Matthias Keidtel: Von der FU-Pressestelle zur Leipziger Buchmesse

Nach Praktikum "abgetaucht"


Ein normaler Praktikant war Matthias Keidtel nie.
Das stellte sich schon beim Vorstellungsgespräch heraus. Auf die Frage, ob er denn bereits einmal einen Artikel geschrieben habe, antwortete er mit einem verwunderten "nein, warum?" "Dafür aber einen Roman". Neugierig geworden, ließ die Pressestelle Matthias Keidtel während des anschließenden Praktikums einige Artikel schreiben, erfuhr über seine diversen Auslandsaufenthalte im Iran und Tokio, führte so manches Gespräch über die Kunst des Bogenschießens, bis Matthias Keidtel für ein anderes Prakikum bei "Partner für Berlin" abtauchte, nicht ohne den inzwischen erschienenen Roman zu hinterlassen, mit dem bezeichnenden Titel "abgetaucht".

In dem Erstlingsroman taucht ein Ich-Erzähler in Form des Penners Johann auf, der in den U-Bahn-Tunneln Berlins lebt und eine fast magische Vorliebe für Kleider fremder Leute hat. Der Roman gewinnt an Tempo, als Johann in die Kleider des Geschäftmannes Georg Heddergott schlüpft und mit den Kleidern langsam dessen Identität und Seele annimmt. Georg alias Johann taucht aus dem Schattenreich auf und kehrt als Georg in eine Welt zurück, die ihm fremd ist und auf dessen kuschlige Wohnzimmeratmosphäre Johann doch nicht verzichten will, wenngleich ihm Georgs geschäftsmännisches Gehabe zuwider ist. Die Polizei, die Johann aufgreift, bringt den ehemaligen "Herrn der U-Bahn-Schächte" seiner liebeshungrigen Frau Rosalie zurück. Keidtel läßt Johann-Georg in eine Reihe absurder Situationen eintauchen:
Zwar weiß Johann-Georg, wo er die Hausschuhe im Badezimmer findet, nicht aber, wie die Schwester seiner Frau Rosalie heißt. Jedes Treffen mit Freunden und Verwandten gerät zur Groteske, da Johann zwar wie Georg handelt, ohne aber Georgs Geschichte, seine Seele zu kennen. Schließlich wohnen in dem Doppelwesen zwei Seelen in seiner Brust, die eine, nämlich Johann, will sich von Georg trennen. Denn Johann beginnt sich auf einmal in die Frau Georgs zu verlieben, die ihn natürlich für den eigenen Gatten hält. Rosalie, verwundert über den Liebeshunger ihres sonst eher spröden Georgs, mag die gleichzeitige Übelgelauntheit ihres Mannes nicht verstehen. Schließlich löst Keidtel gelungen die Wirrnisse auf - wie wird nicht verraten. Dem an äußeren Ereignissen armen Roman - die Stadt Berlin spielt kaum eine Rolle - gelingt das Spagat, sich auf die Innenwelt des Doppelwesens Johann-Georg zu konzentrieren, ohne zur lamoryanten Innenschau zu werden. An einigen Stellen kann der Leser herzlich lachen - wie es Johann Heddergott am Ende selber macht, endet doch das gelungene Debüt mit dem schönen Satz: "Und dann lache ich so laut, daß sich die Leute erschrocken nach mir umdrehen und ratlos die Köpfe schütteln, weil sie nicht wissen, ob ich verrückt oder einfach nur fröhlich bin".

Felicitas von Aretin
 

Matthias Keidtel: "abgetaucht", Rake Verlag Rendsburg 1998, 173 S., 34 DM


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