Richtig Studieren will gelernt sein. Kein leichtes Unterfangen an einer Massenuniversität wie der FU. Intensive Anleitung und individuelle Betreuung erfahren nur wenige. Seminare zu Arbeitstechniken werden von den verschiedenen Fachbereichen nur selten angeboten. Die Nachfrage unter den Studierenden aber ist groß; und groß ist deshalb auch der Andrang auf die Kurse der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung. Was Studentinnen und Studenten hier geboten bekommen und was sie hier lernen können, beschreibt Helga Knigge-Illner, Psychologin und Mitarbeiterin der ZE.


"Ich könnte heulen. Warum hat uns das nicht schon früher jemand beigebracht?"


Im Laufe der 18 Jahre unseres Bestehens sind wir - die Psychologische Beratung in der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung - zu einer festen Einrichtung der FU geworden. Man kennt uns, die Studierenden nutzen unsere Angebote in selbstverständlicher Weise. Die Nachfrage nach Beratung ist fast immer größer als unsere Kapazität. Das gilt insbesondere für unsere Gruppenangebote. Was es mit diesen Gruppenangeboten auf sich hat, ist vielleicht nicht allgemein bekannt; deshalb möchte ich im folgenden darüber berichten.


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Wir sind in erster Linie Beratungsstelle für Studierende, die Hilfe bei individuellen Problemen suchen. Deshalb ist Einzelberatung nach wie vor der wichtigste Arbeitsschwerpunkt. Die Probleme unserer Ratsuchenden sind sehr unterschiedlich - sowohl im Schweregrad als auch in der Art des Problembereichs. Reaktionen auf Streß oder Krisensituationen treten auf neben psychischen und verhaltensbezogenen Störungen, manchmal haben wir es auch mit Persönlichkeitsstörungen zu tun. Aber über alle Unterschiede hinweg ist auffällig, daß die häufigsten Probleme studienbezogene sind: In unserer Jahresstatistik finden sich auf den ersten Rangplätzen fast immer Lern- und Leistungsstörungen, Orientierungs- und Entscheidungsprobleme sowie Prüfungsangst.

Unsere Beratungsarbeit hat gezeigt, daß sich solche Probleme zu einem großen Teil erfolgreich bewältigen lassen, wenn neue Strategien und Verhaltensweisen gelernt werden. Hierfür eignet sich neben der Einzelberatung die Arbeit in der Gruppe besonders gut. Aus diesem Grund haben wir frühzeitig Gruppenangebote zu zentralen studienbezogenen Themen entwickelt. Mit diesen Gruppen verfolgen wir neben der therapeutischen Funktion auch eine präventive Absicht: Wir wollen auch jene Adressaten erreichen, bei denen sich Probleme noch nicht verfestigt haben und ihnen frühzeitig Strategien vermitteln, mit denen sie kritische Studienanforderungen erfolgreich meistern können. Diese Gruppenangebote sind zu einem zweiten Schwerpunkt unserer Beratungsarbeit geworden.

Zu unserem regelmäßigen Semesterangebot gehört ein Workshop über Arbeitsmethoden. Unter dem Titel "Arbeiten mit Lust und Methode" oder "Systematisch studieren" werden Methoden der Arbeitsplanung sowie des Lesens vermittelt und Anregungen gegeben, wie sich eine konstruktive Arbeitsmotivation erhalten läßt.

Auf das spezielle, aber weit verbreitete Problem des "Aufschiebens von Arbeiten" geht ein Workshop ein, der zur Analyse des eigenen Verhaltens anleitet und Ansatzpunkte zur Bearbeitung aufzeigt.

Mit Redeängsten im Seminar beschäftigt sich eine semesterbegleitende Trainingsgruppe, in der Redebeiträge mit steigendem Schwierigkeitsgrad bis hin zu einem freien Vortrag vor der Videokamera geübt und Streßerfahrungen bewältigt werden.

"Schreiben, Denken, Fühlen" heißt ein Workshop, in dem der individuelle Zugang zum Problem des Schreibens erarbeitet wird und durch vielfältige Übungen Impulse und Schreibtechniken vermittelt werden, durch welche sich Schreibblockaden überwinden und kreative Potentiale erschließen lassen.

Im "Workshop zur Examensvorbereitung" werden Kompetenzen zu verbessern versucht, die der Entstehung von Streß positiv entgegenwirken können: ein selbstbestärkender Umgang mit Prüfungsangst, die Fähigkeit zur Selbstorganisation beim Meistern des Arbeitspensums, das selbstbewußte Auftreten in mündlichen Prüfungen. Auch darin sind Übungssituationen mit Videoaufzeichung vorgesehen, insbesondere bei der Simulation von Prüfungen.

Mit diesem und weiteren Workshops speziell zum Thema "Examen" und mit Bewerber-Trainings haben wir den Schwerpunkt Studienabschlußlabor geschaffen. Damit wollten wir ein spezielles Angebot für eine Studienphase bereitstellen, die ein hohes Maß an Belastungen und ein relativ großes Risiko von Mißerfolg und Scheitern enthält. Viele unserer Gruppenangebote sind zu Rennern geworden, die wir gar nicht mehr vom Programm abzusetzen wagen.

Im Wintersemester 1994/95 haben wir, den Wunsch von Studierenden aufgreifend, den neuen Workshop "Die Examensarbeit: Schafft sie mich oder schaff' ich sie?" angeboten. Neben der Gelegenheit, persönliche Probleme anzusprechen, sieht das Programm des (insgesamt 18stündigen) Workshops Methoden der Arbeitsplanung, Übungen zum wissenschaftlichen Schreiben, Strategien zu Themensuche und Themeneingrenzung, Übungen zur Präsentation von Arbeitsentwürfen in der Gruppe vor und führt in das Autogene Training ein.

Wegen großer Nachfrage mußten wir statt einer insgesamt drei Gruppen (mit jeweils max. 15 Teilnehmern) durchführen. Daß unsere prüfungsbezogenen Angebote sich gegenwärtig besonderer Beliebtheit erfreuen, steht sicher in Zusammenhang mit der Einführung der obligatorischen Prüfungsberatung. Die Zusammensetzung unserer Teilnehmergruppen weist darauf hin: Es finden sich unter ihnen einige der sogenannten Langzeitstudenten, einige Studierende, die sich den Wiedereinstieg in die Universität erhoffen, Studentinnen, die mit den Anforderungen durch Familie, Job und Studium nicht zurechtkommen, und darüber hinaus auch ganz "normale" Studierende, die befürchten, den Prüfungsanforderungen nicht gewachsen zu sein.

Zu diesem Workshop wurde abschließend eine kleine Evaluierungsuntersuchung durchgeführt. Der Beurteilungsfragebogen (von insgesamt 23 Teilnehmern beantwortet) weist einen hohen Zufriedenheitsgrad mit dem Ertrag des Workshops auf. Die überwiegende Mehrheit fühlte sich am Schluß "besser ausgerüstet, die Examensarbeit zu schaffen", ein Großteil gab als Auswirkung sogar konkrete Verhaltensänderungen wie "Verbesserung des Arbeitsverhaltens" und "den Beginn mit der Examensarbeit" an. Bei den meisten hatte sich die Einstellung positiv verändert: "Ich kann es (nun) schaffen" und "Ich habe mehr Zuversicht".

Am "meisten profitiert" haben die Teilnehmer von den Arbeitstechniken, den Schreibübungen und von der "motivierenden Herangehensweise". Sehr hoch geschätzt wurden die positive Gruppenatmosphäre und der dadurch mögliche Erfahrungsaustausch. Alle Befragten würden den Workshop weiterempfehlen. Eine Frage nach Änderungswünschen läßt das Bedürfnis nach "mehr davon" erkennen: mehr Sitzungen und (noch) mehr Übungen werden verlangt.

Und "mehr davon" würden wir ebenfalls gerne sehen, allerdings nicht unbedingt in Form von längerfristigeren Gruppen in unserer Zentraleinrichtung, sondern als eine größere Verbreitung solcher Angebote in den Fachbereichen. Manche Kommentare von Studierenden machen nachdenklich: "Ich könnte heulen. Warum hat uns das nicht schon früher jemand beigebracht, dann hätten wir uns vieles ersparen können" (gemeint war die Strategie, wie man ein ExposŽ zur Examensarbeit erstellt). Der Ausspruch berührt das präventive Anliegen unserer Arbeit: Wir wollen mit unseren Gruppenangeboten auch im Vorfeld der Entstehung von Studienproblemen wirksam werden. Das erfordert ein Tätigwerden auf breiter Ebene. Aber dies können wir nicht allein schaffen. Hierzu bedarf es der Kooperation mit den Fachbereichen.

Analysen und Befragungsergebnisse bestätigen immer wieder, daß der Anteil der Studierenden, der intensive Anleitung zur Ausbildung seiner Studierfähigkeit braucht, in der Massenuniversität enorm angestiegen ist und daß dies in der Lehre zu wenig Berücksichtigung findet. Dem gegenüber können wir auf erprobte Gruppenkonzepte verweisen, die als Modellbeispiele dafür dienen können, wie sich Studienkompetenzen besser entwickeln lassen.*

Wir haben auch konkrete Vorstellungen davon, wie sich solche Konzepte in der Hochschule etablieren lassen; mit einem Pilotprojekt zum Transfer von präventiven Angeboten in die Fachbereiche haben wir hierzu bereits erste Erfahrungen gesammelt. Wir haben die Idee von einer zentralen Schreibwerkstatt, in der das wissenschaftliche Schreiben von Studierenden gelernt werden kann und gleichzeitig Mediatorentraining für Lehrende angeboten wird. Das Gleiche gilt für das zentrale Lernlabor, in dem "study skills" im Mittelpunkt stehen. Aber die Umsetzung all dieser Ideen in die Realität verlangt finanzielle Mittel und personelle Kapazität. Mit der Präsentation unserer Ideen stoßen wir bei Gremien wie der Kommission für Lehre und Studium und auch bei der Hochschulleitung auf Interesse und Wohlwollen. Bis zu einer Projektfinanzierung hat dies jedoch noch nicht geführt.

Im Gegenteil: Im Zuge der gegenwärtigen Sparmaßnahmen sind nicht nur unsere Zukunftsprojekte ungesichert; es trifft sogar unseren gegenwärtigen Bestand. Auch wenn wir gute Konzepte für eine qualifizierte Gestaltung von Prüfungsberatung anbieten, schützt uns das noch lange nicht vor dem Rotstift. Eine vakante Psychologenstelle (eine von insgesamt 4 Stellen) ist seit Oktober letzten Jahres unbesetzt geblieben und droht wegzufallen. Dies wird notgedrungen zu einer Reduzierung unseres Angebots führen müssen. Vermutlich werden wir in Zukunft den "Numerus Clausus" auch für die psychologische Beratung einführen müssen.


Dr. Helga Knigge-Illner

* Vgl. Knigge-Illner, H. und Kruse, O. (Hrsg.): Studieren mit Lust und Methode - Neue Gruppenkonzepte in Beratung und Lehre, Weinheim 1994, Deutscher Studienverlag.


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