Wirtschaftswissenschaft

Euro - Jobmaschine oder Jobkiller?



Für Dr. Waltraud Schelkle vom Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsgeschichte am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der FU folgt aus der Einführung der Europäischen Wirtschaftsunion (EWU) ein dringender wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf. Sie geht davon aus, daß die Währungsunion per se weder eine "Jobmaschine" noch ein "Jobkiller" sein wird. Aber selbst wenn sich die Währungsunion nicht unmittelbar auf das Beschäftigungsniveau auswirkt, so wirkt sie doch auf Stabilität und Struktur der Beschäftigung. Und diese Wirkungen könnten durchaus problematisch sein.

In ihren Forschungen zur "Bedeutung der Arbeitsmarktsysteme für die Beschäftigungsentwicklung in einer zukünftigen Europäischen Währungsunion" geht Schelkle davon aus, daß für die Arbeitsmärkte ein unvermeidlicher Anpassungsdruck daraus entsteht, daß der Währungsraum mit der Einführung des Euro größer und weniger offen wird. In einem größeren Währungsraum hat jeder einzelne Lohnabschluß, z. B. der für die Metallbranche in Baden-Württemberg, geringere Bedeutung für die Preisniveau- oder Wechselkursentwicklung. Lohnabschlüsse büßen so ihre stabilitätspolitische Verantwortung teilweise ein. Die Tendenz zur stabilitätspolitischen "Verantwortungslosigkeit" wird noch dadurch verstärkt, daß die EWU eine Volkswirtschaft wird, für die der Außenhandel keinen so bedeutenden Anteil mehr am Sozialprodukt haben wird. Lohnabschlüsse in exportorientierten Branchen wurden gerade in Deutschland immer mit Rücksicht auf den Erhalt der preislichen Wettbewerbsfähigkeit abgeschlossen und hatten eine Pilotfunktion für andere Branchen. Verlieren die exportorientierten Branchen an Bedeutung, geht auch ihre stabilitätsorientierte Lohnführerschaft verloren.

Diese Entwicklungen erschweren die Sicherung der Geldwertstabilität durch die Europäische Zentralbank (EZB). Sie findet für ihre stabilitätsorientierte Geldpolitik weniger Unterstützung durch die Lohnpolitik als beispielsweise die Bundesbank in der ganzen Nachkriegszeit. Deshalb werde die EZB immer wieder starke Zinssignale aussenden müssen, was größere Schwankungen der Beschäftigung erwarten lasse.

Schelkle zufolge wird die Koordination der überbetrieblichen Lohnfindung in der EWU abnehmen. Das begünstigt eine stärkere Lohndifferenzierung in bezug auf die Qualifikation, den Standort oder die Betriebszugehörigkeit. Dadurch können einerseits gering oder falsch Qualifizierte, also z. B. Schulabbrecher oder Arbeitssuchende mit einer technisch überholten Facharbeiterausbildung, leichter eine Beschäftigung finden. Denn ihr Arbeitseinsatz wird im Vergleich zu qualifizierten Tätigkeiten billiger. Andererseits wird dadurch auch der Strukturwandel abgebremst. Es könnte sich für ein Unternehmen beispielsweise wieder lohnen, Hausmeister zu beschäftigen statt eine Videoüberwachungsanlage zu installieren. Das hätte unmittelbar negative Beschäftigungseffekte für diejenigen (qualifizierten) Arbeitskräfte, die solche Videoanlagen bauen. Außerdem würden dadurch wieder Arbeitsplätze in Deutschland entstehen, die bisher Marktnischen für nachholend sich entwickelnde Länder bieten. Es könnte sich dann lohnen, Akkordarbeit in der Textilindustrie aus Tschechien wieder zurück in den Euroraum zu verlagern. Das erschwerte es z. B. den osteuropäschen Nachbarländern, Anschluß an das Einkommensniveau der EU zu finden.

Durch diese Entwicklungen sieht Schelkle eine beschäftigungsfreundliche Stabilitätspolitik erschwert und die EU-Osterweiterung in absehbarer Zukunft gefährdet. Der wirtschaftspolitische Handlungsbedarf bestehe deshalb darin, die überbetriebliche Lohnfindung in der EWU neu zu regulieren. Der Flächentarifvertrag müsse als Korsett für einzelbetriebliche Regelungen erhalten bleiben bzw. eingeführt werden, auch wenn dabei den unterschiedlichen Entwicklungsniveaus der Länder stärker Rechnung zu tragen sei, als es bespielsweise im Tarifvertragssystem der alten Bundesrepublik notwendig war.
Sylvia Marschall


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