Brief aus Pohang 

Wer mit dem Flugzeug aus Seoul kommt, sieht erst das Stahlwerk und dann die Stadt. Die Wolken im Osten glühen vom Widerschein der Hochöfen. Sonnenaufgang die ganze Nacht. Pohang, Stadt aus Stahl.
Bis 1970 war hier an der Ostküste Südkoreas nur ein Fischerdorf. Dann wurde hier der heute zweitgrößte Stahlkonzern der Welt gegründet: Die Pohang Iron and Steel Company (POSCO). Die Stadt ist mit dem Werk gewachsen und fast alle Einwohner leben von Eisen und Stahl. Mit 350.000 Menschen ist die Stadt groß genug für eine Universität. 1986 hat POSCO die Pohang University of Science and Technology, kurz POSTECH, bauen lassen.
Wer eine typisch koreanische Universität sehen will, sollte nicht nach Pohang kommen. Ein Campus etwas abseits der Stadt. Viel Grün und ein Teich vor der Mensa. Friseure, Fotografen, Restaurants und Geschäfte - diese Universität könnte auch in Amerika stehen. Dort sind auch die meisten Professoren ausgebildet. Viele waren für Jahrzehnte in den USA und mehr als ein Drittel besitzen sogar die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Die gute Ausstattung der Universität läßt die von der Sparwut gebeutelten Institute in Deutschland alt aussehen. Das hohe Niveau der Forschung lockt auch etliche europäische Postdoktoranden nach Pohang. Einige Deutsche, die an der POSTECH forschen, wären zuhause arbeitslos. Vermutlich würden sie es dort auch lange bleiben. Arbeitslose Akademiker: Ein neuer Exportschlager "Made in Germany".


von Bernd Plümper / z. Zt. Pohang 
Ich bin Gast von Korea Research, dem koreanischen Gegenstück der Deutschen Forschungsgemeinschaft. In Pohang soll ich aus einzelnen Zellen wieder komplette Pflanzen machen. Eine wichtige Voraussetzung für die Übertragung fremder Gene. Professor An ist mein Chef auf Zeit. Er hat schon in den USA neue Verfahren für die genetische Veränderung von Pflanzen entwickelt. Sein besonderes Interesse gilt der Blütenentwicklung, knapp zwanzig Männer und zwei Frauen arbeiten daran.
Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht natürlich Reis, der hier "bap" heißt. Man unterscheidet zwei Varianten: Den langkörnigen indischen Reis und den japanischen Reis, dessen rundliches Korn beim Kochen verklebt und deshalb nicht so rieselt, wie "Uncle Ben" das gerne hätte. So kann man ihn bequem auch mit Stäbchen essen. In Korea darf man dazu aber auch den Löffel benutzen. Aus dem Reis halte ich mich raus. Ich arbeite mit Apfel, Rettich und Wassermelone. Auch dies sind wichtige Pflanzen der koreanischen Landwirtschaft.
Als ich in Pohang ankam, fragte ich nach den üblichen Arbeitszeiten: Beginn ist 10 Uhr morgens, Arbeitsende um Mitternacht. Ersteres war mir sympathisch, letzteres hielt ich für einen Witz, über den ich später nicht mehr lachen konnte: Als ich kurz nach Mitternacht nach Hause ging, waren alle noch da. Samstag ist ein halber Arbeitstag und auch am Sonntag ist das Labor nicht leer. Restaurants und sogar die Bibliothek sind diesem Rhythmus angepaßt. Es gibt Wissenschaftler, die habe ich nie kommen und nie gehen sehen. Es scheint, als wären sie einfach immer da. Dieses Phänomen ist nicht sture stumpfe Arbeitswut. Dahinter steht meist echte Begeisterung, wissenschaftlicher Ehrgeiz und die Überzeugung, für Korea und seine Landwirtschaft zu arbeiten. Im Februar war die Klimaanlage des Gewächshauses auf dem Dach des Instituts ausgefallen. Tausende von Pflanzen sind eingegangen, die Arbeit von Monaten war zerstört. Seitdem schiebt klaglos jede Nacht einer aus dem Labor Wache. Der Schlafmangel hinterläßt Spuren: Manch einer schläft erschöpft am Labortisch ein. Viel Zeit für ein Privatleben bleibt nicht. Als ich mit Lee, einem Diplomanden, einen Kaffee trinke, deutet er auf das große Foto auf dem Kaffeeautomaten. Ein Mann und eine Frau -verliebt- sind darauf abgebildet. Seit er am Institut ist, leidet er wegen dieses Bildes: "They should make it a lonely man", sagt er. Ein einsamer Mann sollte auf das Foto.
In der Mensa sind plötzlich lange Schlangen. Die Neuen sind da. "Freshmen" sagt man hier: Alle tragen bunte Karten um den Hals, damit sie nicht verloren gehen. Wer eine grüne Karte hat studiert "Life Science", und wird vielleicht einmal Biologe.
Im Wohnheim macht sich der Semesteranfang durch lautes Möbelrücken bemerkbar. Der untaugliche Versuch, mehr Platz für zwei Menschen aus 12 Quadratmeter zu quetschen. Auf dem Flur stehen die Kartons von denen, die kommen: Bücher, Jacken, Fernseher und Federballschläger. Wie soll das alles in die Zimmer passen? Die die gehen, nehmen nicht viel mit. Der große Mülleimer vor dem Klo ist längst voll. Ich selbst genieße den Luxus eines Einzelzimmers. Ein Appartement bekommt nur, wer verheiratet ist.
Auffällig viele Frauen beginnen in diesem März ihr Studium. Ich schätze 20 Prozent der Erstsemester sind Frauen, das sind deutlich mehr, als ich bisher auf dem Campus gesehen habe. Die Frau ist in Korea auf dem Vormarsch, auch wenn der langsam und schwierig ist. Normalerweise ist Frauen der Zutritt zum Männerwohnheim verwehrt. Gleiches gilt natürlich auch in umgekehrter Richtung. Eines Abends liegt ein Hauch von Parfum im Treppenhaus von Wohnheim 19. Tatsache: Als ich im 5. Stock um die Ecke biege, huscht ein weibliches Wesen an mir vorbei. Und das kam eindeutig aus einem der Jungenzimmer - ich bin schockiert ...!
Am ersten Wochenende, der unvermeidliche Ausflug in die Tempelstadt Kyongju. Die alte Hauptstadt des Silla-Reiches liegt unweit von Pohang. Auf dem Weg passieren wir ein Mahnmal. Bis hierher ist der Norden gekommen, bevor die Amerikaner in den koreanischen "Bürgerkrieg" gezogen sind. "Ein paar Tage später, und die Nordkoreaner hätten ganz Korea erobert", erzählt Prof. An. Seine ganze Familie lebt in Nordkorea; er bekommt seit Jahrzehnten keine Nachricht mehr. "Das war ein Tag, an dem die ganze Welt gejubelt hat", sagt er über das Ende des zweiten Weltkriegs. "Aber für Korea war es der Anfang eines neuen Krieges, der das Land geteilt hat."
Am nächsten Tag gehe ich das erste Mal in das große Sportzentrum der POSTECH. Es gibt Plätze für Tennis, Badminton und Basketball. Die halbe Labormannschaft spielt zweimal in der Woche Racketball. Diese amerikanische Variante von Squash ist schnell, aggressiv und nicht ungefährlich. Für Professor An, selbst einer der besten Spieler, genau der richtige Sport für Wissenschaftler: "Maximales Training in minimaler Zeit", sagt er, "Tennis wäre nur Zeitverschwendung".
Aber Samstag abend wird selbst in Pohang ein wenig Zeit verschwendet. Wir sind um neun im Blockhaus verabredet. Das ist eine Bar im kanadischen Holzfällerstil. Die Labormannschaft bestellt krügeweise Bier, getrockneten Octopus und gebratene Gingkonüsse. Nie habe ich es geschafft, koreanische Gastfreundschaft zu überlisten, und meine Kollegen einzuladen. Um Mitternacht schließt das Blockhaus und die Truppe schwankt fröhlich Richtung Wohnheim. In Pohang wird hart gearbeitet und noch härter gefeiert.
Manchmal sogar im Labor. Um Mitternacht hat jemand gebratene Hühnchen in Erdnußsoße, Cola und Schnaps besorgt. Alle ziehen sich Laborhandschuhe an und angeln nach fettigen Hühnerstückchen. Wenn das der Sicherheitsbeauftragte in Berlin sehen würde.
Zwei Mann aus dem Labor haben ihr Examen bestanden. Und das heißt hier mehr als Glückwunsch, Lachen, Blumenstrauß. Denn wer durchfällt, muß 26 lange Monate zum Militär. Drei Biologen sind in diesem Jahr geprüft worden. Einer ist durchgefallen. Sein Zug geht am 1. August.
Die letzten Monate waren hart für Korea. Die Landeswährung "Won" hat fast die Hälfte ihres Wertes verloren. Der Benzinpreis hat sich verdoppelt und meine Lieblingskekse sind in nur sechs Wochen von 400 auf 600 Won geklettert. Die Krise kratzt auch am glatten Putz der POSTECH. Geräte, Chemikalien und selbst Laborglas sind importiert und werden täglich teurer. Im Wohnheim wird Öl gespart und es ist lausig kalt. Beim Abendessen in der Mensa läuft wie immer der Fernseher. Politiker sagen dieses, Baseballspieler jenes. Plötzlich horchen alle auf: In Seoul hat eine private Universität einfach pleite gemacht. Der Wetterbericht meldet schwere See vor Pohang.

Bernd Plümper ist Biologe und hat 1995 am Institut für Angewandte Genetik der FU promoviert. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf dem Einsatz pflanzlicher Zell- und Gewebekultur in der Pflanzenzüchtung. Seit Februar 1998 verbringt er einen Forschungsaufenthalt an der Pohang University of Science and Technology in Südkorea.
 
 


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