Rar und kurios - Wissenswertes aus dem Leben unserer Universitätsbücher
Ich wollt ich wär' ein Buch, dann hätt' ich viel Besuch
Gefunden in der Bibliothek des Instituts für Geschichte der Medizin: Abbildung eines Pferdeskeletts von 1772.
Stellen Sie sich vor, Sie erwachten nach einem gut fünfzehnminü tigen Bibliotheksschlaf als Buch. Sie werden sich angesichts Ihrer potentiellen Benutzer wünschen, den Ort Ihres Erwachens gut gewählt zu haben. Angenommen, Sie seien eine intellektuelle Einzelgängerin oder ein Pedant. Hier können Sie unter rund 100 Bibliotheken wählen: zwischen hellen und staubigen, hektischen und friedlichen, großen und kleinen. Eine der kleinsten ist die klassenzimmergroße Bibliothek des Instituts für Toxikologie und Embryoph armakologie. F&uum l;r 3.500 Bücher reichen dort die Buchstaben A - I und acht Regale. Ein Labyrinth aus Regalen ist dagegen die Universitätsbibliothek (UB), die rund 2 Millionen Bücher beherbergt. Abertausende davon sind auf mehreren Etagen des etwas unheiml ich en offenen Magazins verteilt. Mit einem orangen Plastikkörbchen und einer Signatur bewaffnet, begeben sich mutige Menschen in das Betonambiente, um nach den Parkplätzen der gewünschten Bücher zu suchen. Doch nicht jedes Buch wird r egelmäßig aus dem offenen oder geschlossenen Magazin befreit. Sollten Sie zu einem langweiligen Buch mutieren, werden Sie vielleicht das Schicksal von rund 1,5 Millionen Bänden teilen, die im Jahr 1995 nicht ausgeliehen wurden. Die Bibliot heksverwaltung bezeichnet sie gemeinerweis e als "tote Bücher", egal wie neu sie sind. Dabei gibt es tatsächlich Bücher, die schon längst tot wären, wenn sie die Lebenserwartung eines Menschen hätten. Ein Teil davon befindet sich in der sogenannten Rarasammlung der UB. Die Raritätensammlung der FU enthält zum Beispiel 17 Inkunabeln. Solche sogenannten Wiegedrucke stammen aus dem Säuglingsalter des Buchdrucks, aus der Zeit zwischen 1450 und 1500.
Sie werden sich in den Buchrücken beissen, wenn Sie feststellen, nun ein Sklave hunderter fettiger Finger der stark frequentierten Lehrbuchsammlung zu sein, geplagt vom ständigen Besuch beim Buchbinder. So etwas muß Ihne n gerade an der FU nicht passieren.
Ein bißchen jünger sind Architekturtraktate der Kunsthistoriker. Der erste Anblick dieser praktischen Bauanleitungen aus dem 16. Jahrhundert verursacht laut Bibliotheksleiter Wolfgang Beyrodt bei Studierenden häufig Aufschreie und das Gef& uuml;hl von Hilflosigkeit, da sie meist in Latein oder altem Italienisch abgefaßt sind. In Seminaren werden sie als didaktisches Hilfsmittel eingesetzt. Ihre Unverständlichkeit soll die angehenden Kunsthistoriker motivieren, diese vermeintlich toten Sprachen zu lernen, um dann vermeintliche tote Bücher lesen zu können. Ebenfalls ein paar Jahrhunderte haben die Bücher auf dem Buchbuckel, die im Stahlschrank der Bibliothek des Instituts für Geschichte der Medizin eingesperrt sind. Sie werden nicht nur fü r Universitätsangehörige vo n Zeit zu Zeit befreit, sondern auch für Bühnen- und Kostümbildner, die ein paar visuelle Denkanstöße brauchen, um sich die Medizinsphäre von anno dazumal vorzustellen. åberhaupt s cheinen Theaterleute die Bibliotheken der FU gerne zu besuchen. Bei den Ve rg leichenden Musikwissenschaftlern haben schon einige im Multi-Kulti-Musikarchiv gestöbert. Dort ein Nickerchen zu halten kann aufregend sein, denn wer weiß schon, ob er als traditionelle Bauchtanzkassette, mongolische Oberton-CD oder Platte m it Navajo-India ner-Musik reinkarniert? Von Platten und Kassetten wird sofort ein Band-Klon angefertigt, der in einem physiklaborähnlichen Studio angehört werden kann. Unterdessen erforscht draußen im Garten die einsamste Forscherin von Be rlin Bienen.
Niemand erforscht hingegen die Stechmücken, die sich am Teich im Garten der Philosophen tummeln. Zu erreichen sind sie über die Bibliothek des von den Stararchitekten Baller & Baller entworfenen Instituts. Das Gebäude der Habelschwerdte r Allee besticht auf den ersten Blick durch seine breite von türkisfarbenen Fensterstreben durchzogene Glasfassade. Die Bibliotheksangestellten würden manchmal gerne auf die luftige Transparenz verzichten. "Viel Form wenig Funktion", i st ihr Kommentar. Wer dort zum Buch mutiert, muß gemeinsam mit dem Personal im Sommer schwitzen, im Winter frieren und generell mit zu wenig Licht und Luft auskommen. Außerdem besteht dort erhöhte Gefahr, geklaut, pardon, entführt zu werden, da sich dort die Garderobe in der Bibliothek befindet. Die UB hingegen trennt dickbejackte und normalgekleidete schon vor Lesesaal und offenem Magazin. Dort werden rund 70 "Medieneinheiten" entwendet, bei den Philosophen rund 100.
Generell sollte man sich und seine Sachen in den Bibliotheken gut festhalten. Nicht nur "Medieneinheiten" kommen abhanden, sondern auch alles andere was irgendwie wertvoll erscheint. In der Bibliothek des Friedrich-Meinecke-Instituts kam sogar d as Schild a bhanden, das Studierende vor Dieben warnte. Ansonsten leben dort Bücher ruhig, hell und luftig, müssen allerdings dauernd präsent sein und kommen nur mal am Wochenende raus. Dafür können sie die Kataloge im Foyer mit trockenem Hu mor ärgern, wenn diese mal wieder bei Regen etwas abbekommen.
Ebenfalls ein paar Jahrhunderte haben die Bücher auf dem Buchbuckel, die im Stahlschrank der Bibliothek des Instituts für Geschichte der Medizin eingesperrt sind. Sie werden nicht nur für Universitétsangehö ;rige von Zeit zu Zeit befreit, sondern auch für Bü hnen- und Kostümbildner, die ein paar visuelle Denkanstöße brauchen, um sich die Medizinsphäre von anno dazumal vorzustellen.
Feucht-fröhlich geht es auch bei den Erziehungswissenschaftlern zu. Wer sich nicht in die Bibliothek des Botanischen Gartens, übrigens eine der bedeutendsten botanischen Spezialbibliotheken Europas, bewegen möchte, ist hier bestens aufgehob en. Ein Springbr unnen plätschert in Gewächshausatmosphäre und friedlich blättern Studenten wie Jörg ganz altmodisch im Katalog. Er könnte auch ganz modern einfach per Computer nach seiner Lektüre forschen. Die Computer in der "Ewi "-Bibliothek sind die einzigen der FU, di e verraten, ob ein Buch gerade im Regal steht. Falls es verliehen ist, können die Benutzer erkennen, wann es fällig ist und es bei Bedarf vorbestellen. Warum Jörg die Vorteile der modernsten FU-Bibliothek nicht nutze? "Na, bis ich das kapiert hab'..."
Es soll ja auch Studierende geben, die nicht kapieren, daß sie genügend Kleingeld für Garderobenschränke und Kopierer einstecken müssen. Die Bibliotheksangestellten bei den Ewis wechseln deshalb bis zu 20 DM. In der Publizistikbi bliothek verkündet ein Zett el, daß es kein Kleingeld mehr gebe, weil die Angestellten beim Wechseln erhebliche Einbußen ihres Privatvermögens erlitten hätten. Ein anderes, in eine Plastikhülle gepferchtes DIN A 4 Blatt läßt verlautbaren, da&sz lig; sich bitte niemand auf die Terrasse setz e n solle, hier handele es sich um ihr Wohnzimmer.
Doch gibt es freundlicheres im Schilderwald der FU-Bibliotheken zu entdecken. So prangt im zweiten Stock des Immatrikulationsgebäudes an der Tür der rechtssoziologischen Bibliothek ein Gemälde von Spitzweg, das mit den Worten versehen ist: "Leseglück: Eine vergessene Erfahrung? Dann kommen sie zu uns!" Au ja.
Brenda Strohmaier