Patientengeschichte: Strahlentherapie

A und O: Die lokale Begrenzung des Tumors


"Sagen Sie mir doch, daß es Krebs ist - und es hat sich!" war die erste fatalistische Reaktion von Nicole Fuchs*, "doch die Ärztin machte mir klar, daß eine Krebsdiagnose durchaus kein vernichtender Schicksalsschlag sein muß".
*Name von der Red. geändert

Durch eine Probenentnahme unter Narkose war bei Nicole Fuchs im Universitätsklinikum Benjamin Franklin ein Plattenepithel-Karzinom im Analkanal entdeckt worden. Das ist ein Tumor, der in der Schleimhaut des Darmausgangs liegt. Wie die umfangreiche n Untersuchungen ergaben, war der Tumor bei der 51jährigen Patientin auf eine einzige Stelle begrenzt und hatte auch keine Tochtergeschwülste entwickelt. "Vor allem aber war dieser Tumor so klein, daß wir ihn in die unterste Größenordnung T1 einreihen konnten", erklärt Dr. Birgit Nass-Beck, Assistenzärztin an der Abteilung für Strahlentherapie: "Bei solch günstigen Prognosefaktoren führen wir eine Radiochemotherapie durch, bei der die glei chen Ergebnisse erzielt werden wie bei einer operativen Entfernung des Enddarms."

Nach der Krebsdiagnose wurde Nicole Fuchs - hier im Gespräch mit ihrer Ärztin Dr. Birgit Nass-Beck - stationär mit einer Chemotherapie und ambulant mit einer Strahlenthera pie behandelt.
In der Radiochemotherapie wird eine fünfwöchige ambulante Strahlentherapie mit einer stationären Chemotherapie kombiniert. Die Patientin brauchte also nicht 'unters Messer'; sie besaß auch ohne Operation eine langfristig 70 - 80prozentige Heilungschance. Dabei hätte bei der entmutigenden Vorgeschichte auch alles ganz anders kommen können. Denn die beiden Ärzte, die die Patientin bei den ersten Krankheitszeichen aufsuchte, hatten vermeintli che Hämorrhoiden therapiert. Erst der dritte Arzt konfrontierte sie mit dem Ergebnis eines Krebsbefundes.

Zu Beginn und am Ende des Therapiezeitraumes kam Nicole Fuchs vier Tage auf die radiologische Station an den Tropf. "Ich habe die Chemotherapie ganz gut vertragen," sagt sie lächelnd und zeigt auf ihren dichten Schopf, "meine Haare sind alle wieder da!"

Die zweite Komponente der Kombinationstherapie ist auf die Zerstörung der Tumorzellen durch radioaktive Strahlen gerichtet. Die dafür eingesetzten Linearbeschleuniger sind weitaus sicherer als die früheren "Kobaltkanonen". So l ag die für Nicole Fuchs errechnete Gesamtstrahlendosis bei 45 Gray. Sie wurde in Einzeldosen zu 1,8 Gray aufgeteilt. Konkret bedeutete dies für die Patientin: Bestrahlung an 25 Tagen für jeweils weniger als eine Minute.

Die medizinische Aufgabe einer Strahlenbehandlung besteht darin, die "gesunden Zellen in der Umgebung des Tumors, so gut es geht, zu verschonen. Denn sie sind meist strahlenempfindlich und können durch die Therapie beschädigt werden" ;, erläutert Assistenzärztin Nass-Beck. Um das Bestrahlungsfeld auf die bösartigen Zellen zu begrenzen, wurden der Patientin in einer 'Generalprobe' ohne Bestrahlung farbige Strichmarkierungen auf die Haut gezeichnet. Ein fünfwöc higes Dusch- und Badeverbot war deshalb für Nicole Fuchs unumgänglich, denn die Markierungen dürfen nicht von der Haut abgewaschen werden. Für die Kosmetikerin war das Umsteigen auf Körperpuder "kein Problem", zumal das Pudern Nebenwirkungen vermeiden hilft. "Waschen führt zu verstärkten Strahlenreaktionen auch im gesunden Umgebungsgewebe des Tumors", erklärt Dr. Nass-Beck. Die Nebenwirkungen der Bestrahlung beschränkten sich bei Nicole Fuch s auf leichte Verdauungsstörungen und konnten durch eine Diät mit hohen Weißbrotanteilen in Schach gehalten werden.

14 Wochen nach der Beendigung der Radiochemotherapie stellten die Ärzte in einer ausführlichen Nachuntersuchung fest, daß die Behandlung erfolgreich war: ein Tumor war nicht mehr festzustellen. Das war vor einem Jahr. Fazit der Strahlen therapeutin: "Nach diesem Zeitraum und aufgrund des guten Ansprechens auf die Therapie besteht die medizinische Erwartung, daß Frau Fuchs auch für die Zukunft geheilt ist!" Jetzt reichen bei der Patientin vierteljährliche Kontrol luntersuchungen im Klinikum aus. Daß nun alles beim Alten ist, möchte Nicole Fuchs nicht sagen. Den Wunsch, noch einmal in ihren Beruf als Kosmetikerin zurückzukehren, wird sich die frisch aussehende, jugendlich wirkende Frau nicht ohne we iteres erfüllen können. "Eine Vierzig-Stunden-Woche schaffe ich nach dieser Krankheit nicht mehr", sagt sie mit einem Seufzer. "Es gibt jetzt Tage, wo ich fix und fertig bin, von nichts." Eine Krebserkrankung und ihre Behand lung sind eben keine Bagatelle. Zwar sei ihr Tag auch als Nur-Hausfrau ausgefüllt, aber "zwei Tage in der Woche wieder hinter einem Ladentisch zu stehen - das würde mir sehr gut tun", sagt Nicole Fuchs.

Sylvia Zacharias


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