50 Jahre FU
Von der Zeit der größeren Bewegung zur Zeit der kleineren Beweglichkeit
Die Freie Universität Berlin war in Bewegungsjahren, in denen
manche Akteure und die diesen mental zugeordneten Gegenspieler zu der Einschätzung
gelangten, eine über die Hochschulen hinausgreifende gesamtgesellschaftliche
Umgestaltungssituation sei unmittelbar bevorstehend bzw. unbedingt zu vereiteln,
zu einer zentralen Adresse für die bundesdeutsche Hochschullandschaft
geworden. Aber auch die "Etablierten" jener Jahre, denen manche Revolte
an der Universität zu schaffen machte, waren auch aus anderem Denken
heraus zu der Ansicht gelangt, daß von den Universitäten und
Hochschulen des Landes Berlin für von ihnen für geboten gehaltene
Änderungen im Gefüge dieser Einrichtungen nicht genügend
Eigenenergie zu erwarten war.
Die Erörterungen über den Reformwillen und die Modernisierungsfähigkeit
des Hochschulwesens währten seit dem Ende des 2. Weltkrieges. Sie
kamen eigentlich nie völlig zum Erliegen, die Fortführung der
alten Grundgegebenheiten wurden dadurch aber nicht wesentlich beeinträchtigt.
Auch für neu gegründete Einrichtungen - wie die Freie Universität
Berlin - bestand ja ein hoher Anpassungsdruck im Hinblick auf die Akzeptanz
bei den Einrichtungen mit langer Tradition.
Neue Organisations-, Personal- und Studienstrukturen
Durch den international ausgerichteten, komparatistischen Blick auf
die Bildungssysteme anderer Staaten war auch in diesem Lande in gewisser
Weise die Vorstellung von einem bestehenden, aber unbedingt zu behebenden
Notstand gewachsen. Um aber solchen Modernisierungsvorstellungen, die in
Zeiten wirtschaftlicher Prosperität eher auf die Erreichung solcher
Ziele im Wege des Größenwachsstums ausgehen konnten, den Rahmen
schaffen zu können, mußte an neue Organisations-, Personal-
und Studienstrukturen gedacht werden. In diesem Rahmen ist der von studentisch
geprägten Formationen, die je für sich über die Hochschulen
hinauszielten, mit zunehmender Prononcierung vorgetragene Unwille einbettbar.
Die unterschiedlich motivierten Änderungsansätze fanden in
Berlin ihren Niederschlag in entsprechender Gesetzgebung, der ein Vorschaltgesetz
vorauslief, das zum Teil Ausgestaltungsmöglichkeiten zuließ,
die schon das Universitätsgesetz von 1969 nicht mehr so unbesehen
einräumte. Gleichwohl schuf das neue Gesetz die Voraussetzungen für
- zumindest äußerlich - neue Wege in der Binnenstruktur der
Freien Universität Berlin, in dem die bisherigen sechs Fakultäten
und die interfakultativen Einrichtungen durch eine Vielzahl von kleineren
fachlichen Zuordnungen (den Fachbereichen und Zentraleinrichtungen) abgelöst
wurden. In diesen wurden neue Entscheidungsstellen, die Fachbereichsräte,
vorgesehen, in denen nach einem austarierten Schlüssel den vier "Ständen"
jedes Bereichs Mitwirkungsmöglichkeiten gegeben wurden. Auch auf dieser
dezentralen Stufe wurden noch weitere entscheidungswirksame Gremien vorgesehen,
die wie die Ausbildungskommissionen für ihr Aufgabenfeld ein eigenes
Gewicht erhielten. Dies wurde noch dadurch verstärkt, daß 50%
der Sitze Studentenvertretern zukamen. Dies sollte verdeutlichen, daß
nicht nur äußerliche Organisationsreform als dringend angesehen
wurde, sondern eine inhaltliche Neukonstituierung der Disziplinen und Ausbildungswege.
Der Präsident: Leitung als Hauptberuf
Die neuen Ordnungs- und Mitwirkungsvorstellungen fanden ihren Niederschlag
auch in der zentralen Stufe der Gesamtuniversität mit der Einrichtung
einer langjährigen hauptberuflichen Leitung in Gestalt eines Universitätspräsidenten,
dem eine den akademischen und den allgemeinen Verwaltungsbereich umfassende
Einheitsverwaltung zuarbeiten sollte. Auf der zentralen Stufe gab es natürlich
ebenfalls Gremien in größerer Zahl, die paritätenspezifisch
die Vertreter der vier "Stände" zusammenführten. In all diesen
Zusammenkünften war das professorale Element das größte,
die anderen drei hätten jedoch die Professorenbank überstimmen
können, wenn die Konfrontationslinien so verlaufen wären. Aber
dem war nicht so, es bildeten sich eine größere Zahl von zum
Teil übergreifenden hochschulpolitischen "Parteien". Manche
waren von peripherem bis marginalem Zuschnitt, einige schufen Zusammenhalte
über eine längere Zeitdauer.
Insgesamt bildete sich in jenen Jahren, die unmittelbar auf das Universitätsgesetz
von 1969 folgten, eine spezifische Gremienvielfaltskultur aus, die einen
bestimmten Menschenschlag anzog bzw. erforderte.
Drei Hauptgruppen im Gremienschauspiel
Es waren in jeder Hinsicht multifunktionale Wesen gefragt, die bei
einer Vielzahl von Rückbindungspflichten in dem gedachten Rahmen entscheidungsfähig
bleiben und der beabsichtigten Entwicklung die entsprechende Richtung geben
wollten und konnten.
Letztlich gab es aber drei Hauptgruppen in diesem Gremienschauspiel:
Da gab es die, die die neuen Formen und Wege nicht haben wollten und
konnten; sie bekämpften die neue Ordnung.
Da gab es andere, die solche Gremien und Strukturen nicht brauchten,
weil sie andere Wege hatten oder weiterführende wollten.
Zum Dritten gab es eine mittlere Fraktion, die sich dem Ideengut, das
sich in der Reformgesetzgebung gezeigt hatte, bei dessen Umsetzung verpflichtet
fühlten.
Dies schloß nicht aus, daß auch die Vertreter der beiden
ersten Gruppen die neuen Möglichkeiten als zusätzliche, gelegentlich
nützliche Instrumente benutzten.
Unmittelbar bei der Etablierung des neuen Systems an der Freien Universität
setzte die Gegenbewegung ein, die insgesamt betrachtet im Laufe der Jahre
durch eine Vielzahl von Novellen zum Hochschulrecht in Berlin nicht erfolglos
geblieben ist. Das Ganze erhielt seine jeweilige Schärfung durch die
Herbeiführung von Konfrontationsszenarien in bestimmten Teilen der
Universität, die sich aus unterschiedlichen Gründen besser eigneten
für derartige Inszenierungen. Aber auch damals gab es Universitätsteile,
deren Angehörigen derartige Vorgänge nur aus den Medien kannten.
Eine der Organisationen beanspruchte ein Wächteramt umfassender
Art, was auch die Nachrichtenermittlung und -verbreitung über
Lebensläufe von insbesondere jüngeren Bewerbern für Einstellungen
in die Laufbahnen des Öffentlichen Dienstes (einschließlich
der Universitäten) einschloß. Dies traf sich mit ähnlichen
Bestrebungen und Vorkehrungen von damit beauftragten staatlichen Schutzeinrichtungen
zur Abwehr von verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Auch bei Einstellungen
und Vertragsverlängerungen an die Freie Universität Berlin waren
entsprechende Anfragen an diese Einrichtungen zu stellen. Es ergaben sich
daraus zuweilen Eignungs- und Vorstellungsgespräche eigenen Zuschnitts,
denen fachliche Eignung nachrangig sein konnten. Die Vertreter von mittleren
Positionen unterschiedlicher Färbung hatten, soweit sie verantwortliche
Leitungsaufgaben hatten, einen erheblichen Aufwand zu treiben, um die eskalationsbereiten
Akteure einzubinden und den "Betrieb" aufrechtzuerhalten.
Neuerungen wurden zurückgeschnitten
Dies war aber keine Position der Stärke, da die genannte Wächterorganisation
und andere Kräfte durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit nicht
ohne Wirkung auf den "Hauptsponsor" der Freien Universität Berlin
und der übrigen Hochschulen blieb. Auch die Ausschöpfung des
Rechtsweges blieb nicht folgenlos. Nach und nach wurden die Neuerungen
kritisch betrachtet und zurückgeschnitten. Es wurden auch im Hinblick
auf gewünschte Mehrheitsverhältnisse Fachbereiche neu zugeschnitten,
fusioniert und konsolidiert, darüber hinaus die Gruppenparitäten
neu durchgerechnet oder Kompetenzen qualitativ gebunden und gewichtet.
Aber auch die Autonomievorstellungen von Staat und Universität
divergierten zunehmend, die lehrbuchklassischen Abgrenzungen zwischen fachaufsichtlichem
bzw. rechtsaufsichtlichem Auftreten des Staates gegenüber der Universität
wurden zunehmend verwischt. Dies bezog sich auf alle Aktionsformen und
Inhaltsfelder universitären Lebens: Studien- und Prüfungsordnungen
wurden eingehend betrachtet und mit langseitigen Auflagenschreiben befrachtet.
Personalwirtschaftliche Entscheidungen bis zur letzten Stellennummer verfolgt,
personalrechtliche Einzelentscheidungen beeinflußt. Einzelne
Lehrveranstaltungen auf den Rechtsweg mit Verbotsabsicht gebracht. Ob bei
entsprechend knapper gesamtgesellschaftlicher Situation das anscheinend
neue Flexibilisierungs- und Deregulierungsbewußtsein ein Mehr an
Autonomie schaffen kann (bei weiterhin fehlender Autarkie und Eleutherie)
muß dahinstehen.
Die ersten Jahre standen für die Freie Universität Berlin
noch im Zeichen von Größenwachstum und entsprechender Zuwendung.
Die Studentenzahlen wuchsen derart, daß die Freie Universität
Berlin insofern eine der größten Hochschuleinrichtungen Westdeutschlands
wurde. Die personelle Situation erfuhr nicht zuletzt durch Überleitungsangebote
an den "Mittelbau" der Vorreformationszeit in die professoralen Besoldungsgruppen
eine Ausweitung. Noch Jahrzehnte danach bestehen gegenüber diesen
Vorgängen unterschiedliche Einstellungen. Obgleich die neuen "Pairs"
nicht durchweg, zumindest oft nicht andauernd zu Anhängern der Reform
der Wende von 1969/70 zählten, wurden sie bei der Außendarstellung
von tragenden Kräften gegenüber Medien, Arbeitgebern oder politischen
Verantwortungsträgern neben den Entwicklungen bei Studium und Prüfungen
und sonstigen Personalentscheidungen als Negativpunkt verwendet. Das Ranking
sah bei dieser "Selbstdarstellung" für die Freie Universität
Berlin oft nur den vorletzten Platz vor, nur die Universität Bremen
vermochte oft den äußersten Platz zu behaupten.
Nachteile für FU-Angehörige
Für Angehörige der Freien Universität Berlin konnte
es auch bei Betätigungsversuchen außerhalb des engeren Universitätsfeldes
vorkommen, daß die bloße Zugehörigkeit zu dieser Hochschule
nicht zum Vorteil wirkte, das konnte z. B. auch bei der Wohnungssuche vorkommen.
Diese Zeiten größerer Bewegung und Gegenbewegung zumindest in
der ersten Hälfte der 70er Jahre wurden mehr und mehr abgelöst
und durch ein Zunehmen des Knappheitsbewußtseins für die Mittel
bestimmt, die die Gesellschaft - vermittelt durch die politischen Verantwortungsträger
in staatlichen Stellen - bereit war, weiterhin dem tertiären Sektor
zukommen zu lassen. Kapazitätsberechnungen, Ausschöpfungsgebot
mit Überlastverpflichtung, Stellenstops, Reduktionen der Beschäftigungszeiten
und der Vergütungen des wissenschaftlichen Nachwuchses bei gleichzeitiger
Herabstufung anderer Förderungswege, ständige Berichts- und Rechtfertigungspflichten,
Verminderung der Ausstattungsschlüssel für die Arbeitsgebiete
der Professoren bestimmten den Alltag der Verantwortlichen in Verwaltung
und Selbstverwaltung; dies alles traf oft auf den Blick engstehender Augen
in Politik und Öffentlichkeit.
Zunahme des Knappheitsbewußtseins
Hatten die Planer und Amtsinhaber der Universität in der auf Ausweitung
gerichteten Reformzeit auch in der Verwaltung die Grundlagen und Instrumente
für Effizienz geschaffen, so konnte diese auch beim Rückbau nützen.
Wie man heute weiß, konnte der Dienstgeist nicht hinreichend effizient
sein, weil Wirtschaftlichkeit im Denken der Mitarbeiter ihren gebührenden
Platz noch nicht hatte und es noch keine "Kunden" gab, die für das
Warenangebot zu zahlen bereit waren. Inwieweit hier die Ablösung des
Kuratorialen zum Konsistorialen auch ihren Beitrag leisten kann, ist sicher
noch offen.
Bernhard Fechner