FU "kaltgestellt"

Lesen und schreiben mit dem Rastertunnelmikroskop


Eine ausgeklügelte Technik und ihre Beherrschung bis ins allerkleinste - das ist der Weg, der Dr. Gerhard Meyer und den Diplomanden Björn Neu aus der AG von Prof. Rieder am Institut für Experimentalphysik der FU zum Erfolg führte: Gerade einmal 6 Nanometer (1 Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters) hoch sind das F und das U, die sie aus einzelnen Kohlenmonoxidmolekülen auf einem Kupfer-Scheibchen mit Hilfe eines Rastertunnelmikroskops (RTM) aufgebaut haben. Hätten sie es sich zur Aufgabe gemacht, den Inhalt eines Berliner Telefonbuchs - etwa eine Million Addressen und Telefonnummern - mit ihrer Methode abzuschreiben, so hätte ihnen eine Kupferfläche von der Größe des Querschnittes eines Haares genügt. Um diese winzigen Buchstaben zu lesen, muß man sich wiederum eines solchen Mikroskops bedienen.

Wie funktioniert so ein Gerät, mit dem man sowohl lesen als auch schreiben kann? Vielleicht stellt man sich zunächst folgendes vor: Ein blinder Mensch sitzt vor einem Brett. Vorsichtig tastet er mit dem Zeigefinger über die Oberfläche. Er stellt fest, daß sie durch eine regelmäßige Anordnung von Mulden strukturiert ist, die teilweise wahllos von Murmeln passender Größe besetzt sind. Nun möchte er mit den Kugeln ein bestimmtes Muster bilden. Dazu preßt er den Finger auf eine der Murmeln und drückt sie von Mulde zu Mulde, bis sie richtig plaziert ist. Das gleiche geschieht mit der nächsten Murmel und so fort. Abschließend tastet er noch einmal sanft mit dem Finger das Brett ab um zu fühlen, ob alle Kugeln mustergültig positioniert sind. Was verbindet dieses Bild und das Schreiben mit CO-Molekülen auf einer Kupferoberfläche?

Eine Oberfläche darf man sich nicht als strukturlose, glatte Ebene vorstellen, auch wenn sie plan geschliffen und poliert ist, denn sie ist aus einzelnen Atomen aufgebaut. Durch ein geeignetes Verfahren lassen sich Kupferstücke, sogenannte Einkristalle, herstellen, in denen die Kupferatome vollkommen periodisch angeordnet sind: Von jedem Atom im Kristallinnern aus gesehen, sieht die Umgebung gleich aus. Schneidet man dieses Kupferstück durch, so bilden die Oberflächenatome ein regelmäßiges Muster mit regelmäßigen Zwischenräumen. Je nach der Richtung, in der geschnitten wird, erhält man ein etwas anderes Muster. Der Kupferkristall mit dem Gerhard Meyer und Björn Neu arbeiten, ist so geschnitten, daß er eine gestufte Oberfläche besitzt. Packen sie CO-Moleküle darauf, dann haften diese mit ihrer Kohlenstoffseite an den Stufenkanten. Wollen sie nun beispielsweise ein F schreiben , so verschieben sie die einzelnen Moleküle entlang dieser Kanten. Überflüssige Moleküle werden beiseite gerückt, aus den übrigen formen sie den Buchstaben. Wären die Experimentatoren so klein wie ein durchschnittlicher Schnupfenvirus (20-30 Nanometer Durchmesser), so wären die Kohlenmonoxidmoleküle für sie etwa genauso groß wie die Murmeln für einen Normalmenschen: Sie könnten die CO-Moleküle per Hand ertasten und verschieben. So aber brauchen sie ein Rastertunnelmikroskop, es ist sozusagen ein "atomarer Finger" mit extremer Feinmotorik: Der Finger selbst ist nichts weiter als eine Wolframnadel mit einer sehr scharfen Spitze, die idealerweise in nur einem einzelnen Wolframatom endet.

Die Nadel ist an einem piezoelektrischen Röhrchen befestigt. Das ist eine Keramik, deren Länge sich durch Anlegen einer Spannung sehr genau ändern läßt, je nach Polarität verkürzt oder streckt sie sich. Der Wolframfinger kann also durch elektrische Spannung bewegt werden. Der Effekt ist sehr klein, so daß sich mit dieser Halterung die Nadel horizontal und vertikal auf ein tausendstel Nanometer (entspricht etwa dem hundertsten Teil eines Atomradius) genau positionieren läßt. Bleibt nur noch die Frage, wie sie etwas "fühlen" kann. Das Schlüsselwort hierzu ist der "Tunneleffekt", eines der Phänomene, die man erst mit Hife der Regeln der Quantenmechanik versteht: Die Wolframnadel besteht aus einzelnen Atomen, zu denen jeweils eine bestimmte Zahl von Elektronen gehört.

Zwar kann sich ein Teil dieser Elektronen quasi frei in der gesamten Nadel bewegen, außerhalb von ihr können sie aber nicht sein, es ist ihnen "verboten". Ist nun die Spitze dicht über der Kupferoberfläche (in der sich ebenfalls eine große Zahl von Elektronen tummelt) ohne diese jedoch zu berühren, so sollte man meinen, daß stets "Nadelelektronen" in der Nadel, "Kupferelektronen" im Kuper bleiben. Aber tatsächlich kann ein Elektron zwischen Nadel und Kupfer hüpfen, es tunnelt durch den "verbotenen" Zwischenraum hindurch. Wie häufig das geschieht, hängt natürlich von dem Abstand zwischen Spitze und Kupferoberfläche ab: Je dichter sie beisammen sind, desto leichter fällt der Wechsel. Wenn zusätzlich eine Spannung zwischen Nadel und Kupferscheibe anliegt, dann schlüpfen mehr Elektronen in die eine Richtung als in die andere, je nachdem, ob sie "mit" oder "gegen" die Spannung tunneln: Es fließt ein Strom.

Da die Häufigkeit, mit der die Elektronen tunneln, auch vom Abstand abhängt, tut das auch der Strom: vergrößert man den Abstand um 0,1 Nanometer, so sinkt der Strom etwa auf ein Zehntel seines ursprünglichen Wertes. Außerdem hängt die Stromstärke auch von den Atomen bzw. Molekülen (Wolfram, Kupfer, Kohlenmonoxid) ab, zwischen denen die Elektronen tunneln. Und so kann man nun auf der Kupferoberfläche schreiben: Auf die gesäuberte Kupferoberfläche werden Kohlenmonoxidmoleküle adsorbiert. Dann legt man eine Spannung zwischen Kupfer und Wolframnadel an und bewegt die Nadel auf die Oberfläche zu. Dabei wird der Tunnelstrom gemessen. Bei einer Stromstärke von 1 Nanoamp¶re weiß man, daß die Spitze nur noch 1-3 Atomabstände von der Oberfläche entfernt ist.

Nun wird sie in horizontaler Richtung zeilenförmig über die Oberfläche bewegt. Befindet sich ein CO-Molekül auf der Oberfläche, so verringert sich der Abstand zur Nadel. Außerdem sieht sie sich einem anderen Element gegenüber. Als Folge ändert sich der Tunnelstrom. Nun fährt man die Nadel noch dichter an das Molekül, bis eine Kraft zwischen ihnen wirkt, und verschiebt es entlang der Stufenkanten. Diese geschieht mit allen Molekülen, bis der Buchstabe fertig ist.

Ein wichtiger Aspekt wurde noch nicht angesprochen: In dem Labor stehen insgesamt drei Rastertunnelmikroskope, nur eines ist aber schreibtauglich: Mit ihm lassen sich Kupferstück und CO-Moleküle auf bis zu -260ÁC abkühlen (-273ÁC ist die tiefste Temperatur, die es geben kann). Diese Temperatur ist nötig, damit die Buchstaben stabil sind. Für die Moleküle bedeutet Wärme Bewegungsenergie. Je wärmer es ist, desto mehr zappeln und diffundieren sie auf der Oberfläche, und ein mit Mühe an den vorgesehenen Ort gebrachtes Molekül bleibt dort mitnichten sitzen, sondern hüpft sofort weiter auf einen anderen Platz. Es hat zuviel Energie und muß deswegen schlichtweg kaltgestellt werden.

Etwas verwundert ist Professor Rieder schon, daß seine Arbeitsgruppe erst die zweite ist, der diese sanfte Manipulation gelang, denn vorgemacht hatte es bereits 1991 Don Eiglers Team bei IBM. Ursprünglich hatte man gar nicht daran gedacht, das RTM als Werkzeug zu benutzen. Das erste 1981 von Gerd Binnig und Heinrich Rohrer entwickelte Gerät war nur zum Mikroskopieren gedacht. Ziel war gewesen, atomare Oberflächenstrukturen sichtbar zu machen. Das ist mit herkömmlichen Licht- oder Elektronenmikroskopen unmöglich.

Rasch wurde der Anwendungsbereich des RTM's aber größer, auch weil sich zeigte, daß es zur Manipulation benutzt werden kann. Und so hat Prof. Rieder auch schon neue Pläne im Kopf. Zunächst läßt sich studieren, wie die CO-Moleküle in Abhängigkeit von der Temperatur diffundieren. Das RTM kann aber auch als Kran eingesetzt werden: Wenn -wie zum Verschieben- die Spitze auf das Molekül gesenkt, zusätzlich aber auch die Spannung umgepolt wird, haftet es an der Spitze und kann hochgehoben werden. Durch den umgekehrten Prozeß läßt es sich wieder ablegen. Damit ist z. B. die Herstellung einer definierten Spitze möglich: Bisher war ihre Qualität auch vom Zufall abhängig, in seltensten Fällen befand sich tatsächlich nur ein einziges Atom am Ende der Nadel. Durch die gezielte Aufnahme eines Atoms erhält man nun sicher eine "scharfe" Spitze und damit auch schärfere Bilder.

Desweiteren lassen sich neue Materialien kreieren, in denen z. B. die Atome anders als unter natürlichen Bedingungen angeordnet sind, oder in die gezielt Atome eines anderen Elementes an beliebiger Stelle eingebaut werden. Aufgrund der tiefen Temperaturen sind sie dann zu unbeweglich, um sich zu ihrer natürlichen Struktur neuzuordnen. Viele Eigenschaften dieser Materialien ließen sich gleich an Ort und Stelle mit dem RTM untersuchen. Schließlich können auch kleinste 1-, 2- oder 3- dimensionale Nano-Strukturen beliebiger Form und Größe gebaut werden. Interessant ist dabei die Einflußnahme der Oberfläche.

Die meisten ihrer Eigenschaften unterscheiden sich nämlich von denen im Innern. Je kleiner oder verzweigter eine Struktur ist, desto größer ist das Verhältnis der Oberfläche zum Gesamtvolumen und desto dominanter werden damit ihre Eigenschaften. Angesichts dieser Möglichkeiten war das FU-Logo lediglich eine Fingerübung.

Gabriele André


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