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Der "Trichinen-Tempel" war eine Attraktion am Tag des offenen Denkmals
Schafe ohne Wolle, Kühe mit kleinen Eutern

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Der "Trichinen-Tempel" war eine Attraktion am Tag des offenen Denkmals


Schafe ohne Wolle, Kühe mit kleinen Eutern

Das theatrum anatomicum ist der älteste Hörsaal Berlins.
Foto: Dahl

"Weil der Mangel an guten Tierärzten für das Land und die Kavallerie von der allertraurigsten Folge sei", beauftragte der preußische König Friedrich Wilhelm II in den späten 1780er Jahren seinen Oberstallmeister Graf von Lindenau, nach französischem Vorbild eine Tierarzneischule zu gründen. Denn ohne gesunde Pferde konnte die preußische Armee keinen Krieg gewinnen. Gleichzeitig lösten Tierseuchen zu Beginn der Neuzeit verheerende Hungersnöte aus. Innerhalb weniger Jahre ließ der meistbeschäftigte Baumeister seiner Zeit, Carl Gotthard Langhans d.Ä., die königliche Roßarzneischule im streng klassizistischen Stil erbauen. Noch heute zählt das 1790 fertiggestellte theatrum anatomicum, auch Zootomie genannt, in der Luisenstraße zu den spannendsten, wenn auch versteckten Sehenswürdigkeiten der Stadt. "Wir sind völlig überrascht worden von dem großen Andrang", erzählt Prof. Dr. Dorothea Beutling, die am Tag des offenen Denkmals rund 350 Interessierte durch die ehemalige königliche Roßarzneischule führte.

Nach dem Vorbild des theatrum anatomicum in Bologna schuf Langhans, die erste frei tragende Kuppel Berlins. Sie sorgt gemeinsam mit den acht Rundbogenfenstern für ausreichendes Tageslicht. Das Stammhaus der veterinärmedizinischen Ausbildung in Berlin wurde wie ein Amphitheater angelegt, das heißt, die grauen hölzernen Sitzreihen zeigen im Grundriss einen Dreiviertelkreis, nur die obere Reihe verläuft als Galerie im vollen Rund. Ein Schüler von Antoine Pesne und Direktor der Akademie der Künste, Bernhard Michael Rode, übernimmt die Ausmalung, die der "Huldigung der Tiere im Dienste der Menschen" gewidmet ist. "Sehen Sie", sagt Dorothea Beutling und deutet auf die braunen Fresken, "durch Rode wissen wir, wie die Nutztiere um 1800 aussahen. Die Schafe noch ohne Wolle an den Fesseln, die Ziegen mit gedrehten Hörnern, Kühe mit sehnigen Muskeln, doch mit kleinen Eutern und Hunde – wie Dalmatiner ohne schwarze Flecken."

Die ersten 46 Eleven, die auf den hölzernen Bänken der Tierarzneischule ab 1790 Platz nehmen, sollen "rohe Burschen ohne ausreichende schulische Vorbildung gewesen sein", mit denen ein Kopist erst einmal Lesen und Schreiben üben muss. Wilhelm von Humboldt ist denn auch über die wissenschaftliche Leistung der Tierarzneischule wenig erbaut und fordert ihre Eingliederung in die Universität. Zu wissenschaftlichem Ruhm kommt die Tierarzneischule in nach 1820, als berühmte Anatome wie Ernst Gurlt, Heinrich Hertwig, Johann Spinola und Christian Gerlach hier lehrten. Um die Jahrhundertwende genießt die Tierärztliche Hochschule, wie sie seit 1887 heißt, höchste internationale Anerkennung. 1910 und 1918 folgen das Promotions- und Habilitationsrecht.

"Hier sieht man noch den Kreis der Hebeanlage", sagt Dorothea Beutling und deutet auf den PVC-Boden. Früher wurden die Pferde im Sektionsraum im Souterrain auf einem Tisch zerlegt und präpariert und mit Hilfe einer Hebeanlage ins Erdgeschoss befördert. Heute lagern im Sezierraum Lehrmaterialen wie Fische und anderes Getier in Spiritus und Alkohol, außerdem Sezierbesteck. "Angler bekommen Sie hier kaum heraus", sagt Dorothea Beutling und weist den Besuchern den Weg zur Bibliothek, die wegen ihrer drei klassizistischen Schränke mit Würfelgesims und Ziegenköpfen sehenswert ist.

Inzwischen dient der stark renovierungsbedürftige Langhans-Bau kaum noch als Hörsaal, sondern als Ort für wissenschaftliche Abend- und Festveranstaltungen sowie als Touristenattraktion. Wo einst die berühmten Mediziner Virchow und Koch lehrten, stehen Filmschauspieler vor ihren vermeintlichen Studenten. "Wer hat schon so einen alten Hörsaal", meint Dorothea Beutlinger stolz und berichtet, wie die DEFA die Studienzeit von Karl Marx in den Langhans-Bau verlegt hat. Rosa von Praunheim hat ebenfalls gerade einen Film über den Sexualforscher Magnus Hirschfeld dort spielen lassen.

"Haben Sie vielleicht Informationsmaterial", will eine Zuhörerin von Dorothea Beutlinger am Ende der Führung wissen und erhält einen Spendenaufruf. Zwar wurde zur 200-Jahrfeier der Veterinärmedizin 1990 der Eingang notdürftig renoviert, doch die weiße Fassade bröckelt an allen Ecken und Enden. Jüngst hat ein Baum den Oberkiefer eines des sechzehn Schädel an der Außenwand zerstört. Mehrere Millionen Mark soll die Renovierung des Gebäudes kosten, in dem heute die Lebensmittelhygiene untergebracht ist, die seit der Verlagerung der Veterinärmedizin 1993 zur Freien Universität gehört.

Felicitas von Aretin

Der "Trichinen-Tempel" kann während der Vorlesungszeit wochentags bis 16 Uhr besichtigt werden.
Interessierte wenden sich bitte an Prof. Dr. Dorothea Beutling, Tel.: 2093 60 11
Wer zum Erhalt des Gebäudes beitragen möchte, kann seine Spende auf das Konto bei der Berliner Bank AG "Trichinen-Tempel", Kontonummer: 390 20 703 00, BLZ: 100 200 00 überweisen.