Das Collegium Musicum wird fünfzig und erinnert sich launig an die Anfangsjahre
Brandenburgische Konzerte gegen warme Mahlzeit
Monsignore Karl Forster leitet das Collegium Musicum während einer Veranstaltung 1957. (Foto: Friedrich )Die Gründungsmitglieder der FU hatten wirklich alle Hände voll zu tun. Zum Jubiläum haben wir gerade wieder die Bilder gesehen, wie sie Karren schieben, Pakete auspacken, Trümmer entsorgen, nebenher noch studieren. Was haben diese ausgemergelten Gestalten eigentlich abends getrieben? Todmüde ins Bett? Irrtum, die Geige in den Kasten geworfen und dann wieder ab zur Probe in die Boltzmannstraße. Dort war wenigstens einigermaßen geheizt.
Professor Theodor Jacobi, der auch an der Musikhochschule unterrichtete, hat seit der ersten Stunde die Musizierwütigen um sich geschart. Einige dieser Unimusik-Pioniere sind jetzt wieder aufgetaucht. Sie erinnern sich meist noch sehr genau an den Chef von damals. Was sich aus den -spärlichst - vorhandenen Akten der Gründerzeit rekonstruieren läßt, wird in ihren Schilderungen mit Leben gefüllt. An den Motiven, abends noch einmal mit Instrument und/oder Noten auf dem Campus aufzukreuzen, hat sich in den letzten 50 Jahren offensichtlich nicht viel verändert. Lust auf Musik und ,,die Familie`` hält den Laden zusammen.
Letzteres war damals, vor fünfzig Jahren, übrigens noch viel wörtlicher zu verstehen als im heutigen Massenbetrieb. Im Collegium Musicum trafen mehrere Generationen zusammen, die Gattin des Dirigenten saß am Konzertmeisterpult, und wenn die Notenhefte mal knapp waren, mußte man mit seinem Prof eben aus einer Stimme singen. Ein Germanistik-Professor erschien mit seinen drei Söhnen im Orchester. Mindestens einer davon war offensichtlich nicht ganz freiwillig mitgekommen, er erinnert sich heute jedenfalls an den verlorenen Posten am letzten Geigenpult, direkt vor der Reihe der Sopranistinnen, die ihm immer wieder zeigen mußten, wo die Musik spielt.
In den Archivschränken lagern auch stumme Zeitzeugen dieser Jahre. Nicht jedes Musikinstrument hatte die Kriegswirren mit Bombenhagel und Vertreibung überlebt, so daß etliche Orchestermitglieder mit leeren Händen zur Probe kamen. Für diese mußte ein Fundus von Leihinstrumenten beschafft werden. Nun ist, nüchtern betrachtet, die Geige ein Stück Holz und die Uni eine Behörde. Zur Kennzeichnung von Büromöbeln aller Art gab es den FUB-Brandstempel, schön heiß gemacht und tief in den Lack gedrückt, dazu mit einer Büroklammer die Inventarnummer eingeritzt ... so pragmatisch war die Kriegsgeneration. Heute ist die Geige ein Wertobjekt, und wer zum Orchester kommt, bringt sein Instrument selbst mit.
Die musikalischen Programme der Anfangsjahre richteten sich nach den Fähigkeiten der Mitglieder und der Größe der beiden Ensembles. Das Hauptgewicht lag demnach auf Werken des Barock. Im Notenfundus finden sich auch einzelne Märsche und festliche Einzugsmusiken, die für den dienstlichen Teil des Repertoires beschafft wurden. Der ,,Muff unter den Talaren`` war damals ja akademischer Alltag, noch unhinterfragt und nicht so streng empfunden, und wenn die Magnifizenzen und Spektabilitäten im Ornatsschmuck Einzug hielten zur Immatrikulationsfeier oder Rektoratsübergabe im Titania-Palast, war die Festmusik das Sahnehäubchen (oder doch eher: die Pickelhaube?) der ganzen Zeremonie.
Aber Theodor Jacobi hatte auch viel übrig für Unkonventionelles. Für Entdeckungen in Alter Musik oder für Zeitgenössisches war er immer zu haben und konnte es dank seiner Gabe, die Leute persönlich anzusprechen und zu motivieren, dem ganzen Ensemble schmackhaft machen. Was, vor allem beim Chor, nicht immer so leicht war. Eines Tages scheint ihm da ein besonderer Coup geglückt zu sein. Es stand die deutsche Erstaufführung der Messe von Igor Strawinski durch den RIAS-Kammerchor an. Jacobi studierte das Werk mit dem Chor des Collegium Musicum ein, verpflichtete unter der Hand die mit der Komposition schon vertraute Bläsergruppe der RIAS-Produktion und brachte die Messe als erster in Deutschland heraus, in einem Hörsaal des damaligen physiologischen Instituts der FU (dem heutigen Biologischen Bundesamt) in der Königin-Luise-Straße!
Die Musik nahm die Studierenden aber nicht nur einen Abend in der Woche in Beschlag. Sie brachte Freunde zusammen, etwa bei abendlichen Kammermusiksitzungen in einer elterlichen Villa. Und sie brachte auch Handfestes ein, etwa eine ,,Mucke`` beim Knopffabrikanten in Wannsee: 4. Brandenburgisches Konzert gegen eine warme Mahlzeit. Für die Mitwirkung als SolistIn im Collegium Musicum gab es sogar Bares, 5,- DM war anfangs der Regelsatz. Wer nicht allzu klassisch orientiert war, konnte sich auch beim ,,Zinnober-Ball`` der Kunsthochschule profilieren. Hier waren zwei Klarinettisten, Studenten der Medizin und Zwillinge, in ihrem Element und immer für einen humorvollen Gag zu haben.
Das Jahr 1954 brachte einen gewissen Einschnitt in diese frühzeitliche Idylle. Professor Jacobi wurde, scheint es, von einer unrühmlichen Vergangenheit eingeholt. Immerhin hatte er zwanzig Jahre früher als Dirigent des Berliner Lehrergesangsvereins Hitler bei einer Privataudienz mit Lobeshymnen sehr erfreut. Das Collegium Musicum an der TU wurde damals geleitet von Monsignore Dr. Karl Forster, dem sehr renommierten Dirigenten des St.Hedwigs-Chores, und man einigte sich darauf, beide Institutionen zusammenzuschließen. Neuer Probenort wurde (und ist es bis heute geblieben) der im April eingeweihte Henry-Ford-Bau, wo dann künftig auch die Sommerkonzerte stattfanden. Das AudiMax, heute wegen seiner problematischen Akustik und der Randlage kein besonders nachgefragter Raum für musikalische Klassik, war für einige Jahre geradezu ein ,,Mekka`` für Konzertbesucher.
Diese Funktion übt heute eher die Philharmonie aus, wo seit 1980 die Semesterabschlußkonzerte des Collegium Musicum stattfinden. Zur nächsten Veranstaltung am 4.2.99 um 20 Uhr im Großen Saal unter der Leitung von Manfred Fabricius sind etliche Ehemalige eingeladen worden. Etwa 140 von ihnen werden bei der Zugabe aktiv mitwirken, zusammen mit allen vier gegenwärtigen Ensembles.
Bernhard Wyszynski
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