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FU-N 1-2/2000
Die Seite Drei

... und jetzt der Wetterbericht vom Meteorologischen Institut der Freien Universität Berlin, Temperatur in Dahlem: ... Dieser Satz gehörte vier Jahrzehnte lang zum identitätsstiftenden Sprachbestand der Stadt im Sonderstatus. Horst Malberg, Geschäftsführender Direktor des Instituts, erklärt Wetterregeln noch älterer Art – und was sie mit Wissenschaft zu tun haben.




Das Meteorologische Institut

   
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Von den Bauernregeln zur langfristigen Wettervorhersage
Vor Sophie lach nie – das Wetter


VON HORST MALBERG

Alles begann im Mai Ende der achtziger Jahre, als mich eine ältere Dame anrief, um ihrem Ärger über eine Fehlprognose unseres (ehem.) Institutswetterdienstes Luft zu machen. Am Ende des Gesprächs, offensichtlich war inzwischen ihr Vertrauen in unsere Vorhersagekunst wieder gewachsen, fragte sie mich, wie im Sommer das Wetter an der Nordsee würde. War nicht die 3-Tage-Vorhersage schon schwierig genug? Und nun die Frage nach einer 3-Monate-Prognose! Ich musste passen. "Warum versuchen Sie es denn nicht mit den alten Bauernregeln”, war ihre Antwort. Zuerst dachte ich, mich habe ein Pferd getreten. Aber der Impuls war da und so begann ich nach einer Zeit des Nachdenkens mit den Untersuchungen zu meinem Buch über die "Bauernregeln aus meteorologischer Sicht".

Seit 300 Jahren wird in Berlin gemessen, wie heiß oder kalt es einem werden kann. Illu: Meteorologisches Institut

Bei näherer Betrachtung der zahlreichen Wetterregeln wird schnell deutlich, dass diese bei allen alten Kulturvölkern zu finden sind.

Abendrot – Gutwetterbrot, Morgenrot – Schlechtwetter droht.

Wer denkt daran, dass diese Regel schon im alten Palästina bekannt war und bereits in der Bibel erwähnt ist (Matthäus-Evangelium). Die älteste Wetterregel im mitteleuropäischen Raum findet sich (in lateinischer Sprache) bei Albertus Magnus (1193-1280) und lautet:

Wenn sich die kellt im winter lindet, alsbald man schnees empfindet.

1505 erschien die erste gedruckte deutschsprachige Sammlung von "Pauernregeln" (Wetterbüchlein von L. Reynmanns). Wie an dem schon damals verwendeten Begriff deutlich wird, waren sich unsere Ahnen sehr wohl bewusst, dass es sich um Wahrscheinlichkeitsaussagen handelt, denn im Volksmund heißt es bekanntlich auch: "Keine Regel ohne Ausnahme".

Zum anderen fällt auf, dass es sehr unterschiedliche Arten von meteorologischen Bauernregeln gibt. Die erste Gruppe beschäftigt sich mit dem Wetter der nächsten 6 bis 12 Stunden. Ich habe sie "Wetterregeln" genannt. Die zweite Gruppe zeigt, dass unsere Vorfahren auch über die kalendergebundenen witterungsklimatischen Abläufe in ihrer Region gut Bescheid wussten ("Klimaregeln"). In die dritte Kategorie fallen schließlich Regeln, die eine langfristige Wettervorhersage zum Inhalt haben ("Witterungsregeln").

Insgesamt gibt es einige tausend mitteleuropäische Bauernregeln. Eine große Gruppe bilden dabei die "Ernteregeln". Ihr Ziel ist nicht eine Wettervorhersage, sondern die für die Vegetation gute wie schlechte Witterungsentwicklung in den Einzelmonaten im Hinblick auf die Ernteerträge zu beschreiben. Diese von mir als "Ernteregeln" bezeichneten Aussagen erwähne ich hier nur kurz.

April trocken, macht die Saat stocken.

Im Juni, Bauer bete, dass der Hagel nicht alles zertrete.

Viele Regeln sind an mehreren Orten unabhängig voneinander entstanden und beschreiben denselben Sachverhalt in mannigfachen Variationen; manche Regeln sind allerdings ortsgebunden, so dass ihnen keine überregionale Bedeutung zukommt. Einige Beispiele sollen die Art und die Güte der überlieferten meteorologischen Bauernregeln veranschaulichen.



Wetterregeln


Je weißer die Schäfchen(wolken) am Himmel steh'n, desto länger bleibt das Wetter schön.

Ist die Sonne von einem Ring umgeben, sei ganz sicher, es gibt bald Regen.

Schäfchenwolken zeigen an, dass keine größere vertikale Wolkenentwicklung stattfinden kann. Da die dafür verantwortlichen atmosphärischen Sperrschichten in Hochdruckgebieten auftreten und diese in der Regel nur langsam weiter ziehen, wird in absehbarer Zeit kein Regen zu erwarten sein. Anders, wenn die Sonne von einem regenbogenfarbigen Ring (Halo) umgeben ist. Er weist auf eine dünne, kaum sichtbare Wolkenschicht aus Eiskristallen in 6-10 km Höhe hin, in der durch Lichtbrechung der farbige Ring entsteht. Der Halo, genauer die Cirruswolken, sind die Vorboten eines vollentwickelten Tiefs mit Niederschlägen, vor allem über See auch mit Sturm. Daher lautet die Regel an der Küste:

Ring (Hof) um de Maan (Mond), dat mach wohl gan, doch Ring (Halo) um de Sun, da schrei‘n Schippers Frau un Kinner rum.

Die vielen Kurzfristregeln, zu denen auch die ersten beiden Regeln gehören, sind von hoher Zuverlässigkeit und stimmen heute noch ebenso wie vor Jahrhunderten. Jede sichtbare Erscheinung in der Atmosphäre gibt Aufschluss über physikalische Prozesse. Unsere Vorfahren konnten diese Signale nur beobachten, jeder Meteorologie-Studierende sollte ihre physikalischen Ursachen und meteorologischen Zusammenhänge spätestens im Hauptstudium erklären können.



Kalendergebundene Klimaregeln


Wenn die Tage langen, kommt der Winter erst gegangen.

Dass es im Sommer warm und im Winter kalt ist, ist trivial. Aber warum sind die Monate Januar/Februar die kältesten, obwohl die Tage schon wieder länger werden, also die von der Sonne zugestrahlte Energie bereits wieder zunimmt? Ein Rätsel für unsere Ahnen. Sie wussten nichts von den ausgekühlten Luftmassen unter dem Einfluss der Polarnacht, wodurch in Sibirien oder Nordskandinavien die Temperaturen bis -50°C oder darunter zurückgehen. Mit Winden aus Ost bis Nord stößt diese Kaltluft dann bis zu uns vor und sorgt für die größte Winterkälte trotz bereits wieder zunehmender Sonneneinstrahlung.

Kalendergebundene Witterungserscheinungen sind auch die Eisheiligen im Mai oder die Schafskälte Mitte Juni.

Ehe nicht Pankratius, Servatius, Bonifazius vorbei (12.-14.Mai), ist nicht sicher vor Kälte der Mai – bzw. in Süddeutschland: Vor Sophie (15. Mai) - lach nie.

Kälterückfälle sind Anfang bis Mitte Mai keine Seltenheit. Der Bauer fürchtete sie, wenn sie mit Nachtfrost verbunden sind, denn:

Frost im Mai, schadet Hopfen und Wein, Bäumen, Sträuchern, Korn und Lein.

Nach einer warmen Periode Ende April, wenn die Natur in voller Blüte steht, ist Frost gleichbedeutend mit erheblichen Vegetationsschäden und damit Ernteeinbußen. Noch heute gilt für jeden Kleingärtner, der auf Nummer sicher gehen will, seine Tomatenpflanzen erst nach den Eisheiligen auszusetzen. Mitte Juni ist zwar kein Frost mehr zu erwarten, doch kann ein plötzlicher Temperatursturz den frisch geschorenen Schafen schaden.


Witterungsregeln

Wie das Wetter an (um) Siebenschläfer sich verhält, ist es sieben Wochen lang bestellt.

Die bekannteste Witterungsregel ist wahrscheinlich die Siebenschläferregel. Sie ist eine der sogenannten Lostagsregeln, die eine mehrwöchige bis mehrmonatige Witterungsvorhersage erlauben. Untersucht wurde die (statistische) Eintreffwahrscheinlichkeit dieser Regeln primär auf der Grundlage der Dahlemer Klimareihe (seit 1908). Anhand dieser Regel soll erläutert werden, wie vielfältig die Fragen sind, die sich bei der Untersuchung der langfristigen Bauernregeln ergeben.

Erstens: Wann ist Siebenschläfer? Nun könnte man denken, dass ein Blick in den Kalender die Antwort gibt, denn dort ist er am 27. Juni vermerkt. Aber gab es nicht 1582 die Gregorianische Kalenderreform, bei der Kalender und Sonnenstand wieder in Übereinstimmung gebracht wurden, indem auf den 4. Oktober am nächsten Tag nicht der 5., sondern der 15. Oktober folgte? Meteorologisch gesehen, müssen folglich auch alle älteren Lostagsregeln nach hinten verschoben werden.

In der Tat ist es die Zeit um den 5. Juli, in der sich der Charakter unseres mitteleuropäischen Hochsommers entscheidet. Hat sich nämlich zu dieser Zeit der subtropische Hochdruckgürtel bis nach Mitteleuropa verlagert, wird das Azorenhoch aufgrund der Erhaltungsneigung der Atmosphäre in den Folgewochen überwiegend das Wetter bestimmen. Hat sich aber Anfang Juli die subpolare Tiefdruckrinne den mittleren Breiten genähert, gibt das Islandtief in den nächsten Wochen den Takt an.

Zweitens: Warum beträgt die Zeitspanne sieben Wochen? Können es nicht auch fünf oder acht sein? Sieben ist eine mythologische Zahl; denken wir z.B. an die sieben fetten und mageren Jahre, die sieben Plagen und Weltwunder, an Schneewittchen und die sieben Zwerge usw. Daraus folgt: es spricht nicht gegen die Bauernregel, wenn der Hochsommer sich nicht an die magische Zahl sieben hält. Sie steht nur für eine größere Zahl, für eine längere Zeitspanne.

Drittens: Wieso sind die Lostagsregeln an christliche Namenstage angebunden? Sicher nicht, weil unsere Vorfahren dem Irrglauben verfallen waren, die Heiligen würden das Wetter der Folgewochen bestimmen. Der mittelalterliche Mensch konnte in der Regel weder lesen noch schreiben, doch er wusste genau Bescheid über die kirchlichen Feiertage. So wundert es nicht, dass sich auch die Termine für den Zehnt, also die Abgabe der Naturalsteuern in Form von Korn, Obst, Wein usw. an den kirchlichen Tagen orientierte.

Viertens: Wie gut sind denn nun die Witterungsregeln? Im Durchschnitt haben sie eine Eintreffgüte von rund 65%, d.h. ihre qualitativen Aussagen führen in zwei von drei Fällen zum richtigen Ergebnis. Aber es gibt auch Spitzenregeln mit einer Eintreffwahrscheinlichkeit von über 80%. Dass aber ihre Güte auch regional verschieden sein kann, wird daran deutlich, dass die Siebenschläferregel im Berliner Raum eine Eintreffwahrscheinlichkeit von 65% hat, im Alpenvorland aber in 80% der Fälle den Hochsommer gut abschätzen läßt.


Wissenschaftliche Langfristprognosen an der FU oder: Die Kunst des (Un-)Möglichen


Seit den Arbeiten zur Chaostheorie durch Ed Lorenz ist jedem Meteorologen bewusst, dass die Atmosphäre chaotische Eigenschaften aufweist. Raum- und zeitabhängig gelangen die Wettersysteme in ihrer Entwicklung immer wieder an Verzweigungspunkte, an denen z. B. der (zufällige) "Flügelschlag einer Libelle" in Toronto darüber entscheidet, ob sich nachfolgend ein normales Tief oder ein Orkantief über der Nordsee entwickelt. Bei den deterministischen Kurz- und mittelfristigen Wettervorhersagen (bis zu 14 Tagen) kann man den chaotischen Einfluss auf die Wetterentwicklung offenbar im allgemeinen vernachlässigen. Je länger jedoch der Vorhersagezeitraum wird, um so stärker wirken sich die zufälligen, die chaotischen Effekte, auf die Wetterentwicklung aus.

Damit stellt sich die grundsätzliche Frage: Ist die langfristige Wettervorhersage nicht ein Widerspruch zur Chaostheorie? Darf man überhaupt Langfristprognosen machen, ohne in die Nähe des Kaffeesatzlesens gerückt zu werden? Viele Theoretiker haben sich über diese Frage den Kopf zerbrochen.

Eine mögliche Antwort geben die Bauernregeln. Wie anders als über ein integriertes, d. h. bedingt beherrschbares Chaos lassen sich die Eintreffgenauigkeiten mehrmonatiger Witterungsregeln verstehen?

Ist der Oktober lind und fein, so folgt ein strenger Januar drein.

Diese Bauernregel hat eine Eintreffwahrscheinlichkeit von deutlich über 90%, sofern – wie die Untersuchungen ergaben – der Oktober mindestens 1,5°C wärmer als der vieljährige Durchschnitt und beim Niederschlag trockener als normal ausfällt. Auch der für viele überraschend strenge Winter 1995/96 war mit dieser Regel vorhersagbar gewesen und ebenfalls mit der nachfolgend geschilderten Methode in der Berliner Wetterkarte der FU vorhergesagt worden.

Ein warmer und trockener Oktober ist die Folge von hohem Luftdruck über Mitteleuropa, d.h. der anhaltende Hochdruckeinfluss im Oktober ist ein Indikator für die Witterung drei Monate später. Unseren Vorfahren war es nur möglich, diese Indikatoren im Luftdruckfeld (an ihren Auswirkungen) zu erkennen, wenn sie in der Region auftraten, wo sie lebten. Die moderne Meteorologie aber verfügt über die tägliche bzw. monatlich gemittelte Luftdruckverteilung rund um den Globus. Sie kann folglich nach potenziellen Zusammenhängen zwischen der Witterung in Deutschland (z.B. im Juli) und den Luftdruckverhältnissen, also der großräumigen Zirkulation, in den Vormonaten suchen.

Auf Grund der nahe liegenden Annahme, dass ein kalter Winter bzw. ein kühler Sommer eine andere Vorgeschichte (Vorzirkulation) haben muss als ein milder Winter bzw. heißer Sommer, wurden eingehende statistische Analysen zwischen den Monatsmitteltemperaturen von Berlin im Zeitraum 1946-93 und den jeweils vorhergehenden Luftdruckwerten auf der Nordhalbkugel durchgeführt. Auf diese Weise wurden alle jene Gebiete (gewissermaßen Attraktoren im Sinne der Chaostheorie) ermittelt, die eine hoch signifikante Beziehung zur Temperatur der Folgemonate in Berlin aufweisen. Diese Gebiete können je nach Jahreszeit über Island, Grönland, Skandinavien, Sibirien, Nord-Amerika oder dem Pazifik usw. liegen. Mittels Regressionsgleichungen wurden sodann die quantitativen Zusammenhänge bestimmt.

Seit einigen Jahren bin ich mit zwei Doktoranden, Rainer Dettmann und Thomas Deutschländer, bemüht, auf der Grundlage dieses Ansatzes ein statistisches Modell der langfristigen Temperaturvorhersage zu entwickeln. Die erste Entwicklungsstufe ist abgeschlossen, so dass wir zurzeit zum Beginn eines jeden Monats eine fünfmonatige Vorhersage für sechs deutsche Regionen sowie für Stockholm berechnen können. Unsere monatlichen Prognosen umfassen neben der Vorhersage der Monatsmitteltemperatur zusätzliche Aussagen über die Zahl der Frosttage (nachts unter 0°C) und Eistage (tags und nachts unter 0°C) im Winterhalbjahr sowie der Sommertage (mittags über 25°C) und Hochsommertage (mittags über 30°C) in der warmen Jahreszeit.

Das Interesse in der Öffentlichkeit an langfristigen Wettervorhersagen ist groß und wird in dem Maße zunehmen, wie die Prognosenzuverlässigkeit gesteigert werden kann. Potenzielle Interessenten sind u.a. die Medien, die Bau- und Kraftwerksindustrie im Winter, die Eis- und Getränkehersteller im Sommer. Auch der Handel (Bekleidung, Schlittschuhe) hat in einzelnen Fällen seinen Einkauf schon an unseren Prognosen orientiert. Da es ferner möglich ist, aus der vorhergesagten Lufttemperatur auch die Badetemperatur von Ost- und Nordsee sowie die Dauer der Badesaison abzuleiten, werden die Vorhersagen auch für die Touristikindustrie zunehmend interessant sein.

Für die Landwirtschaft ist, wie für viele andere Bereiche auch, zur Temperaturprognose noch eine Vorhersage der monatlichen Niederschlagsmengen von großer Bedeutung. In diesem Punkt stehen wir noch ganz am Anfang.


Wie gut ist die Wettervorhersage?


Zum Abschluss soll natürlich noch die derzeitige Güte unserer langfristigen Temperaturvorhersagen angesprochen werden. Wie die mehrjährige Verifikation zeigt, ist sie (in Anbetracht der Probleme) für die Sommer- und Wintermonate zufriedenstellend, während uns die Übergangsjahreszeiten mehr Kopfzerbrechen bereiten. An der mittleren Eintreffwahrscheinlichkeit von 70% wird deutlich, wieviel Entwicklungsarbeit auf diesem ökonomisch so wichtigen Feld noch zu leisten ist. Dieses gilt auch für jene Ansätze, bei denen mit numerischen Vorhersagemodellen versucht wird, das atmosphärische Chaos in den Griff zu bekommen. Niels Bohr, der berühmte dänische Physiker, hat einmal gesagt: "Prognosen sind immer schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen."