den Vordergrund rücken, denn Ärztinnen und Ärzte stünden ständig vor der Aufgabe, "über das Schwierigste nicht nur reden, sondern entscheiden zu müssen". Wie schon der Dekan in seiner Eröffnungsrede forderte die Gastrednerin klar die Wiederbesinnung auf das Humboldtsche Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre.

Felicitas Wlodyga


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