Zum notwendigen Strukturwandel der Literaturversorgung an der FU

Das Bibliothekssystem zentralisieren, automatisieren, rationalisieren


Die vorhandene Bibliotheksstruktur an der FU Berlin wird zunehmend in Frage gestellt. Neben der generellen Kritik an der Zweischichtigkeit dieses Systems mit einer zentralen Hauptbibliothek und über 100 Fachbibliotheken von teils beträchtlicher Größe sind es vor allem die Kosten, die diese Form der Literaturversorgung erfordert. Es wird immer deutlicher, daß die bisher gegebene Struktur nicht mehr finanziert werden kann, so daß der Ruf nach massiven Einsparungen laut wird. Es gilt, angesichts d es Umbruchs i n den Informationsversorgungsstrukturen und der real sinkenden Mittelausstattung der Hochschule eine Überlebensstrategie für eine sinnvolle Literatur- und Informationsversorgung zu suchen. Diese Strategie kann sich aber nicht an den überkom menen, historisch begründeten Strukturen orientieren, sondern erfordert eine radikale, im Wortsinn "die Axt an die Wurzeln herkömmlicher Strukturen legende" Vorgehensweise. Ohne eine Strukturreform des Bibliothekssystems besteht die Ge fahr, daß planlos gleichmäßig in alle n Bibliotheken der FU solange eingespart werden muß, daß am Schluß keine der Bibliotheken mehr eine vernünftige Arbeitsgrundlage bietet. Eine wichtige Prämisse für diese Strukturreform ist das Einführen wesentlich st& auml;rkerer zentralistischer Elemente, und zwar nicht nur in der Bibliotheksverwaltung. Und eine weitere Erkenntnis sollte sich durchgesetzt haben: Wir müssen rasch handeln, trotz allen Respekts vor den Hochschulgremien, so daß erste Maßn ahmen bereits im Haushaltsjahr 1998 greifen können.



Ohne eine Strukturreform des Bibliothekssystems besteht die Gefahr, daß planlos gleichmäßig in allen Bibliotheken der FU solange eingespart werden muß, daß am Schluß keine der Bibliotheken mehr ein e vernünftige Arbeitsgrundlage bietet.


Die bisherige Bibliotheksstruktur der FU erklärt sich zu einem guten Teil aus der Entwicklung der FU und aus der gesamten Nachkriegsgeschichte dieser Stadt, die bis zur Wende eine sehr gut ausgestattete Literaturversorgung an dieser Universität nicht nur als angemessen ansah, sondern wegen der besonderen geopolitischen Lage sogar forderte.

Die Freie Universität Berlin entstand mehr oder weniger spontan aus den nicht mehr ertragbaren Pressionen, denen sich Forschung und Lehre an der Friedrich-Wilhelm-Universität ausgesetzt sahen. Den Professoren und Studierenden wurden sogleich (19 48) auch Se minarbibliotheken zur Verfügung gestellt, teils durch großzügige Spenden, teils durch die Übergabe kompletter Privatbibliotheken. Erst 1952 folgte die Errichtung der zwar von Anfang an vorgesehenen, bis dahin jedoch nicht für erf orderlich gehaltenen Univer sitätsbibliothek, die dann auch lange brauchte, um sich von einer Bücherverteilerstelle zum Zentrum der Literaturversorgung zu entwickeln, immer mißtrauisch beäugt von denen, die vorher da waren. Eine solche Entwicklung hat es in der gesamten Nachkriegsge s chichte nicht mehr gegeben. Vielmehr war seit den ersten Hochschulneugründungen Anfang der 60er Jahre stets vorgesehen, nur eine einheitlich organisierte und geführte Literaturversorgungseinrichtung aufzubauen. Diese Struktur wird nun auch f&u uml;r die FU zum Vorbild genommen werden müssen.

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Zwar fällt es nicht leicht, die gewachsenen Strukturen über Bord zu werfen. Da jedoch sicher ist, daß es keine finanzielle Basis gibt, die bisher noch gut funktionierende zweischichtige Struktur im Bibliothekssystem mit einer leistungsstar ken Hauptbiblioth ek und zahlreichen selbständig arbeitenden Fachbereichs- und Fachbibliotheken aufrechtzuerhalten, müssen wir nun energisch mit Veränderungen beginnen, um uns nicht, wie jüngst in der Frage des EDV-gestützten Integrierten Biblioth eksverwaltungssystems gesc h ehen, die Gestaltungsmöglichkeiten aus den Händen nehmen zu lassen.

Ich habe in einer früheren Analyse unseres Bibliothekssystems die zur Zeit entstehenden Kosten auf ca. 56 Millionen DM geschätzt. Davon werden etwa 10 Millionen DM für Literaturerwerb, 36 Millionen DM für das Personal und weitere 10 Mi llionen DM für die Rä umlichkeiten ausgegeben. Wenn eingespart werden muß, kann dies notwendigerweise nur bei den Personalkosten geschehen. Die Literaturerwerbungsmittel sollten auf einem möglichst hohen Stand gehalten werden, um den weiteren Ausbau der teilweise e inzigartigen Bibliotheken nicht zu gefährden. Die Kosten für die Räumlichkeiten können nur verringert werden, wenn die Standorte in nennenswertem Umfang zusammengelegt werden können.

Wenn wir nachdrücklich dafür eintreten, die Ausgaben für den Literaturerwerb nicht unter einen Betrag von 10 Millionen DM sinken zu lassen, bedeutet dies allerdings nicht, daß damit das gleiche Volumen wie früher angeschafft werd en kann. Dagegen sprechen s chon die Preissteigerungen auf dem Literatursektor, die jährliche Etatsteigerungen von 8 Prozent erforderlich machen würden. Die FU hat in den vergangenen Jahren weitaus höhere Summen (teilweise über 18 Millionen DM) in den Literature rwerb investieren kön n en. Ich spreche dabei bewußt von "investieren", obwohl es sich bei diesen Mitteln haushaltstechnisch um konsumtive Mittel handelt. Diese Investitionstätigkeit durch eine zu geringe Ausstattung zu vernachlässigen bedeutet gleich zeitig, die Zukunftschance n der Freien Universität als Forschungseinrichtung und im Wettbewerb mit anderen Hochschulen nachhaltig zu schädigen.

In den Bibliotheken wird Personal für die Zugangsbearbeitung (Medien auswählen, beschaffen und in die Kataloge einarbeiten) und für die Benutzung (Information, Ausleihe, Aufrechterhalten langer Öffnungszeiten) eingesetzt. Da bei Person aleinsparungen der Be nutzungsbereich geschont werden muß, liegen nur in der Zugangsbearbeitung größere Einsparreserven. Hierbei gehe ich davon aus, daß mittelfristig etwa 20 Prozent aller Stellen, also etwa 80 Stellen, eingespart werden müssen. In logischer Konsequenz bedeute t dies, daß in den nächsten 6-8 Jahren keine freiwerdende Stelle neu besetzt wird. Um hier ein sachgerechtes Vorgehen zu ermöglichen, haben wir gefordert, daß die Bewirtschaftung der Personalstellen zentralisiert wird, um entstandene Unzuträglichkeiten aus g leichen zu können.

Mit real gesunkenen Erwerbungsetats ergeben sich bereits wegen des geringeren laufenden Arbeitsanfalls Einsparpotentiale beim Personal. Diese werden aber nicht ausreichen, um den genannten Spareffekt zu erzielen. Im Bereich der Zugangsbearbeitung muß ; in vi el stärkerem Maß als bisher automatisiert und rationalisert werden.

Prof. Dr. Ulrich Naumann ist Direktor der Universitätsbibliothek der FU.
Deshalb verfolgen wir die Strategie, anstelle der bisherigen Bearbeitungsvielfalt in den Fachbibliotheken wenige Zentren für die Zugangsbearbeitung einzurichten. Wir denken hierbei an ein Zentrum für den Bereich Garystraße / Ihnestraß ;e (wobei wir uns dies nur in der bisherigen Universitätsbibliothek vorstellen können!), ein bis zwei Zentren auf dem Obstbaugelände, ein Zentrum für den Bereich Arnimallee / Takustraße und jeweils ein Zentrum im Klinikum Benjamin Franklin und im Veter inärmedizin-Standort Düppe l. In diesen Bearbeitungszentren werden alle mit dem Buchzugang erforderlichen Bearbeitungen für den Bereich erledigt, das dort eingesetzte Personal arbeitet nicht mehr speziell für eine einzelne Bibliothek. Auch für die vielen noch in Dahl emer Villen gele genen Standorte der sogenannten 'Kleinen Fächer'wird es zu stärkeren Zentralisierungen kommen müssen, indem zukünftig Gruppen von Bibliothekarinnen für mehrere Bibliotheken zuständig sein werden, um eine kontinuierliche Zuga ngsbearbeitung zu sichern. Dabe i kann nicht ausgeschlossen bleiben, daß die bisherige innige Verbindung von Forschung und Literaturversorgung an den einzelnen Standorten voneinander getrennt wird, indem bei der Aufgabe von Standorten nicht mehr geprüft wird, ob die jeweilige n Bibliothek e n in das neue Domizil mit hineinpassen, sondern in fußläufiger Entfernung zentralere bibliothekarische Einrichtungen für mehrere Fächer geschaffen werden. Auch die bisher mögliche Ausleihe aus Fachbibliotheken bedarf einer gr&u uml;ndlichen Überprüfung und sol lt e zugunsten einer stärkeren Präsenzbenutzung, gekoppelt mit längeren Öffnungszeiten und entsprechendem Leseplatzangebot, eingeschränkt werden, so daß bisher für den Ausleihzweck eingesetztes Personal verzichtbar wird .


Jedes für die Bibliotheken der FU angeschaffte Medium wird (bis auf wenige Ausnahmen wie die Lehrbuchsammlungsliteratur) mit dem Ziel der dauerhaften Aufbewahrung erworben und zählt, wie es Goethe so schön formuliert hat, zu dem Kapital, das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet.


Eine ganz wichtige Maßnahme für das Gelingen dieses Strukturkonzeptes ist die rasche Einführung eines Integrierten Bibliotheksverwaltungssystems, das diese Zentren untereinander und mit regionalen und überregionalen Bibliotheksdatenba nken verbindet, um so weitere Synergieeffekte ausnutzen zu k önnen. Hierfür haben wir in der Vergangenheit bereits wichtige Vorarbeiten geleistet. So werden alle Medienzugänge für die Bibliotheken der FU seit 1990 im regionalen Verbundkatalog erfaßt, teils durch die Bibliotheke n selbst, wie bei der Universitätsbibli othek oder der Volkswirtschaftlichen Bibliothek, teils durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Institutsgesamtkataloges, so daß ein mit der Einführung des Integrierten Bibliotheksverwaltungssy stems ebenfalls a ngebotener Publikumskatalog (OPAC) mit e twa einer halben Million Titeln starten wird. Der Zeitschriftenbestand der FU liegt bereits vollständig maschinenlesbar vor und wird diesen Publikumskatalog mit seinen Informationen ergänzen. Die Zentrali sierung der Zugangsbearbeitung bedeutet zwar nicht, daß damit die vielen Literaturstandorte an der FU geschlossen werden müssen. Dennoch werden wir nach Räumlichkeiten suchen müssen, die eine Zusammenführung in der Benutzung ermögliche n. Die Benutzung wird aber weite rhin dezentralisierter und forschungsnah er als die sehr stark zentralisierte Zugangsbearbeitung erfolgen.

Wir glauben mit diesem Konzept einen vernünftigen Kompromiß zwischen den Sparnotwendigkeiten und der erforderlichen Literaturversorgung vor Ort anzustreben, da es nach unserer Meinung dem Benutzer ziemlich egal ist, auf welchem Bearbeitungsweg ein Medium an den Standort in der Bibliothek gelangt ist: Hauptsache, es konnte überhaupt beschafft und verfügbar gemacht werden!

Ulrich Naumann


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