Dem einen die Ribbeck'sche Beer, dem anderen der Baum des Jahres oder Birne Helene
Alles Birne oder was?
Für Ribbeck auf Ribbeck im Havelland waren blütenübersäte Birnbäume ein Augenschmaus. Der alte Herr freute sich schon im Frühling auf die leuchtenden und lachenden Birnen in goldener Herbsteszeit, die er mit "Junge, wiste 'ne Beer"" und "Lütt Dirn, kumm man röver, ick hebb" ne Birn" an die Dorfjugend verteilte. Nach seinem Tod schlug er der Knauserigkeit des Nachwuchses, der den "Birnbaum strenge verwahrt", ein Schnippchen, als nach einigen Jahren aus der erwünschten Grabbeigabe - einer Birne - ein Birnbaumsprößling sproßt heraus" und es nach weiteren Jahren aus dem Baum flüsterte: Junge, wiste "ne Beer?"
Mit dem Gedicht setzte der siebzigjährige Fontane dem alten Herren von Ribbeck und den Birnen als gelungenes Kommunikationsmittel ein Denkmal. An der Birne schieden sich nämlich die Geister: Ribbecks Sohn bevorzugte soziale Abgrenzung und Eigennutz. Oder war der Junge Ribbeck ein Gourmet, dem die mit Mandel, Zitrone und Vanille eingelegte "Birne in Sirup" so gut schmeckten, daß er das profane Hineinbeißen der Dorfjugend in das pure Kernobst verabscheute? Den verlangenden Blicken über den Zaun und die Frage: "Wer giwt uns nu 'n Beer?" schien er standgehalten zu haben.
Ähnlich den Kinderblicken waren wohl die sehnsüchtigen Blicke des Tantalos, von dessen Qualen Homer den Odysseus aus dem Hades berichten läßt. Dem, der mit des Sohnes Fleisch die Götter prüfen wollte, reicht nun das Wasser bis zum Hals. Neben glänzenden Apfelfrüchten, Granaten, Freigen und prangenden grünen Oliven ergießen sich ihm auch Birnen übers Haupt. Doch trinken und essen kann er auf ewig nicht. Später wird findet Odysseus eben diese Früchte in den Gärten des Phäakenkönigs Alkinoos, wo es sommers wie winters heißt: "Birne auf Birne reift da heran und Apfel und Apfel, aber auch Traube auf Traube und ebenso Feige auf Feige." Der göttliche Odysseus stand vor 3000 Jahren da und staunte angesichts der glänzenden Göttergaben.
Zur Zeit Homers waren aus der Wildbirne, Pyrus pyraster, mit den scharfen Sproßdornen und zahlreichen Steinzellennestern in den kleinen Früchten bereits weiche und geschmacklich verschiedene Sorten gezüchtet worden. Dank der Kombination von natürlicher und künstlicher Selektion erfreuten sich des Birnenreichtums auf der mythischen Phäakeninsel Scheria auch die Bewohner der Insel Thasos und der Halbinsel Peleponnes, welche sogar Apia, d.h. Birnenland hieß.
Die gemeinsame Geschichte von (Kultur)birne und ihren Züchtern erfuhr einen Höhepunkt, als sie von den Römern über die Alpen mitgenommen wurde. Aus dem lateinischen pirus wurde die althochdeutsche Bira. Mit den Sorten entstand eine Flut von Namensgebungen. Nun blühten außer dem württembergischen Holzmockel und der preußischen Kruschke als Halbbutterbirne die säuerlich-süße "grüne Magdalena", die rübenartige, süßlich fad schmeckende "rundliche Kochbirne" sowie die halbschmelzende ,Apothekerbirne", zu der auch die nach Zimt schmeckende "Herzogin von Angouléme" zählte. Besonders die französischen und belgischen Obstbauern züchteten erfolgreich, woran noch heute "Gräfin von Paris", "Jeanne d'Arc" und "Präsident Drouard" im Botanischen Garten erinnern. Neben mediterranen Birnenschnitzen gab es als sonnengespeicherte Wintersüße nun auch süddeutsche Hutzeln. Man kreierte Birnensirup, Birnenessig und Birnensenf oder preßte Sülzbirnen mit Fenchel, Dill und Anis. Neben kulinarischem Genuß wurde die Birne mit Sünde, Tod und Teufel in Verbindung gebracht. Bei den Sorben z.B. hieß die Wildbirne Plonica, Drachenbaum, da von diesem paradiesischem Baum ein Drache - in Wirklichkeit war es der Teufel - zur Sünde verführte. War der Teufel auf Plonica seßhaft, konnte er dem Feld, auf dem er stand, nicht mehr schaden. Das Böse war gebannt.
Bis jetzt! Nun ist der Teufelsbanner selbst in Gefahr. Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald ruft zum Schutz der Wildbirne auf. Der gemeinsame Weg des Baumes des Jahres mit den Menschen ist gefährdet. Nicht nur als Augenschmaus in heimischer Natur erfreut die Wildbirne, sondern steht auch als Spender wertvollen genetischen Materials zur Verfügung. Alles Birne - oder was? könnte man als Ästhet, Gourmet und Realist denken. Aktuelle Frühlingsgefühle lassen sich angesichts weißer honigduftender Birnblütenschäume der ,Gräfin von Paris? mit Ribbeck'scher Freude über leuchtende und lachende Birnen, Odysseus' Staunen über die sonnengesüßten Göttergaben sowie kulinarische Genüsse mit "Birne Helene" gut mit dem Schutz dieses jahrtausendealten Wegbegleiters vereinbaren. Oder besser gesagt: müssen.
Rosemarie Gebauer
Infoblatt Wildbirne erhältlich bei: Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, Meckenheimer Allee 79, 53115 Bonn (DM 4 in Briefmarken beilegen).
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