Aus Krankenversorgung und Forschung
Ausdauertraining für Krebspatienten
Viele Krebspatienten leiden oft noch Jahre nach der Behandlung unter Abgeschlagenheit und chronischer Erschöpfung. Sie gelten zwar prinzipiell als geheilt, fühlen sich aber trotzdem oft schlapp und antriebsarm. Alltägliche Tätigkeiten wie Treppensteigen und Spazierengehen sind für sie größte körperliche Belastungen, so daß ihnen die Rückkehr in das Alltags- und Berufsleben schwerfällt. Ruhe und Schonung ist in diesen Fällen normalerweise der Rat der Ärzte, in der Annahme, daß körperliche Anstrengung dem geschwächten Organismus schadet. Versuche, die Müdigkeit mit Medikamenten zu behandeln, schlugen fehl.
Rehabilitation von Tumorpatienten durch Lauftraining: Studien unter der Leitung von Dr. Fernando Dimeo (Foto) konnten belegen, daß das Training, auch wenn es beriets in der Klinik beginnt und langsam gesteigert wird, das Wohlbefinden der Krebspatienten verbessert (Foto Institut für Sportmedizin)."Die Betroffenen geraten so in einen Teufelskreis", beschreibt Dr. Fernando Dimeo vom Institut für Sportmedizin des Berliner Universitätsklinikums Benjamin Franklin (UKBF) das Problem. "Aufgrund des Bewegungsmangels verlieren sie an Kondition, so daß normale Tätigkeiten für sie immer anstrengender werden und sie sich um so mehr schonen." Es kommt zur Chronifizierung der ursprünglich krankheits- oder behandlungsbedingten Erschöpfung. Schon nach sechs Wochen Bettlägrigkeit, so die Erkenntnisse der Sportmediziner, hat sich die Muskelmasse um 18 Prozent, die Kraft sogar um 30 Prozent abgebaut.
Ein neuer Behandlungsansatz der chronischen Müdigkeit sieht deshalb ein dosiertes Ausdauertraining für die Krebspatienten vor. Während man bislang Rehabilitationsmaßnahmen - sehr niedrige Belastungen oder Krankengymnastik - erst Wochen bis Monate nach der Behandlung einsetzte, beginnt diese Bewegungstherapie schon in der Klinik, noch während oder zumindest direkt nach der Bestrahlung oder Chemotherapie. Studien unter der Leitung von Dr. Dimeo konnten belegen, daß das Training, obwohl es relativ intensiv ist und früh beginnt, den Krebspatienten nicht schadet. Im Gegenteil: "Mit dem Ausdauertraining können wir eine deutliche Zunahme der Leistungsfähigkeit schon innerhalb weniger Wochen erreichen", berichtet der Sportmediziner.
Die Blut- oder Lymphknotenkrebs-Patienten hatten alle eine Hochdosischemotherapie und eine Knochenmarkstransplantation hinter sich. Durch das Training verbesserte sich ihre Belastbarkeit, das Knochenmark konnte sich schneller erholen: Die Anzahl der weissen Blutkörperchen und der Blutplättchen war deutlich höher als bei den Patienten, die keine Bewegungstherapie mitgemacht hatten. Außerdem brauchten die trainierenden Patienten weniger Schmerzmittel, insgesamt verkürzte sich der Klinikaufenthalt.
Bei dieser Bewegungstherapie handelt es sich um ein sechswöchiges Intervalltraining auf einem Laufband. In der ersten Woche gehen die Patienten fünfmal drei Minuten auf dem Band, unterbrochen von dreiminütigen Erholungsphasen. Allmählich steigert sich die Belastungsdauer, bis sie am Ende 30 Minuten am Stück gehen können. Schaffen manche von ihnen am Anfang des Trainingsprogramms nicht mehr als 160 Meter am Stück, sind sie nach vier Wochen zu einem "Tagesmarsch" von mehr als drei Kilometern ohne Unterbrechung in der Lage.
Die Geschwindigkeit wird dabei der individuellen Belastbarkeit angepaßt. "Die Trainingsreize werden so gestaltet, daß sich auch sehr schwache Patienten nicht überfordert fühlen", sagt Dr. Dimeo. Das Training läßt sich sogar im Bett durchführen: Das Laufband wird dabei durch ein sogenanntes Bettergometer ersetzt, mit dem die Patienten im Liegen "fahrradfahren" können.
Die sportliche Betätigung, das wissen viele Patienten zu berichten, verbessert nicht zuletzt auch die Stimmung, da die Selbständigkeit und damit das Selbstwertgefühl steigt. "Sie merken, daß sie selber beim Heilungsprozeß aktiv werden können, statt nur passive Zuschauer einer Therapie zu sein", betont Dr. Dimeo.
Diese Art der Bewegungstherapie, die übrigens bereits einen festen Bestandteil in der Rehabilitation bei anderen Erkrankungen (etwa Koronarherzkrankheit oder Diabetes) darstellt, ist prinzipiell für alle Krebserkrankungen geeignet, die mit schweren Einschränkungen der Leistungsfähigkeit einhergehen. Entsprechende Studien sind geplant. Eine weitere Untersuchung an Patienten mit Leukämie oder Lymphknotenkrebs hat am UKBF, unter Teilnahme der Charité und des Virchow-Klinikums, begonnen.
Eine Finanzierung des Sechs-Wochen-Programms für Krebspatienten ist bei den Krankenkassen beantragt; bislang wird dieses Training jedoch noch nicht allgemein angeboten. Interessierte können sich speziellen Sportgruppen für Krebskranke anschließen, die von der Berliner Krebsgesellschaft (Tel. 283 24 00/01) und vom Landessportbund Berlin e.V. (Tel. 300 02-144/150) angeboten werden.Anke Nolte
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