Internationale Studie zur Brustkrebstherapie

Mäuse-Antikörper nicht mehr 'für die Katz'


"Alle Labor- oder Gewebsproben müssen wir zur Auswertung in die USA schicken. Zum Fotografieren wird eine Spezialkamera aus Genf angefahren, jeden Arbeitsschritt haben wir genauestens zu dokumentieren", berichtet Privatdozent Dr. Gerhard Schaller von der Frauenklinik des Berliner Universitätsklinikums Benjamin Franklin. Bei Schallers neuem Projekt geht es um die erste weltweit angelegte Prüfung eines Immuntherapeutikums gegen das metastasierte Mammakarzinom - also gegen Brustkrebs, der bereits Metastasen gestreut hat. Die Aufsicht führt die höchste Arzneimittelbehörde der USA, die Food and Drug Administration (FDA).

Zu den "erstklassigen Kliniken" - Originalton Schaller -, die zur Teilnahme ausgewählt wurden, zählt auch die Frauenklinik des Steglitzer Klinikums. Will Schaller sich vor der respektablen Institution nicht 'disqualifizieren', muß er die umfangreichen Durchführungsbestimmungen genau befolgen. Möglicherweise wird er dann der erste unter den Partnern der Studie in Deutschland sein, der eine Patientin mit dem neuen Präparat behandeln kann.



"Mit einem humanifizierten (Maus-)Antikörper steht der regulären Erprobung eines Immuntherapeutikums nichts mehr im Wege

Die Neuentwicklung ist Frauen vorbehalten, die an einem besonders aggressiven und schnell metastasierenden Brustkrebs erkrankt sind, laut Statistik sind das ein Drittel der betroffenen Frauen. Bisher ist eine operative Entfernung des Tumors mit anschließender Chemotherapie zur Bekämpfung der Metastasen die einzig wirksame Behandlung. Wegen der bekanntlich nicht nur lästigen, sondern auch gefährlichen Nebenwirkungen - Schaller nennt die Chemotherapie einen "Holzhammer, mit dem man ein Uhrwerk reparieren möchte" - wird seit vielen Jahren emsig nach Alternativen gesucht. Dabei entdeckten die Immunforscher bei den Zellen der aggressiven Krebsspezies einen Rezeptor, den sie HER-2/neu nannten. Dieses in der Zellwand von Krebszellen enthaltene Eiweißmolekül spielt eine wichtige Rolle bei der Wirkung bestimmter Wachstumsfaktoren und gilt als Schrittmacher für das hohe Tempo der bösartigen Zellteilung.

Relativ problemlos gelang bei den Versuchsreihen in der Immunforschung zunächst die Herstellung eines Antikörpers in der Maus. Er ist in der Lage, den an der Wand der Krebszelle sitzenden HER-2/neu-Rezeptor aufzuspüren, um dann seine Zerstörung durch körpereigene Immunzellen einzuleiten. Der Schlüssel für einen neuen Therapieansatz schien gefunden. Aber sehr bald zeigte sich ein Pferdefuß: Die Wirksamkeit der Maus-Antikörper beschränkte sich lediglich auf die erste Injektion. Nach einmaligem Gebrauch waren sie als Waffe unbrauchbar. Fazit: Antikörper der Maus (oder auch einer anderen Tierart) sind beim Menschen 'für die Katz', da das menschliche Immunsystem diese Hilfstruppen einer fremden Nation nicht wie Verbündete, sondern wie Feinde behandelt und sofort liquidiert.

Aus diesem Dilemma fand die amerikanische Firma Genentics, wie Schaller verrät, jedoch einen "pfiffigen Ausweg". Um im 'Überwachungsnetz' der menschlichen Immunabwehr hängen zu bleiben, mußte der Eindringling eine bestimmte Mindestgröße haben. Anders ausgedrückt: Nur was klein genug ist, kann durch die Maschen des Netzes schlüpfen. Diese Schwachstelle machten sich Genentics-Mitarbeiter zunutze. Sie ersannen einen Geniestreich, um den Maus-Antikörper für HER-2/neu entsprechend zu verändern.

Die 'intelligente' Identifizierung des Her-2/neu-Rezeptors durch das Maus-Immunglobulin wird nämlich durch einen kleinen Abschnitt des Antikörpers vorgenommen: die "erkennende Region". Und genau diese Region erwies sich als klein genug, um an den 'Aufpassern' vorbeizukommen. Darum trennten die Zell-Ingenieure sie heraus und hefteten sie einem menschlichen Antikörper an. Dabei fungiert das menschliche Immunglobulin vom Typ IgG als Speerschaft und die erkennende Region aus der Maus als Speerspitze, die selbsttätig ihr Ziel findet. Wird eine Krebszelle durch den Speer getroffen, ist sie für das Immunsystem sichtbar, das daraufhin seine 'Bodentruppen' zur Zerstörung der Krebszelle mobilisiert.

Mit einem solcherart "humanifizierten (Mäuse)Antikörper" steht der regulären Erprobung eines Immuntherapeutikums nun nichts mehr im Wege, resümiert Gerhard Schaller.



Privatdozent Dr. Gerhard Schaller forscht in der Frauenklinik des Klinikums in Zusammenarbeit mit der US-Arzneimittelbehörde FDA.

Bis zur endgültigen Entscheidung über die Einbeziehung in die Studie erhalten die Berliner Patientinnen weiterhin die herkömmliche Behandlung. Sobald grünes Licht aus den USA gegeben wird, gelangt das Präparat per Kurier innerhalb von 48 Stunden ans Klinikum. Allerdings kann es passieren, daß Schallers Patientinnen neben der Chemotherapie nur ein Plazebo bekommen. Da es sich um eine Doppellblind-Studie handelt, werden neben echten Medikamenten auch Scheinmedikamente eingesetzt. Grund: eine bewußt oder unbewußt herbeigeführte Verfälschung des Ergebnisses soll vermieden werden. Dadurch bleibt es bis zum Abschluß der Behandlung spannend und die wahre Natur des Testpräparates im Dunkeln. Erst nach Ablauf der zwölfmonatigen Behandlungs- bzw. Beobachtungszeit werden Dr. Schaller und seine Patientinnen wissen, ob sie auch wirklich das humanifizierte Antikörperpräparat aus den USA erhalten haben. Die künftige Bedeutung des neuen Mittels umschreibt der Frauenarzt mit vorsichtigem Optimismus: "Es kann die Chemotherapie ergänzen, vielleicht ist es aber in bestimmten Fällen eine realistische Alternative dazu."

Sylvia Zacharias


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