Brief aus Kapstadt


Mehr als vier Jahrzehnte hat Südafrika für Rassismus, Unterdrückung, Folter und Beugung der Menschenrechte gestanden, als 1990 Präsident Frederik de Klerk den Weg zur Demokratie einschlägt. Wenig später läuft der seit 27 Jahren inhaftierte schwarze Oppositionsführer Nelson Mandela mit hochgestreckter Faust in die Freiheit. Im April 1994 wird der einstige Staatsfeind Nummer Eins zum neuen Präsidenten der Kaprepublik gewählt.


Von Ralph Höfelein, z. Zt. Kapstadt

Die Massen jubeln Mandela zu, als er nach dem historischen Urnengang den Balkon des Kapstädter Rathauses betritt: "Amandla ngawethu - Alle Macht dem Volk!" Tränen fließen, die alte "Buren-Fahne" wird durch die bunte "Regenbogen-Flagge" ersetzt, die neue Nationalhymne angestimmt: "Nkosi sikelel iAfrika - Gott segne Afrika!" Sektkorken knallen, mitten im Trubel umarmt mich ein Schwarzer und ruft: "I am free today!" Augenblicke, die sich nicht in Worte fassen lassen, deren Bedeutung ich - als Neuling in diesem Land - kaum nachvollziehen kann.

Das alles ist nun schon ein Jahr her. Was hat sich seit jenen Tagen verändert in Südafrika? Ist es wirklich ein "neues" Südafrika? Die Antwort lautet ja und nein. In den Verhandlungen zwischen weißer Regierung und schwarzer Opposition mußten beide Seiten Kompromisse eingehen, um einen friedlichen Übergang zur Demokratie zu gewährleisten. Keine Frage, das Land stand vor allem wegen der extremen Rechten und der Zulu-Partei Inkatha trotz aller Bemühungen knapp vor einem Bürgerkrieg. Unterm Strich aber hätte es kaum besser klappen können. Ja, es ist ein neues, weil demokratisches Südafrika.

Eine der wichtigsten Entscheidungen war, daß die Weißen nicht enteignet und nicht aus ihren Jobs geworfen werden sollten. Resultat: Noch immer leben Millionen Schwarzer in Armut in den sogenannten Townships ohne Wasser, Strom und Telefon, noch immer haben die wenigsten von ihnen Arbeit und noch immer sind es die Weißen, die große Autos fahren und ein Haus mit Swimmingpool besitzen. Nein, das ist nicht neu in Südafrika.

Eine Umfrage im vergangenen Jahr ergab, daß gerade mal ein Prozent der weißen Südafrikaner jemals in einem Township war. "Da gehören wir nicht hin, das ist eine andere Welt und kein Zoo", brachte es jüngst ein (weißer) Kommilitone auf den Punkt, als ich ihn darauf ansprach. Touristen wird von einem Abstecher in die Barackensiedlungen abgeraten. Nicht die Hautfarbe allein ist es, die einen solchen Ausflug riskant machen, jedoch die mit ihr verbundene (berechtigte) Annahme der Township-Bewohner, daß Weiße im Vergleich zu ihnen reich seien. Auto, Geld, Kamera und auch Kleidung ist man da schnell los. Wer Pech hat, verliert mehr. Die Townships sind nicht nur nicht die Welt der Weißen, diese sind dort auch kaum geduldet, am wenigsten als Motivjäger für den geselligen Dia-Abend.

Auch an der University of Cape Town (UCT) sind die Spuren der Apartheid noch sichtbar. Der Campus selbst gleicht einem efeuumrankten Märchenschloß am Fuße des Tafelbergs, jenem Wahrzeichen Kapstadts, das schon 1652 den holländischen Seefahrer Jan van Riebeeck zur Landung in der malerischen Bucht bewegte, mit der das Leid der Einheimischen Südafrikas begann. Wo einst nur Weiße in den Genuß von Bildung kamen, gehen heute auch Schwarze und sogenannte Farbige ("Mischlinge") ein und aus. Doch von den insgesamt 15.000 Studierenden der UCT sind lediglich 45 Prozent Nicht-Weiße, davon wiederum nur rund die Hälfte Schwarze. Zum Vergleich: die Weißen repräsentieren gerade mal 14 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung. Hohe Studiengebühren und eine begrenzte Anzahl von Stipendien erklären das Mißverhältnis. Mit Hilfe sogenannter "Affirmative Action" sollen nun Schwarze in allen gesellschaftlichen Bereichen, also auch an der Universität, gefördert bzw. gegenüber Weißen bevorzugt werden. Eine umstrittene, jedoch angesichts der Vergangenheit vertretbare Methode, ehemaliges Unrecht auszugleichen.

Aus Berlin mitgebrachte Vorstellungen über die Kaprepublik - das bißchen Wissen aus den Medien und ein paar Büchern - zerplatzten rasch nach meiner Ankunft. Südafrika war doch immer schwarz gegen weiß - oder? Von wegen: hier gibt es Differenzen zwischen afrikaanssprachigen und englischsprachigen Weißen, Weißen und Schwarzen, Schwarzen und Farbigen, Zulus und Xhosas, Xhosas und Indern, Linken und Rechten, Linken und Ganz-Linken sowie Rechten und Ganz-Rechten. Doch selbst diese Aufzählung wird dem tatsächlichen Facettenreichtum südafrikanischer Gespaltenheit nicht gerecht.

Südafrika sucht nun nach der vielbeschworenen "Einheit in der Vielfalt", ähnlich wie Kanada, die USA, Indien, Indonesien und andere ethnisch zusammengewürfelte Staaten. Gemeinsam sollen alle Südafrikaner das Werk "Neue Nation" in Angriff nehmen - es gibt sogar so etwas wie ein "Aufschwung Südafrika"-Programm mit dem Namen RDP (Reconstruction and Development Programme).

Am Kap geschehen nach dem politischen Umbruch ganz ähnliche Dinge wie in Deutschland nach dem Mauerfall: Denkmäler werden gestürzt, Geheimdienstaktivitäten enthüllt, Straßen und Flughäfen umbenannt. Demnächst soll eine Untersuchungskommission zur Aufarbeitung von Apartheid-Verbrechen ihre Arbeit aufnehmen.

Leider setzen noch immer viele die weißen Südafrikaner mit Nazis gleich. Die aber leiden unter diesem Vorurteil mindestens ebenso wie unsereins, wenn wir im Urlaub mit "Heil Hitler" begrüßt werden. Keine Frage, es existiert noch ein Potential rassistisch eingestellter Weißer - sonst hätte es Apartheid wohl nicht geben können. Es ist jedoch nur eine Minderheit, die sich insgeheim die "guten alten Zeiten" ernsthaft zurückwünscht.

Die Südafrikaner versuchen, mit der Geschichte so gut wie eben möglich umzugehen. Ehemalige Gegner müssen heute zusammenstehen und miteinander leben. Einfach ist das nicht: Mein guter Vorsatz, hier ganz gewiß auch viele Schwarze oder zumindest Nicht-Weiße kennenzulernen ist im Grunde gescheitert. Nach nunmehr 14 Monaten in Südafrika kann ich ungefähr 20 Weiße, vier Nicht-Weiße und exakt null Schwarze zu meinem Freundeskreis zählen. Liegt das an mir? Bin ich etwa ein Rassist? Also, was läuft hier falsch? Ein Beispiel: Zwar kann ich in der UCT-Vorlesung neben einem Schwarzen sitzen, nach der Veranstaltung jedoch gesellt sich "wie von selbst" weiß zu weiß, schwarz zu schwarz, Inder zu Inder und farbig zu farbig - und keinen stört's. Selten geht der Kontakt zwischen Studenten unterschiedlicher Couleur über die Frage "Hast Du mal Feuer?" hinaus. Anfangs war ich erstaunt, auf eine Party eingeladen zu werden und dort nur Weiße zu treffen. Heute bin ich das gewohnt. Weiße wie Nicht-Weiße nennen das "natural segregation". Stellte sich jemand auf den Uni-Hof und würde durch ein Megaphon die verschiedenen (ethnischen) Grüppchen auffordern, sich doch bitte etwas zu "vermischen", da wir ja schließlich im "neuen" Südafrika lebten, würde er von allen Seiten ausgelacht.

Wo bei uns von der "Mauer in den Köpfen" gesprochen wird, so wird es hier noch über die nächsten Jahre hinweg die "Hauffarbe in den Köpfen" geben. In der Stadt ist das weniger auffällig als auf dem Land. Dort fragt man sich tatsächlich, ob die Kunde von der Abschaffung der Apartheid überhaupt schon angekommen ist. Jahrzehntelang staatlich verordneter Rassismus verschwindet nicht von heute auf morgen. Es ist keine fünf Jahre her, da hatte noch jeder Südafrikaner einen Stempel im Paß, der ihn nach seiner ethnischen Zugehörigkeit klassifizierte. Dementsprechend ergaben sich entweder Vor- oder Nachteile. Die Farbigen hatten es weit besser als die Schwarzen, jedoch schlechter als die Weißen. Gerade sie fürchteten sich vor dem anstehenden Machtwechsel im vergangenen Jahr. Die Angst vor der "schwarzen Rache" wegen ihrer Vorteile in der Vergangenheit führte dazu, daß die überwältigende Mehrheit der Farbigen 1994 ihr Kreuzchen bei den früheren Unterdrückern, der"weißen" Nationalen Partei machte. Da viele von ihnen in und um Kapstadt leben, ist dies auch die einzige südafrikanische Provinz, in der die ehemalige Apartheid-Partei gewonnen hat.

Der Alltag ist hier Politik, und die Politik bestimmt den Alltag. Wer von alledem Erholung nötig hat, setzt sich in die längste freihängende Seilbahn der Welt und fährt auf den Tafelberg - der Fußweg ist bei den hiesigen Temperaturen eher anstrengend. Oder man legt sich an einen der zig Traumstrände unter eine Palme und läßt es sich gutgehen. In der Stadt warten Flohmärkte, Discos, Kneipen, Konzerte und Theater auf Kundschaft - Möglichkeiten der Zerstreuung gibt es genug. Doch auch dabei kann man der Politik kaum entfliehen - an der öffentlichen Toilette auf dem Green Market Square im Zentrum der Kap-Metropole erinnern dunkle Flecken an der Wand an jene ebenso dunkle Zeit der Apartheid: hier hingen Schilder mit der Aufschrift "Net Blankes - Nur für Weiße".

Ralph Höfelein

Ralph Höfelein (26), seit 1990 FU-Student der Publizistik, Politik und Geographie, recherchiert für seine Magisterarbeit "Die südafrikanische Presse in der Übergangszeit zur Demokratie" vor Ort an der Universität Kapstadt.
Seit Februar 1994 studiert er dort Politikwissenschsft. Während der Wahlen in Südafrika hat er für deutsche Medien in Südafrika gearbeitet und in den Semesterferien bei dpa in Johannesburg hospitiert.


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