Wissenschaftliche Einrichtungen stellen sich vor:
Das Institut für Toxikologie und Embryopharmakologie

"Allein die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift ist"


"Alle Dinge sind Gift und nichts ohn' Gift. Allein die Dosis macht' daß ein Ding kein Gift ist" - noch heute nach 450 Jahren hat dieses Theorem des Paracelsus Gültigkeit. Professor Diether Neubert, Leiter des Instituts für Toxikologie und Embryopharmakologie: "Es gibt keine toxischen, also giftigen Substanzen, es gibt nur toxische Dosen." Die Mengen, mit denen uns unsere Umwelt konfrontiert, liegen in der Regel um ein Vielfaches niedriger als die Dosen bei Arzneimitteln.

So ist das Interesse der Toxikologen des FU-Institutes auf die Wirkungsmechanismen von Substanzen - natürlich bei verschiedenen Dosierungen - und die damit einhergehenden Veränderungen von Komponenten und Funktionen des Organismus ausgerichtet. Dabei stehen "Risikoabschätzungen vorgeburtlicher Schädigungen" - über einen Zeitraum von 25 Jahren auch das Thema von zwei Sonderforschungsbereichen - und Wirkungen auf das Immunsystem im Mittelpunkt.

Die Gefahr einer vorgeburtlichen, sogenannten teratogenen Schädigung muß besonders bei Medikamenten ausgeschlossen werden. Für die Marktzulassung schreibt das Arzneimittelgesetz deshalb entsprechende Studien vor. Sie dürfen niemals am Menschen, in diesem Fall also an schwangeren Frauen durchgeführt werden. Dies stellt auch das Embryonenschutzgesetz sicher, so daß ausschließlich Tierversuche gemacht werden, um die fruchtschädigenden Wirkungen von pharmazeutischen Stoffen zu prüfen.

Solche Vorschriften sind die politische Konsequenz aus der Contergan-Katastrophe, Anfang der 60er Jahre. Wegen ihrer charakteristischen Fehlbildungen wurden die Babies, deren Mütter das Schlafmittel 'Contergan' mit dem Wirkstoff Thalidomid eingenommen hatten, Contergankinder genannt. "Damals waren Risiko-Studien an trächtigen Tieren, wie wir sie hier durchführen, weder üblich noch vorgeschrieben", erinnert sich Professor Neubert. Contergan bzw. Thalidomid wurde auch ein Forschungsthema seines Instituts. Das Mittel verschwand zwar vom damaligen Markt. Wegen seiner stark entzündungshemmenden Wirkung behielt es jedoch seine medizinische Attraktivität. Heute erhalten vor allem Leprakranke Thalidomid. Prof. Neubert beschäftigen jedoch die Mißbildungen.

Dreißig Jahre nach der Contergan-Katastrophe, in denen weltweit vergeblich nach dem fruchtschädigenden Wirkungsmechanismus von Thalidomid geforscht wurde, gelang es Neuberts Arbeitsgruppe Reproduktionstoxikologie endlich diesen Hintergrund aufzuhellen. Dieselbe entzündungshemmende Eigenschaft, die im Falle der Lepraerkrankung willkommen ist, richtet beim Embryo Schaden an, denn Thalidomid verändert die Ädhäsionsmoleküle auf bestimmte Zellen. Bei den weißen Blutkörperchen wird dadurch die massenweise 'Anreise' zu einem Einsatzort im Gewebe unterbunden. Dadurch werden Entzündungsreaktionen gedämpft. "Auch beim Embryo werden diese Rezeptoren auf der Zelloberfläche herunterreguliert", und genau das führt nach Neuberts Überzeugung zu Fehlbildungen. Aus diesem Zusammenhang hat sich ein weiterer Forschungsschwerpunkt des Instituts entwickelt: er gilt dem Versuch, entzündungshemmende Substanzen ohne fruchtschädigende Wirkungen zu finden.

Beim Menschen und beim Affen, die beide der Spezies der Primaten angehören, ruft Thalidomid die gleichen Mißbildungen hervor. Bei einer Spezies wie der Ratte hingegen treten keine Fehlbildungen auf. Der Toxikologe spricht deshalb von einer Spezies-Spezifität dieses Wirkstoffs. Durch die richtige Wahl der Versuchs-Spezies verbesserte sich die Prognostik. Noch vor zwanzig Jahren wurde die Chance, derartige Schäden aus dem Tierversuch vorherzusehen, als gering eingestuft. Heute weiß man, daß Substanzen, für die eine hohe Spezies-Spezifität ermittelt wurde, auch nur an Affen getestet werden dürfen, die als einzige Tiere dem Menschen artverwandt sind. Außerdem werden diese Experimente, so Neubert mit Nachdruck, "unter weitgehend gleichen Bedingungen und mit denselben Methoden vorgenommen wie sonst die Prüfungen am Menschen."

Ein anderes Gift, das den Toxikologen seit einigen Jahren Rätsel aufgibt, ist Dioxin. Stichwort Seveso. Der Chemieunfall in der oberitalienischen Stadt liegt heute zwanzig Jahre zurück. Doch noch immer zirkulieren Spuren davon im Körper der Stadtbewohner. Die Dioxine haben eine Halbwertszeit von etwa sieben Jahren. Mit anderen Worten: nach sieben Jahren ist erst die Hälfte der ursprünglich aufgenommenen Menge in einem Organismus abgebaut. Die große, 210 verschiedene Einzelsubstanzen umfassende Stoffgruppe kann vor allem an Industriearbeitsplätzen zum Problem werden. Auf frühere Untersuchungsergebnisse, so Neubert, "ist kein Verlaß. Sie fußen auf Versuchsreihen mit Tieren unter unrealistisch hoher Schadstoffexposition." Darum analysierten die FU-Toxikologen das Blut von 250 teils Dioxin-exponierten, teils nicht-exponierten Einwohnern in Seveso und auch von Versuchstieren. Sie wollten damit die Effekte der Chemikalie auf bestimmte Subtypen von Lymphozyten, das heißt auf Immunzellen messen. Neubert: "Dioxin führt beim Affen bereits bei sehr kleinen Dosen zu Veränderungen im Muster der Zellpopulationen und setzt die Vermehrungsfähigkeit der Zellen herab." Überraschend für den Forscher war, "daß der Mensch in diesem Fall offenbar unempfindlicher reagiert als das Tier."

Neuberts ganzer Stolz in diesem Zusammenhang ist eine Marmoset-Kolonie, "eine der größten weltweit." Fünfhundert dieser südamerikanischen Miniatur-Affen leben jetzt in der dritten Generation in den Gehegen des FU-Instituts. Sie müssen gründlich versorgt werden. Nur bei bester Gesundheit sind sie für die Toxikologen tauglich.

In einem weiteren Aspekt der Forschung setzt das Institut seinen Ehrgeiz in die Entwicklung und Verfeinerung von Methoden zur toxikologischen Analyse an schmerzfreier Materie. So gelingt es, in der Kultur Nagetier-Embryonen zu züchten und die Wirkung von Substanzen auf die embryonale Entwicklung zu analysieren. "Ziel ist die Ergänzung und vielleicht in Zukunft der Ersatz von Ganztierversuchen", hofft Neubert, auch im Blick auf die Routineuntersuchungen in der Industrie.

Das Institut beschäftigt etwa achtzig Mitarbeiter (davon etwa 1/3 aus Drittmitteln). In den drei Bereichen: Schadstofforschung an Industriearbeitsplätzen, Umweltschutz und Arzneimittelnebenwirkungen laufen rund fünfzehn Forschungsprojekte (darunter: zur Wirkung von krampfhemmenden Substanzen, von Vitamin-A-Derivaten, von Antivirenmitteln und zu einer größeren Zahl von Fremdstoffen). Ein wichtiges Standbein der Universitätseinrichtung sind Service-Leistungen für Betriebe oder Institute. "Durch die Anbindung an das FU-Klinikum Benjamin Franklin", so Professor Neubert, "bietet sich der Aufbau einer Arbeitseinheit 'Klinische Toxikologie' an." Sie könnte beispielsweise bei Verdacht auf Arzneimittelnebenwirkungen mit der Inneren Medizin zusammenarbeiten.

Sylvia Zacharias


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