Universitäre Planungsspiele für den GAU, die größte anzunehmende Unterfinanzierung
Ratlose Artisten in der Hörsaalkuppel
Er ist bestimmt kein verbiesterter Gegner der Universität als solcher, der Parlamentarische Geschäftsführer der Berliner SPD-Fraktion, Dr. Hans-Peter Seitz, aber gelegentlich stellt er grundsätzliche Fragen: "Wenn wir uns jetzt - unabhängig von unserer finanziellen Situation - überlegten, wie diese Universitäts- und Forschungslandschaft aussehen sollte, würden wir dann drei Universitäten und drei Uni-Klinika haben?" Und der Quasi-Cheflobbyist für Adlershof und das auch nicht billige Buch antwortet stante pede: "Würden wir nicht!"
Klaus Franke, Fregattenkapitän a.D., Senator a.D., aber als Chef des Hauptausschusses im Abgeordnetenhaus auf einer der wichtigsten Kommandobrücken der Berliner Politik, stellt seine Frage etwas konkreter: "Vorrang hat gewiß der Wissenschaftsstandort Adlershof. Ich frage mich allerdings, ob dort wirklich ein dritter Standort für die Naturwissenschaften völlig neu aufgebaut werden muß. Oder reicht es vielleicht, an den vorhandenen Standorten quasi Grundmodule vorzuhalten und arbeitsteilig in Adlershof innovative Projekte zu konzentrieren?"
"Faktisch eine Uni mit drei Standorten"
Harald Wolf, FU-Absolvent und PDS-Fraktionschef, hält sich nicht mit Fragen auf. Seine Diagnose: "Die geplante Einschränkung von sogenannten Mehrfachangeboten (ist) gleichbedeutend damit, die Berliner Hochschulstandorte auf faktisch eine Universität mit drei unterschiedlichen Standorten zu reduzieren."So unterschiedlich die Positionen, so eindeutig die Befunde: In der Hochschullandschaft wird sich viel ändern. Da hilft es auch nur der Psyche, daß CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky sich mit den Worten "ein Symbol für mich ist die Freie Universität" zu der Uni in seinem Wahlkreis - und seiner Biographie - bekennt.
Wichtig wäre vor allem Klarheit über die Zukunft. Planungssicherheit wird angemahnt - vergeblich. Ob unwillig oder überfordert: Berlins Politik hat es bislang nicht geschafft, Entwicklungsziele für die Unis auf der Basis optimistischer, realistischer und auch pessimistischer Annahmen über die Finanzen der Stadt festzulegen. Es fehlt ein "Worst-Case-Szenario", das es erlaubt, auch für den GAU, die Größte Anzunehmende Unterfinanzierung, zu planen. So entsteht eine bizarre Situation: Senat und Abgeordnetenhaus streichen mit einer Sichtweite von wenigen Monaten, mal bis zum Fusionsentscheid, mal bis zur nächsten Steuerschätzung, bestenfalls bis zum Ende der Legislaturperiode und ein bißchen darüber. Bei jeder neu entdeckten Lücke gibt es neue Sparauflagen, mal als PMA, also als Pauschale Minderausgabe, bei der die Uni selbst sehen kann, wie und wo sie das Geld zusammenkratzt, mal als Auflagenbeschluß, bei dem das Abgeordnetenh
aus meint, selbst festlegen zu können (und zu dürfen), aus
welchem Bereich wieviele Millionen herauszupressen sind. Daß auf diesem Weg eine auch nur annähernd solide Wissenschaftspolitik nicht zustandekommen kann, ist offenkundig. Daß das dafür nötige Geld fehlt, allerdings auch. Resultat: Zehntausende auf der Straße, das Audimax rappelvoll und doch: Die Artisten in der Hörsaalkuppel sind ratlos. Der demonstrative Kampfgeist ist nicht selten mühsam eingehaucht, verbale Radikalität überdeckt oft nur spärlich Resignation und Frust. Die Aussichten trübe, die Stimmung schlecht: Berlins Hochschulen mittenmang im Tal der Tränen.
Öffentliches Nachdenken über Sparpotentiale, Rationalisierungsreserven und Modernisierungsmöglichkeiten verbieten sich die Hochschulleitungen mit Blick auf die Rücksichtslosigkeit der Politik. Solange jede Hochschule, die eine Sparidee
hat, dafür mit höheren Kürzungsauflagen bestraft wird, ergreift eine lähmende Sprachlosigkeit auch jene Hochschulvertreter, die sonst genau wissen, "wo mehr Geld vorhanden ist als Leistung"(FU-Präsident Gerlach).
Das verärgert die Politiker. Volker Liepelt, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU: "Ich kann nicht verstehen, daß manche Vertreter von Hochschulen erst dann Ideen entwickeln, wenn das Damoklesschwert der Schließung eines Instituts oder einer Fakultät droht." Doch die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten verständigte sich nicht nur auf die Demonstration am 24. April, eine Gesprächsoffensive gegenüber der Politik und rechtliche Schritte gegen die offenkundig anfechtbaren Bestandteile des Haushaltsstrukturgesetzes; es wurde auch vereinbart, gemeinsam weitere Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. "Kooperation" ist allerdings ein Euphemismus für den - immerhin abgestimmten - Abbau von Studienangeboten und Lehrstühlen. Und der wird so schnell nicht zu stoppen sein.
"Worauf kann man verzichten?"
Soll aber dem "Rasenmäher" der Weg verstellt werden, müssen die Hochschulen früher oder später selbst mit qualifizierten Vorschlägen aufwarten. Dieser Wunsch wird auch innerhalb der Unis laut. So fordert der neue Vorsitzende der Entwicklungs- und Planungskommission (EPK) der FU, der Erziehungswissenschaftler Hans Merkens, Akzentsetzung. Dazu will er eine Bestandsaufnahme: "Wo ist die Uni gut? Wo ist sie - in besseren Zeiten hätte ich gesagt - verbesserungsbedürftig? Heute sage ich: Worauf kann man - auch unter Profilierungsgesichtspunkten - verzichten?" Auch Eva Savelsberg, studentische Vertreterin im Akademischen Senat, befürwortet Kooperation: "Alles überall zu haben, ist nicht unbedingt sinnvoll, aber zwei Ethnologien sind noch nicht unbedingt ein überflüssiges Doppelangebot."
Viel Sparen läßt sich durch den Abbau von Mehrfachangeboten in den Geistes- und Sozialwissenschaften ohnehin nicht. Kosten aber sind das derzeit zentrale Kriterium für alle Entscheidungen. Fast alle. So erinnerte Landowsky daran, daß
"die Erhaltung der Charité gegen alle wirtschaftlichen Überlegungen" beschlossen worden sei. Sie wird mit rund 800 Millionen realisiert. Und auch der Bau für die Naturwissenschaften der HU in Adlershof erfolgt offenbar weniger nach der kühlen Kalkulation der Rechner als vielmehr nach den heißen Herzen der Technologiepark-Visionäre. Rund eine Milliarde soll neben dem Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Adlershof (WISTA) und dem ebenfalls geplanten Medienzentrum Adlershof investiert werden - zuallererst ein Neubau für die
Chemie. Problem: Studienplätze in Chemie gibt es in Deutschland fast
wie Sand am Meer. Darum hat FU-Präsident Gerlach in FU:N 2/96 darauf hingewiesen,
daß die Ausbildungskapazität an FU und TU ausreicht, um den Bedarf der Region zu decken. Das zeigen auch die Zahlen: Die FU immatrikulierte im vergangenen Winter 145 Erstsemester in der Chemie - im Spitzensemester 90/91 waren es mehr als doppelt so viele: 304. Doch wer derzeit an der Humboldt-Universität die Pläne für Adlershof in Frage stellt, wird wohl wie ein Verräter behandelt. Und wer dieselbe Frage in der FU aufwirft, gilt als schamloser West-Lobbyist. Dabei sind es auch Ost-Ausbauvorhaben, die unter die Räder geraten: So ist der Ausbau der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Karlshorst auf 8.000 Studienplätze - unter Wissenschaftssenator Erhardt noch ein Vorzeigeprojekt - von Amtsnachfolger Radunski gestoppt worden.
Die Verwaltung wird schrumpfen
Daß andererseits der Abbau von Studienplätzen an den Universitäten nicht der wahre Jakob ist, hätte auch Berlins Politik schon mitbekommen können, da ihr von den Verwaltungsgerichten immer wieder ins Stammbuch geschrieben wird, daß eine willkürliche Reduzierung von Studienplätzen - namentlich in NC-Fächern - verfassungswidrig ist. Das Recht auf freie Berufswahl ist eben ein hohes und vom Grundgesetz geschütztes Gut. Eingriffe sind erlaubt, müssen aber überzeugend begründet sein.
Je mehr die Universitäten ihre Studienplätze ( und damit das dafür notwendige akademische Personal ) schützen, desto stärker geraten andere Einsparpotentiale ins Visier. Der Bereich der Dauerbeschäftigten, bislang an der FU wegen der vorherrschend unbefristeten Arbeitsverträge eher unterproportional reduziert, wird stärker an der Umsetzung der Sparauflagen beteiligt werden. So steht das bislang mehrstufige Bibliothekssystem der FU, das neben der Universitätsbibliothek gut sortierte Fachbereichsbüchereien und auch noch Instituts-, oft sogar Lehrstuhlbibliotheken umfaßt, vor großen Veränderungen. Hier kommt es nicht nur auf eine Abstimmung der Beschaffungen an, sondern auch auf eine - in der
Regel dezentrale - Konzentration. Für viele Beschäftigte wird das ebenso mit Umstellungen verbunden sein wie der verstärkte Einsatz von EDV, die in der FU-Administration noch immer in den Kinderschuhen steckt.
Die Verwaltung, nach bisheriger Vorgabe um zehn Prozent abzubauen, wird um weit mehr schrumpfen. Es wäre auch kaum nachzuvollziehen, wenn die Uni den akademischen Sektor um über 25 Prozent verkleinert, den administrativen aber nur um 1o Prozent. Wie der sich daraus ergebende Umbau aussehen wird, läßt sich derzeit kaum absehen, zumal die Uni immer mehr Dienstleistungen erwartet, z.B. bei der Antragstellung für Drittmittel. Daß Flexibilität, Weiterbildung und Einarbeitung in neue Aufgaben Voraussetzungen dafür sind, daß Entlassungen auch langfristig vermieden werden können, spricht sich allerdings schon herum. Und so fordert die Personalversammlung denn auch Personalvertretungen und Unileitung nicht nur abstrakt auf, "gemeinsam Wege aus der Krise zu suchen", sondern sie fordert auch konkret eine hochschulübergreifende Jobbörse, die "Ermittlung eines zukunftsorientierten Qualifikationsbedarfs" und ein entsprechendes Qualifizierungsprogramm.
Daß in der Verwaltung Rationalisierungsreserven stecken, vermuten auch Außenstehende. So fordert der CDU-Haushaltsexperte Franke, Berlin möge die "Finanznot als Gestaltungschance ergreifen und konsequent Verkrustungen, Doppelangebote und Verwaltungsüberbau beseitigen". Der landauf, landab als Reformer predigende Präsident der Uni Oldenburg, Michael Daxner, läßt sich im Gespräch mit (Berlins früherem Wissenschaftssenator) Peter Glotz in der ZEIT dann auch noch zu einem weitreichenden Vorschlag hinreißen: "Sagen wir einfach, die drei Berliner Universitäten plus Frankfurt an der Oder plus die etwa zwanzig anderen Hochschulen der Region formen die University of Berlin-Brandenburg. Wir organisieren das ungefähr in der Größenordnung der University of Maryland. Damit würden etwa 1.000 Verwaltungsstellen abgebaut. Und mit dem Geld muß ich keinen der 15.000 Studienplätze streichen." Glotz, ein durchaus intimer Kenner der Berliner Verhältnisse, antwortet: "Einverstanden. Diese Möglichkeit sollte man nutzen."
Bereits in den vergangenen Jahren wurde die Idee einer Fusion von FU und HU wiederholt ventiliert - und von den Betroffenen in der Regel vom Tisch gefegt. Auch FU-Präsident Gerlach hatte - sehr zum Unmut der HU - 1991 einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet, doch heute sieht er selbst die Lage anders. Da wäre eine solche Fusion nur noch ein Mittel, um noch mehr Geld aus den Unis herauszuholen. Und auch Daxner, der Anfang der 90er Jahre am Aufbau der HU beteiligt war und bis zum Jahr 2010 in
der Region am liebsten noch eine fünfte Uni mit 25.000 Studienplätzen sähe, ruft "um Gottes willen!" Dennoch gibt es Befürworter einer Fusion: Statt zweier Fußkranker lieber einen Hochleistungsläufer, statt getrennt welken lieber vereint blühen, lauten ihre - oft hinter vorgehaltener Hand formulierten - Parolen.
Mit dem Modell der - ihm freilich unbekannten - University of Maryland mag sich EPK-Chef Merkens allerdings nicht anfreunden: "Dann schon lieber die University of California als Vorbild." Denn die hat mit ihren Standorten unter anderen in Los Angeles und Berkeley nicht nur Breiten- sondern auch Spitzenqualifikation im Angebot. Das aber, so sagt Daxner auf Nachfrage, zeichnet auch Maryland aus. Und auf Berlin und Potsdam bezogen hieße es außerdem, zwar jeder Uni die akademische Autonomie zu geben, aber z.B. Bau- und Entwicklungsplanung, Personalverwaltung und Bibliothekssystem gemeinsam zu betreiben.
"lean production muß nicht als universitätsfremd angesehen werden"
Ob allerdings unter den Bedingungen der deutschen akademischen Selbstverwaltung ein derartiges Großunternehmen erfolgreich geführt werden kann, ist zweifelhaft. Schon für die kleinere Fusionsvariante in Berlin hat FU-Präsident Gerlach heute nur noch das Adjektiv "amorph" übrig.
Gleichwohl wird das Verlangen nach höherer Effizienz der Universität nicht nur von außen an sie herangetragen. Auch innerhalb wächst das Bewußtsein, daß es preiswerter geht. Professor Sebastian Herkommer, der eine industriesoziologische Lehrveranstaltung während der Aktionswoche in seinem Institut unter die Überschrift "Lean production an Hochschulen?" stellte, erklärt, daß lean production im Sinne einer mageren Produktion eine wirkliche Gefahr für unsere Zukunfschancen darstellt. Aber: "Lean production
verstanden als ein Prinzip rationaler Ressourcenverwendung muß nicht eo ipso als universitätsfremd angesehen werden." In der Verwaltungsreform liege ein großes, noch weitgehend unausgeschöpftes Potential konstengünstigerer Leistungserbringung. Wo nicht die Existenz ganzer Fächer gefährdet sei, könne es "durchaus gute Gründe und gute Möglichkeiten rationalerer Organisation geben, wenn etwa bestimmte Studiengänge in einer Region nicht
gleich drei- oder viermal eingerichtet werden". Auch Forschung und
Lehre könnten, so der gemeinhin als "links" geltende
Herkommer, "sehr viel effektiver (also ökonomischer, wirksamer in bezug auf die Ziele ) gestaltet werden".
Herkommer warnt allerdings: "Die unter Sparzwängen verordnete Fitnesskur könnte allzu leicht zur Magersucht führen."
Christian Walther