Eine der weltweit größten interdisziplinären Forscherkonferenzen aus dem Bereich Erdwissenschaften kommt Anfang August nach Berlin. Gastgeber des XIV. INQUA-Kongresses ist die Freie Universität. INQUA steht für Internationale Quartärvereinigung und bez eichnet den gemeinsamen Nenner der beteiligten Disziplinen von Archäologie bis Zoologie. In die Zeit des Quartärs ab etwa 2,5 Millionen Jahre vor heute fallen die Anfänge der Menschheit ebenso wie die großen Eiszeiten. Mehr als 1000 "Abstracts", das sind Kurzfassungen von Vorträgen oder Poster-Präsentationen, liegen dem INQUA-Büro vor. Über 500 Forscher aus fast 70 Ländern haben ihre Teilnahme bereits angekündigt.
Ereignisse aus Vor- und Frühgeschichte lassen sich oft erst durch die Zusammenarbeit vieler Wissenschaftler aus den verschiedensten Richtungen deuten. Der FU-Geograph Prof. Dr. Dieter Jäkel erforscht zum Beispiel die Wüstenbildung in Nordchina. Bei sei nen Expeditionen in die Innere Mongolei fand er Zeugnisse von Permafrost in heutigen Wüsten. In der Eiszeit und danach bis vor etwa 7000 Jahren war der Boden, mit Ausnahme einer sommerlichen Auftauschicht, dauernd gefroren. Verhältnisse wie in Sibirien, d ie jedoch alles andere als unwirtlich waren. Im Gegenteil, wie der Professor anmerkt: "Auf dem Auftauboden konnten die Menschen Ackerbau betreiben, weil der darunter liegende Permafrost das Regenwasser am Versickern hinderte." Die Erwärmung nach der jüngs ten Eiszeit führte zu einem völligen Auftauen des Dauerfrostbodens, das Wasser konnte in den Untergrund verschwinden. "Eine Steppenlandschaft verwandelte sich in Wüste", sagt Jäkel.
Dieser Vorgang spannt den Bogen auf zwischen Geowissenschaftlern und Anthropologen, denn Klimaänderungen zwangen womöglich die frühen Mongolen dazu, Nomaden zu werden. Auch Prähistoriker und Archäologen profitieren von den geographischen Untersuchungen in den chinesischen Wüsten. Überweidung führte vermutlich schon vor Jahrtausenden dazu, daß "Dünen remobilisiert wurden", wie Jäkel erklärt.
Wandernde Dünen können durch Gras- und Strauchbewuchs "fixiert" werden, es entwickelt sich nicht selten Wald darauf. Der wirtschaftende Mensch kann durch Überweidung oder Brandrodung den schützenden Mantel über dem Sandkörper zerstören und eine Verwüst ung auslösen. "So gingen von den chinesischen Wüsten immer wieder Völkerwanderungen aus", meint Professor Jäkel. Klimaänderungen - etwa die Austrocknung großer Gebiete - ließen ohne Zutun des Menschen ebenfalls die Steppen wüst fallen.
Um solche Zusammenhänge zu erkennen, muß man nicht nach China reisen. Seine Studenten führt Jäkel in den Tegeler Forst, wo sie in den bewaldeten Hügeln Parabeldünen erkennen lernen. Diese Dünen sind allerdings nicht nur für Erstsemester interessant.
Eine ehemalige Jäkel-Schülerin, Margot Böse, mittlerweile selbst Professorin für Geographie an der FU, und ihre Mitarbeiter untersuchen, unter anderem, das Alter von Dünen in Berlin und Umgebung. Sie wiesen nach, daß die ersten deutschen Siedler zwisch en Havel und Spree durch Rodung und großflächigen Ackerbau im Mittelalter die Sande remobilisierten. Truppenübungen der französischen Streitkräfte führten noch zu Mauerzeiten zu ähnlichen Ergebnissen, wenn auch auf ganz kleinem Raum. Für alle Umweltforsch er ist es von enormer Bedeutung, zwischen solchen menschgemachten "Verwüstungen" und natürlichen Klimaschwankungen zu unterscheiden. Vor allem, wenn die Ereignisse so weit zurückliegen, daß keine Aufzeichnungen mehr von den Ursachen künden.
Margot Böse ist als Generalsekretärin des INQUA-Organisationskomitees maßgeblich an der Vorbereitung des Kongresses beteiligt. Unter dem Motto "Past - Present - Future" soll die INQUA-Tagung vom 3. bis zum 10. August im Henry-Ford-Bau und angrenzenden Räumen Licht ins Dunkel der Klimageschichte bringen. Dünen und Wüsten sind dabei nur ein kleiner Teil des Programms. In mehr als 60 Symposien befassen sich die Forscher quer durch alle Disziplinen hauptsächlich mit der Rolle der Ozeane für Weltklima und E iszeiten, mit Modellen für zukünftige Klimate und mit Fragen des Grundwassers. Ein bedeutendes Thema ist auch die zeitliche Einordnung der Funde aus der Erdgeschichte, die sogenannte Stratigraphie.
Der zweite wichtige Schwerpunkt des Kongresses ist den ingenieur-geologischen Problemen in der Ex-DDR sowie Methoden und Problemen der Rekultivierung alter Industriestandorte gewidmet.
Josef Zens