Begrüßung mit "Infraschall"

Berlin ist eine Fledermausmetropole


Das kleine pelzige Wesen zittert, vibriert, zieht die schwarze Nase kraus und nimmt Witterung auf. Es paßt genau in Martin Lehnerts Hand. Beruhigend spricht der junge Mann auf die Fledermaus ein. Dabei hat das Tier, ein Abendsegler, gar keine Angst, wie der Fledermausforscher von der Freien Universität Berlin versichert. Das Vibrieren ist "Infraschall" zur Verständigung mit Artgenossen. Ein "Hallo", das jetzt Lehnert gilt. Denn nach einem Armbruch kann der Abendsegler nicht mehr mit seinesgleichen fliegen und wird von dem Biologen gepflegt.

Seit zehn Jahren erforschen Martin Lehnert und Carsten Kallasch Berliner Fledermäuse. Angefangen hat alles eher zufällig: "Eigentlich wollten wir nur eine Naturschutzaufgabe", erzählt Lehnert. Über den Gymnasiallehrer und Fledermausfachmann Jürgen Klawitter kamen sie zu den fliegenden Säugern. Zunächst hatten die Biologie-Studenten an der FU Probleme, eine fachliche Betreuung zu finden: "Niemand kümmerte sich an den Unis um Fledermäuse", sagt Lehnert. Der Zoologe Gerd Weigmann betreute dann aber die Forschungsarbeiten, die sich mit der Populationsökologie von Fledermäusen befaßten. Das war einzigartig in Berlin.

Dabei ist die Bundeshauptstadt seit langem eine Fledermaus-Metropole. Allein in die Spalten der bis zu vier Meter starken Wände der Spandauer Zitadelle kommen jedes Jahr rund 11000 der Nachtschwärmer. "Die Zitadelle ist ein zentraler Punkt für sie im Raum Berlin-Brandenburg", berichtet Lehnert. Mehrere Tausend überwintern in Spandau, selbst wenn bei Begehungen nur rund 400 gezählt werden können. Der Rest steckt im Gemäuer, und viele Tiere kommen aus dem Brandenburger Umland oder sogar aus Mecklenburg-Vorpommern.

Von den 30 Arten in Europa finden sich 16 in Berlin. Einige sind nur Sommergäste, wie die Rauhhautfledermaus. Sie kommen sogar aus Lettland und wurden schon in Südfrankreich entdeckt. Auch die Abendsegler, häufig in Berlin anzutreffen, sind Langstreckenflieger. Als Fernreisende legen sie schon mal 2000 Kilometer zurück. Andere Arten wie die in der Zitadelle beobachteten Wasserfledermäuse sind hochmobil. Im Spätsommer und Herbst fliegen sie zwischen Sommer- und Winterquartier maximal 100 Kilometer im Radius. Andere dagegen bleiben im Umkreis von 10 bis 30 Kilometern. Immer in der City daheim sind die Breitflügel- und die Zwergfledermaus. Sie halten nicht nur ihren Winterschlaf in Berlin, sondern bekommen hier Junge - meist eines pro Jahr, nackt und blind als Neugeborenes und nach nur vier bis sechs Wochen so groß wie die Eltern.

Geschlechtsreif werden die Tiere frühestens mit drei Monaten. Sie werden bis zu 30 Jahre alt, im Durchschnitt fünf. In Deutschland gibt es insgesamt 22 Arten der Ordnung "Flattertiere". "Fledermus" ist althochdeutsch und heißt Flattermaus. Dabei haben die "Handflügler" (Chiroptera) , wie sie wissenschaftlich genannt werden, nur wenig mit Mäusen zu tun. Sie sind keine Nager, sondern typische Insektenfresser. Ihre nächsten Verwandten sind Igel oder Maulwurf.

So sind sie angenehm stille Nachbarn des Menschen: "Sie entwickeln keine Bautätigkeit, schleppen nichts an und machen nichts kaputt", sagt Lehnert. Und doch gruseln sich die Leute. Die Mär vom blutsaugenden Monster speist sich aus zwei Quellen: In Südamerika gibt es tatsächlich Fledermäuse, die sich vom Blut lebender Tiere ernähren. Und aus Südosteuropa überliefert der Volksmund Sagen von lebenden Toten: Vampire, die sich notfalls in Fledermäuse verwandeln.

Dabei machen sich die Berliner Fledermäuse überhaupt nichts aus Blut, schon gar nicht von Menschen. Saftige Mehlwürmer dagegen lieben sie, doch die kriegt nur der kleine Abendsegler in Lehnerts Obhut. Seine freilebenden Verwandten haben es schwerer und müssen per Ultraschall Insekten orten.

Ab und zu verirrt sich ein Jäger in eine Wohnung. Da Fledermäuse zu den "geselligsten Säugetieren überhaupt" gehören (Lehnert), kommt es schon mal zu einem blitzartigen Massenbesuch. Artgenossen folgen dem Tier, es wurden bis zu 80 Fledermäuse in einer Wohnung gezählt. Immer handelte es sich dabei um Zwergfledermäuse. Die sind ungefähr daumengroß und wiegen mit drei bis fünf Gramm gerade mal so viel wie ein Groschen. Die Haut an der menschlichen Hand ist bereits zu dick für ihre Zähnchen, erklärt Lehnert.

Nach mehr als 14000 Fledermausfängen in zehn Jahren sagt er: "Es passiert nichts."

Das gilt auch umgekehrt. Obwohl die winzigen Tierchen hochempfindlich erscheinen, werden sie beim Fang und durch die Markierung nur sehr selten verletzt. Lehnert: "Sonst wär ich dagegen." Das liegt am Verhalten der Fledermäuse, die beim Fang ganz ruhig bleiben. Sie kennen - ganz im Gegensatz zu anderen Kleinsäugern (und zum Mensch!) - keine Panikreaktion, da natürliche Feinde fehlen. Einzig Eulen erwischen ab und zu eine Fledermaus, doch fast immer manövrieren sie die Greifvögel aus.

Dennoch sind die Fledermäuse gefährdet. Ihr Lebensraum wird vernichtet. Warme Dachböden in Altbauten, feuchte Keller (etwa von Brauereien) oder nur alte Bäume verschwinden aus der Lanndschaft. Dazu kommt die Giftbelastung durch Unkrautvernichtungs- oder Holzschutzmittel.

Diese Gefährdung macht die Erforschung der Population um so wichtiger. Derzeit läuft in Berlin, so Lehnert, das größte Beringungsprojekt in Mitteleuropa. Etwa 8000 Individuen wurden markiert. Der Aufwand ist enorm. Für vier Monate im Jahr machen Kallasch und Lehnert die Nacht zum Tag, fangen und beringen Fledermäuse oder identifizieren die "Wiederfänge". Gefördert werden sie derzeit noch durch die "Berlin Forschung", ein FU-Programm für Nachwuchswissenschaftler. "Das ist wichtig", betont Lehnert, "denn jetzt sind wir auf dem Ernteniveau. Jetzt kommen die Daten. "

Da werden persönliche Belange schon mal zurückgestellt. Nachts ist Lehnert im Sommer selten daheim. Die Freundin sieht ihn dann kaum. Und die zwei Kinder der beiden halten Lehnert tagsüber auf Trab: "Mein Schlafdefizit ist dann chronisch - man hat's nicht leicht als Fledermausforscher." Er fügt hinzu: "Dafür bekommt man aber Dinge zu sehen, die sonst kaum jemand erlebt."

Josef Zens


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