Patientengeschichte
Neue Hoffnung für Kinder mit großen Gefäßtumoren
Station 046, Kinderchirurgie im Universitätsklinikum Benjamin Franklin. Judith sitzt in ihrem Kinderwagen und jammert leise vor sich hin. Die zarte Dreijährige hat eine mehrstündige Laserbehandlung mit Vollnarkose hinter sich. Das ist drei Tage her. Leidet sie vielleicht noch immer an Schmerzen? Nein. Wie die Kleine erklärt, ist sie traurig, "weil Oma nicht hier ist"! Doch heute gab es auch schon erste Anzeichen des Wohlbefindens, wie Judiths Mutter Heike Schwenker* berichtet: "Der Schwester fiel das Tablett aus der Hand, das hat Judith Spaß gemacht!"
Judith Schwenker hat seit ihrer Geburt eine seltene Gefäßfehlbildung in Form einer Wucherung aus Adergewebe (Hämangioendotheliom). Die Geschwulst, die ein Volumen von einem Liter hat, sitzt in ihrem rechten Brustkorb, einer chirurgisch schwer zugänglichen Körperregion. Wie ein großer, mit Blut gefüllter Schwamm behindert der Tumor Zwerchfell und Lunge, provoziert Rippenfellergüsse und stört die Blutbildung. Dabei wird die Zahl der Blutplättchen so sehr vermindert, daß Judith bei jedem Fall und jedem Stoß ein Bluterguß droht. Wenn Mutter und Kind sich alle vier bis sechs Wochen zur Behandlung von Judiths Krankheit auf den Weg nach Berlin machen, übernimmt daher die Krankenkasse die Flugkosten, weil bei einer Bahnfahrt eher eine Sturzgefahr für Judith besteht.
Die Onkologen in Krefeld haben Judith Schwenker vor eineinhalb Jahren zur Abteilung für Kinderchirurgie ins Universitätsklinikum Benjamin Franklin nach Berlin überwiesen. Sie ist eine der wenigen Einrichtungen in Deutschland, die auf die Lasertherapie einer seltenen Form großer, innerer Gefäßtumoren bei Kindern eingestellt ist.
Zur Behandlung eines Tumors von dieser Größe sind mehrere Laserungen nötig, weil der Chirurg bei einem einzelnen Eingriff nur ein Volumen in der Größe einer Pflaume bearbeiten kann. Ohne Therapie würden innere Gefäßschwämme bis zum Ende der kindlichen Wachstumsperiode weiterwuchern - mit dem Risiko von Blutungen, Infektionen und Organstörungen. Dieses Wachstum konnten die Mediziner bis zur Einführung der Lasertechnik vor 15 Jahren nicht einschränken: bei der konventionellen Skalpelltechnik droht die Gefahr der Verblutung. Und Medikamente können bei dieser Krankheit nicht viel ausrichten.
Heute wird der Laserstrahl über eine Punktionsnadel direkt in den Tumor eingeführt. Er schneidet nicht, sondern er koaguliert. Das heißt: Die Eiweißbestandteile der Zellen werden durch den Laserstrahl so weit erhitzt, daß sie gerinnen und ihre Funktion verlieren. "Das ist so einfach, wie ein Ei kochen. Ziel des Verfahrens ist die Schädigung des krankhaften Gewebes, die sogenannte Koagulationsnekrose", kommentiert Judiths Operateur, Assistenzarzt Dietmar Cholewa. Effekt: Die auf diese Weise abgetöteten Zellen können nicht mehr wuchern.
Dabei kommt Judith eine spektakuläre Neuerung zugute, die Prof. Wolfs Radiologen jüngst in Zusammenarbeit mit Prof. Waldschmidts Kinderchirurgen am Franklin-Klinikum einführten: die visuelle Unterstützung der Laserung durch den offenen Kernspintomographen (s. Kasten).
Für Judith rückte mit der 12. Therapiereise die Aussicht in greifbare Nähe, dem Tumor endgültig den Garaus zu machen. Fünf bis zehn weitere Laserungen sind bei ihr nach Cholewas Erfahrung noch notwendig. Danach haben, so hofft der Kinderchirurg, "nicht nur die bereits gestoppten Rippenfellergüsse, sondern auch die Blutergüsse ein Ende".
Für Mutter und Kind heißt es also zunächst weiterhin: Alle sechs Wochen ab ins Flugzeug nach Berlin. Auch wenn Spielzeug und bunte Bilder die kühle Klinikatmosphäre ein wenig überdecken, die kindliche Psyche reagiert doch auf das Leben im Krankenhaus und erholt sich nur langsam. Die Nachwirkungen der Therapiereisen schildert Heike Schwenker nicht ohne liebevolle Ironie: "Eine Woche nach unserer Rückkehr ist Judith noch "gnatschig". Wie ein kleiner General hält sie uns dann alle - Eltern, zwei Großmütter und ihren 6jährigen Bruder - auf Trab."
Sylvia Zacharias
* Name von der Red. geändert.
Zur Unterstützung der Lasertherapie:
Das Verfahren der offenen KernspintomographieJudiths Operationsverfahren vereint drei ärztliche Disziplinen - vertreten durch einen Kinderchirurgen, einen Radiologen und einen Anästhesisten - und zwei technische Großgeräte - einen Kernspintomograph und ein Lasergerät (s. obere Grafik).
Der Patient liegt während der Operation im Kernspintomographen, der im Unterschied zu herkömmlichen Geräten mit einer für den Chirurgen offenen zugänglichen Seite konstruiert wurde (s. untere Grafik). Dadurch wird der Tomograph selbst zum Operationstisch. Durch Magnetfelddiagnose mit dem Tomographen erhält der operierende Chirurg über Monitore fortlaufend Einblick in das Operationsgebiet. Das Tumorgewebe und seine Umgebung erscheinen während des Eingriffs alle drei Sekunden neu und detailgetreu auf dem Bildschirm. Damit befindet sich der Operateur auf sicherer Fährte. Er kann jetzt auch schwer zugängliche Bereiche mit der Punktionsnadel, die den Laserstrahl führt, gefahrlos erreichen.
Weil die Kernspintomographie ein störungsempfindliches Verfahren ist, das besonders negativ auf das äußere Magnetfeld reagiert, befindet sich die Operationsanordnung in einem besonderen, gegen äußere Magnetfelder abgeschirmten Raum. Für die Operation notwendige, aber gleichzeitig störende Geräte, wie das Lasergerät, ebenfalls ein Magnetfeldproduzent, stehen separat in einem Vorraum. Der Laserstrahl, das eigentliche Operationswerkzeug, wird von dort über eine 14 Meter lange Lichtfaser zum Patienten geleitet. Außerdem reagiert der Kernspintomograph temperaturempfindlich und zeigt die Erwärmung des Gewebes durch den Laserstrahl an. Die Ärzte können so im Auge behalten, ob der Laserstrahl benachbarte lebenswichtige Regionen wie Nerven oder Blutgefäße in Mitleidenschaft ziehen könnte, um dann die Laser-Behandlung gegebenenfalls abzubrechen.
Felicitas Wlodyga
Ihre Meinung: