Patientengeschichte

Mindestens sieben Jahre bis zur Diagnostik


Wenn morgens der Wecker klingelt, weiß Dajana Hamann nicht, ob sie pünktlich an ihrem Arbeitsplatz erscheinen kann. Schon das Aufstehen bereitet Mühe, denn die 24jährige wird von Schmerzen in den Armen, dem Rücken und der Hüfte geplagt. In die Badewanne zu steigen oder sich die Haare zu kämmen - alltägliche Handgriffe werden für die junge Frau zur Herausforderung. "Man kriegt die Arme vor Schmerzen nicht mehr richtig hoch", sagt sie, "bis die Schmerztabletten wirken, vergeht mindestens eine halbe Stunde."
Dajana Hamann leidet unter der Bechterew-Krankheit, einer chronisch-rheumatischen Erkrankung, deren Hauptmerkmal das Zusammenwachsen einzelner Glieder der Wirbelsäule ist. Erste Anzeichen bei Dajana Hamann waren heftige Hüftschmerzen vor drei Jahren. Als sie einen Orthopäden aufsuchte, vermutete der zunächst eine angeborene Fehlstellung der Hüfte als Ursache, dann die Vorstufe zu einem Bandscheibenvorfall. Heute, nach etlichen Besuchen in der Rheuma-Sprechstunde des Universitätsklinikums Benjamin Franklin (UKBF), weiß die Patientin, daß die Schmerzen von einer chronischen Entzündung des Kreuz-Darmbein-Gelenkes herrühren. Dieses Gelenk bildet den Abschluß der Wirbelsäule und hat funktionell keine große Bedeutung. Drei Symptome der Bechterew-Krankheit sind bei Dajana Hamann bereits aufgetreten: Entzündungen der peripheren Gelenke, wie etwa der Finger- und Fußgelenke, Entzündungen der Sehnenansatzpunkte sowie eine Regenbogenhautentzündung. "Außerdem können Hautveränderungen, wie die Schuppenflechte, auftreten sowie entzündliche Darmerkrankungen," so Dr. Jürgen Braun, Rheumatologe der UKBF-Sprechstunde. Nicht jeder Patient bildet alle Symptome aus, bemerkenswert ist jedoch, daß alle den gemeinsamen genetischen Marker HLA B27 haben.
Diesen Zelloberflächenmarker weisen beispielsweise in Berlin 9,7 Prozent der Bevölkerung auf. Von diesen rund zehn Prozent bleiben 80 bis 90 Prozent der Träger gesund. Bei dem Rest kann es zum Ausbruch der genannten Symptome kommen. "Die Grundlage für diese Krankheit ist noch nicht völlig erforscht, denn mit dem HLA B27 Marker ist erst ein Drittel der erblichen Disposition geklärt," erläutert Braun.
Einen großen Fortschritt in der Diagnostik hat der Einsatz der Magnetresonanztomographie gebracht, die das entzündliche Gewebe direkt darstellt, während die konventionelle Röntgendiagnostik lediglich die Folgen der Entzündung, also die Zerstörung des Knochens, zeigen kann. Obwohl die Krankheit nun früher erkannt werden kann, dauert es "durchschnittlich sieben Jahre bis zur Diagnose", sagt Braun.
Auf dem Gebiet der Therapie gibt es jedoch Fortschritte. Heute sind die Mediziner in der Lage, computertomographisch gesteuert eine Nadel in das Kreuz-Darmbein-Gelenk einzuführen und einen entzündungshemmenden Wirkstoff lokal zu spritzen. Diese Therapie hat bei Dajana Hamann gut angeschlagen. Zur Zeit kann sie sich ohne größere Schmerzen bewegen, nur weiß sie nie, wie lange das anhält. Eine Versteifung der Wirbelsäule hat noch nicht eingesetzt; sie kann im Spätstadium der Bechterew-Erkrankung zur vollständigen Bewegungsunfähigkeit führen. Unklar ist, wann dies geschehen wird und wie schnell der Prozeß fortschreitet. Das Spätstadium einer sogenannten Bambusstab-Wirbelsäule, bei der die einzelnen Körper nicht mehr unterscheidbar zu einem "Stab" zusammenwachsen, kann in wenigen Jahren erreicht sein, sich aber auch über 10 bis 20 Jahre hinziehen.
Therapeutisches Ziel ist es, die Krankheit aufzuhalten. Eine Heilung ist derzeit nicht möglich. Seit einigen Wochen nimmt Dajana Hamann an einer Physiotherapie teil, macht auch zu Hause gymnastische Übungen, um möglichst beweglich zu bleiben. "Man muß sehr diszipliniert sein, viel Gymnastik machen und hoffen, daß es noch sehr lange hin ist, bis zur Versteifung der Wirbelsäule."

Marion Knappe

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