Das Dezember-Porträt: Sir Serotonin

Der Anatom-Professor Hans Georg Baumgarten


"Behandelt den Menschen nach seinem Verdienst, und wer ist vor Schlägen sicher?" So begrüßt mich Professor Dr. med. Hans Georg Baumgarten, seit 1979 Lehrstuhlinhaber für Anatomie an der FU, und will damit ausdrücken, da&szl ig; es doch über ihn gar nichts zu schreiben gebe, denn "ich bin nur ein ganz gewöhnlicher Mensch, der sich mit Fleiß und Ausdauer in eine gewisse Stellung hochgearbeitet hat".

Als nächstes zeigt mir dieser normale Mensch sein Werkverzeichnis, erläutert, an welchen Publikationen er zur Zeit arbeitet, erwähnt verschiedene nationale und internationale Konferenzen, auf denen er kürzlich gesprochen hat, erledi gt nebenbei diverse Telefonate in seiner Funktion als geschäftsführender Direktor des Instituts für Anatomie, reflektiert über seine Tätigkeit in der ärztlichen Fortbildung und mehreren anderen Bereichen, erklärt kurz se ine verschiedenen Forschungsschwerpunkte (zum Beispiel "Rezeptorligandenautoradiographie für Transmitter und Pharmaka im zentralen Nervensystem") und vergißt nicht, darauf hinzuweisen, daß er zu den Ranglistenführern in der internat ionalen wissenschaftlichen Zitierhäufigkeit des Faches Anatomie gehöre.

Professor Baumgartens favorisiertes Forschungsgebiet sind das Serotonin und seine Rezeptoren. In den 70er Jahren gehörte der jetzt 59jährige zu dem Kreis von Wissenschaftlern, die die ersten Grundlagen der Serotoninforschung erarbeiteten. "Ge hirn und zentrales Nervensystem waren damals terra incognita in Deutschland." Das Paradoxe am Neuromodulator Serotonin ist, daß ein per Rückenmarkpunktion festzustellender Mangel bislang nur bei schwer depressiven und suizidgefährdeten Pa tienten nachgewiesen ist, nicht jedoch bei anderen psychischen Erkrankungen, wie Zwangsstörungen oder Bulimia nervosa. Obwohl von einer Störung des Serotoninumsatzes bei anderen Erkrankungen also nicht ausgegangen werden kann, lassen sich aber b ei der pharmakotherapeutischen Manipulation des Serotoninsystems mit sogenannten Wiederaufnahmehemmern gute Ergebnisse erzielen. "Erstaunlich, was alles mit dem Serotonin zusammenhängt. Man muß den Ärzten ein verbessertes Verständnis seiner biologischen Bedeutung im zentralen Nervensystem vermitteln. Das ist wichtig, auch für die Patienten", schwärmt Professor Baumgarten, und man möchte mutmaßen, daß das Serotonin den engagierten Wissenschaftler sogar bis in seine Träume verfolgt.

Als Arzt, der auch über praktische Erfahrungen verfügt und der wissenschaftliche Erkenntnisse auch unter dem Aspekt ihres therapeutischen Nutzens für den Menschen betrachtet, begrüßt Professor Baumgarten die Integration der gr undlagenmedizinischen Institute in den Fachbereich Humanmedizin. "Für unseren Fachbereich ist ein regelmäßiger Austausch mit dem Klinikum unerläßlich", erklärt er und denkt dabei auch an den Nutzen der Neuordnung für d as Klinikum Benjamin Franklin. Da Berlin mit der CharitŽ und dem Virchow-Klinikum ein zweites Universitätskrankenhaus besitzt, stehe das Steglitzer Klinikum unter einem hohen Leistungsdruck. "Dabei gefährden die unverhältnismäßig en Haushaltskürzungen die Leistungsfähigkeit gerade auch im wissenschaftlichen Bereich. Eine zu knappe Grundausstattung kann die Attraktivität unseres Hauses für Drittmittelgeber in Frage stellen", warnt Professor Baumgarten. Sollte da s Land Berlin mit der Ausfinanzierung zweier Unikliniken überfordert sein, so mutmaßt er, hätten CharitŽ und Virchow die besseren Karten. Das Franklin-Klinikum als Landesklinik, das wäre dann ein "Westopfer". Baumgarten fordert desha lb ein Umdenken und Neustrukturieren innerhalb der Freien Universität zur optimalen Ausnutzung aller Ressourcen und verstärkte Dialoge mit den verantwortlichen Politikern.

Auch für seinen eigenen Fachbereich sieht er durchaus einen Reformbedarf. Als notwendige Grundlage medizinischen Denkens müßte die Anatomie im Curriculum einen neuen Stellenwert bekommen. Die vorklinische Studienzeit ist ihm zu kurz und überfrachtet mit theoretischem Wissen in zu vielen Teilbereichen. "Durch die verbesserten bildgebenden Verfahren, wie Kernspintomographie und Ultraschall, ist der Anspruch an die Ärzte, die Anatomie zu verstehen und deuten zu können, gr&ou ml;ßer denn je. Dem muß das Studium gerecht werden. Die Frage besteht, ob eine Massenuniversität das leisten kann."

Der Vater zweier "toller Töchter" will übrigens auch im Rentenalter nicht rasten. Gerne würde er wissenschaftlichen Verlagen als Lektor zur Verfügung stehen. Seine ersten literarisch-wissenschaftlichen Sporen verdiente sich Baumgart en übrigens im tierischen Bereich. Das Thema seiner ersten Dissertation: "Über die Muskulatur und die Nerven in der Darmwand der Schleie". Eine zweite folgte dann 1973 im schwedischen Lund und hatte "Serotoninneurotoxine" zum Thema.

Monica Brandis


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