Zur Managementausbildung an die Wall Street

Learning by movies


Das Phänomen der Unternehmenskultur erschien vielen zunächst nur als Modethema. Heute ist es zum festen Bestandteil jeder modernen Managementausbildung geworden. Die Popularität und die anhaltende Aktualität des T hemas erklärt sich aus der erfolgskritischen Bedeutung des Faktors Unternehmenskultur. Für die betriebswirtschaftliche Ausbildung stellt sich nicht nur die Frage, wie das Phänomen angemessen konzep-tualisiert und reflektiert, sondern auch, wie ein praktischer Zugang hergestellt werden kann.

In vielen Studien hat es sich erwiesen, daß am Anfang jeder praktischen Veränderung eine Analyse der bereits entwickelten Unternehmenskultur stehen muß. Die Fähigkeit, Unternehmenskulturen zu verstehen, gerät daher zunehmend zu einer kritischen Managementkompetenz und zu einer Herausforderung für die Ausbildung. Für den Hochschulunterricht stellt sich die Frage, wie eine solche Kompetenz vermittelt werden kann. Es ist offensichtlich, daß eine solche Vermittlun g nicht rein kognitiv geleistet werden kann. Kulturanalyse setzt idealerweise eine teilnehmende Beobachtung an der zu beschreibenden Kultur voraus. Eine solche aktive Teilnahme über Monate in Unternehmen ist jedoch aus vielerlei Gründen als fest er Ausbildungsteil nicht realisierbar. Einen Ausweg bieten hier simulierte Unternehmenswirklichkeiten. Es entwickelte sich die Idee, daß neben den bekannten Ansätzen, wie Fallstudie oder Praktikervortrag, Spielfilme eine echte Alternative darst ellen könnten. Eine Viel-zahl von Spielfilmen thematisiert ein Organisationsgeschehen, das zum Analy-seobjekt der Studenten gemacht werden kann. In einem Pilotseminar wurde dieser Ansatz erfolgreich erprobt.

Nerven wie Drahtseile braucht Broker Bud Fox (Charlie Sheen), um eine Unternehmenskulturanalyse an der Wall Street durchzuführen Gute Ratschläge weiß Gordon Gekko (Michael Douglas), der schon das Seminar bei Prof. Schreyögg als "Gastdozent" besucht hat

Auswahlkriterium der Filme war zuallererst die gelungene Darstellung eines betrieblichen Geschehens. Es wurde Wert darauf gelegt, daß in einer Vielzahl von Filmszenen Gebäude, Räume, die ganz alltägliche Geschäftstätigkei t mit ihren hierarchischen Strukturen, Kommunika-tionsbeziehungen und organisationa-len Außenbezie-hungen beschrieben wurde. Ausgesucht wurden folgende fünf Spielfilme mit nachstehenden Analyseob-jekten:

Es war Aufgabe der Analyse-Teams, die jeweils im Spielfilm dargestellte Unternehmenskultur nach dem 3-Ebenen-Schema (vgl. Abbildung) zu analysieren. In der Präsentation sollten die Teams den Prozeß des Erschließens der Unternehmenskult ur von den sichtbaren Symbolsystemen bis zu den grundlegenden Basisannahmen soweit als möglich mit beispielhaften Filmszenen belegen. Vorab haben alle Seminarteilnehmer den jeweiligen Film gemeinsam gesehen.


3 Ebenen-Schema


Was ist Unternehmenskultur?

Das Konzept Unternehmenskultur beleuchtet eine inoffizielle Seite des Handelns in Betrieben. Es ist die Idee, daß jede Organisation für sich eigene unverwechselbare Vorstellungs- und Orientie-rungsmuster entwickelt, die das Verhalten der Mit glieder auf nachhaltige Weise prägen. Unternehmenskulturen sind kom-plexe Phänomene; zu ihr gehören nicht nur die Orientierungsmuster, sondern auch ihre sichtbaren Vermittlungsmecha-nismen und Ausdrucksformen.

Ein Versuch, die verschiedenen Aspekte einer Kultur zu ordnen und ihre Beziehung zueinander zu klären, ist das in der Abbildung gezeigte 3-Ebenen-Modell. Das Schema gibt nicht nur Aufschluß über den Aufbau einer Unternehmenskultur, sond ern weist zugleich den Weg zu ihrer Erfassung. Der konkrete Erschließungsprozeß beginnt bei den sicht-baren Elementen einer Kultur, d.h. bei den Geschichten, die in der Firma erzählt werden, den Räumen und den Gebäuden, dem Jarg on, dem Umgangston, der Kleidung usw. Der weitere Prozeß der Analyse und Ausdeutung ist als solcher schwer beschreibbar; es ist ein im wesentlichen interpretativer Prozeß, aus diesen Oberflächenerscheinungen die Normen und Standards und i n einem weiteren Schritt die Basisannahmen des Unternehmens zu erschließen.


Spielfilmarbeit

Die Zielsetzungen für das dargestellte Workshop-Seminar waren hochgesteckt:

Das filmische Material wurde für unsere Zwecke als uninterpretiertes Rohmaterial behandelt; der Blick des Regisseurs wurde bewußt naiv als "Wirklichkeit" übernommen. Dennoch waren Retouchen erforderlich. So mußte z.B. die Rollenda rstellung der Schauspieler häufig von allzu "geschauspielerten", insbesondere komödiantischen Elementen gedanklich befreit werden, um so zu der gesuchten "betrieblichen Wirklichkeit" vorzusto-ßen. Die fünf ausgewählten Spielfilme erwiesen sich als ausgezeichnete Analyse-grundlage. So breitet z.B. der Film Wall Street schon in der Eingangsszene eine Fülle sichtbarer Kultmerkmale vor dem Zuschauer aus: Mit der Kamera betreten wir ein Bürohochhaus und durchqueren die gro&s zlig;e Eingangshalle, die mit exklusiven Reliefs, Kronleuchtern und Säulen geschmückt ist. Schließlich erreicht man den goldverkleideten Fahrstuhl, der die Mitarbeiter in die Großraumbüros befördert. Dort empfängt den Eintretenden ein chaotisches Gewirr von Stimmen, Lautsprecherdurchsagen, Schreibtischen, Monitoren usw. Der Zuschauer wird dann zu zwei individuellen Arbeitsplätzen geführt und lernt den speziellen Jargon von Jackson & Steinem kennen, den derbe n Humor und die rivalitätsgetränkte Kollegialität der angestellten Broker. Schon bald erfährt man erste Geschichten und Legenden aus der Historie der Firma und wird Zeuge einer Degradierung.

Der entscheidende Punkt für die Analyse-Teams war nun, nicht bei diesen sichtbaren Kulturmerkmalen stehen zu bleiben, sondern sich die dahinterliegenden Ori-entierungsmuster und Wertvorstellungen zu erschließen, also zum Kern der Unternehmen skultur vorzustoßen.

Diese Form der Analysearbeit stieß bei den Teilnehmern auf lebhaftes Interesse, und es gelang ihnen gleichsam spielerisch, den Anforderungen des subtilen Interpretationsprozesses gerecht zu werden. Man konnte sogar Anzeichen bei den Teilnehmern e rkennen, daß diese Dia-gnosehaltung zunehmend selbstverständlich wurde. Eine Teilnehmerin äußerte: "Es fällt mir jetzt schon schwer, in einen Betrieb zu gehen, ohne sofort eine Unternehmenskulturanalyse zu beginnen." Es lä& szlig;t sich der Schluß ziehen, daß das Medium Film bei der Vermittlung des Konzepts der Unternehmenskultur und mehr noch für den Erwerb einer kritischen Fähigkeit zur Unternehmenskulturanalyse eine wichtige Rolle einnehmen kann. Man könnte es zwar bedauern, daß die Analyse nicht an einem realen Unternehmen geübt wurde, der Spielfilm hat sich jedoch für die Schulung der Analysekompetenz in gewisser Hinsicht sogar als überlegen erwiesen. Dies vor allem deshal b, weil "konservierte Wirklichkeit" einen sehr viel robusteren und direkteren Zugang zu dem Analyseobjekt ermöglicht als dies in jedem realen Betrieb möglich wäre: Es ist alles erlaubt! Problematische

Interpretationsergebnisse können durch wiederholte Betrachtung wichtiger Sequenzen in Ruhe auf ihre Triftigkeit hin geprüft werden. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines verstärkten Einsatzes multimedialer Anwendungen soll der Ansatz i n weiteren Schritten verfeinert und zu einer ausgereiften Methode der Managementausbildung entwickelt werden.

Georg Schreyögg / Robert Dabitz

Georg Schreyögg ist Professor am Institut für Management des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der FU. Robert Dabitz ist Akademischer Mitarbeiter am Institut für Management.


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