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Jörn Jensen


Ein Traumberuf ist die Arbeit als Bezirksbürgermeister nicht gerade, eher schon "ein Idiotenjob" önervig, stressig und zeitaufwendig. Der dies sagt, ist Ende November zum Bezirksbürgermeister in Tiergarten gewählt worden: Jörn Jensen, der erste Grüne, der einem Bezirk im Westteil der Stadt vorsteht.


Nimmt den "Idiotenjob" mit asiatischer Gelassenheit: Bezirksbürgermeister Jensen

"Ich habe gelernt, daß Utopien, die wir haben müssen, um zu wissen, wo wir hinwollen, nicht von jetzt auf gleich umsetzbar sind, daß es aber darauf ankommt, jeden Tag etwas dafür zu tun, sie Stück für Stück Wirklichkeit werden zu lassen." Dies ist Jensens Motivation und dafür arbeitet er 70 Stunden in der Woche. Ohne die Träume, "da müßte man schon grenzenloser Masochist sein", um solch ein Pensum zu bewältigen.

Es gab Zeiten, da war Jensen, wie anderen auch, der Weg der kleinen Schritte zu lang. Nach den tödlichen Schüssen auf Benno Ohnesorg und nach dem Attentat auf Rudi Dutschke war für den Studenten klar: "So kann es nicht weitergehen." Die Studenten dachten nicht nur radikaler, sie handelten auch. "Wir trennten damals zwischen Gewalt gegen Sachen und gegen Personen. Gewalt gegen Sachen war absolut kein Tabu."

An die FU war Jensen 1963 gekommen, um Sport und Germanistik auf Lehramt zu studieren und um der Bundeswehr zu entkommen. Jensens Vater unterrichtete eben diese Fächer in Husum, wohin es die Familie nach einer Odyssee von Polen über Sachsen und Dänemark verschlagen hatte. "Das ist wie in einer alten Feudaldynastie", witzelt er über das Erbe, zu dem Jensen auch ein liberales und humanistisches Menschenbild zählt.

Seine Examensarbeit schrieb Jensen nach 12 Semestern über "Die Wegbeschreibungen des Nibelungenliedes im Verhältnis zur geographischen und historischen Wirklichkeit vor dem Hintergrund des dritten Kreuzzuges." Der Titel kommt wie aus der Pistole geschossen, "weil es so absurd ist".

Die gesellschaftlichen Verhältnisse in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts beschäftigten den Studenten damals mehr. "Es gab andere wichtigere Themen auch in der Germanistik, doch als ich mit der Arbeit begann, kümmerte mich deren gesellschaftliche Relevanz noch wenig." Dies sollte sich ändern. Am Institut für Leibesübungen, dem späteren Sportwissenschaftlichen Institut, engagierte sich Jensen für eine neue Studienordnung und eine grundlegende Reform des Faches: "Es galt tatsächlich, den sprichwörtlichen Muff von 1.000 Jahren zu beseitigen." So lange hatte Jensen die Entwicklung zwar nicht zurückverfolgt, doch aus Gesprächen mit seinem Vater wußte er, daß sich die Ausbildung seit den 30er Jahren kaum verändert hatte. Es galt nach wie vor das Meister-Schüler-Prinzip: Der eine macht etwas vor, und der andere macht es nach. Eine theoretische Fundierung, wie die Frage nach den Funktionsprinzipien von Bewegungen, gab es kaum. Die Instrumentalisierung des Sports im Nationalsozialismus war kein Thema.

Nach fünfjähriger wissenschaftlicher Arbeit zunächst an der FU, dann an der Uni in Frankfurt, unterrichtete Jensen seit 1976 an einer Neuköllner Gesamtschule. Weil er an der Schule jedoch nicht das Pensionsalter erreichen wollte, ging Jensen 1983 für drei jahre als Lektor des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach China.

Vieles von den sozialistischen Träumen wurde schon damals von der etwas anderen Realität eingeholt, geblieben aber ist die Liebe zu einem Land, ein wenig Chinesisch und vor allem ein Stück Distanz zum "engen und oft überkandidelten Europa, gegenüber der Hysterie und den Spinnereien, die wir zelebrieren".

"Die kleinen Dinge sind sehr viel wichtiger als das große Brimborium um vieles, was auch eine Nummer kleiner zu haben ist", meint der Bezirksbürgermeister mit asiatischer Gelassenheit und mit Blick auf manche Bonner Bauvorhaben in Berlin.

Holger Heimann


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