EX und TOPP: Wolf Jobst Siedler


Zuchthaus, Krieg, Gefangenschaft. Wolf Jobst Siedler hat all das erfahren. Und doch sagt der 69jährige: "Das Leben hat es gut mit mir gemeint. "

Siedler ist Verleger und zugleich Schriftsteller. Das ist soweit nichts außergewöhnliches, doch selten ist es einem Verleger gelungen, wie Siedler, auch als Autor erfolgreich zu sein. Sein Berlin-Buch "Die gemordete Stadt" ist zum Klassiker geworden. Nicht sofort, denn als 1964 das Buch erschien, in dem er das alte Berlin mit dem neuen vergleicht und sein Entsetzen über die moderne Stadtplanung zum Ausdruck bringt, begegneten ihm Unverständnis und Ablehnung. Nur knapp über tausend Exemplare konnten damals verkauft werden, inzwischen liegt das Buch in der siebenten Auflage vor.

Er sei ein Grüner gewesen, noch bevor es Die Grünen gab, heißt es über Siedler. Und er ist Preußisch-Konservativer - kaum ein Gespräch, in dem er nicht auf seine Vorfahren, die Schadow und Zelter verweist. Die ZEIT bezeichnete ihn als "Deutschlands einzigen linken Tory" - er hört und zitiert es gerne. Siedler hat sich nie einordnen lassen und sagt von sich selbst: "Es ist mir in meinem Leben wirklich gelungen, geistige Unabhängigkeit zu bewahren."

Wolf Jobst Siedler

Einmal mußte er hierfür beinahe mit dem Leben bezahlen: 1943 wird der junge Luftwaffenhelfer von der Gestapo verhaftet, weil er gemeinsam mit Freunden Lebensmittelmarken für versteckte jüdische Mitbürger beschaffte. Zusammen mit dem Sohn von Ernst Jünger kommt er ins Zuchthaus. Beide werden schließlich als Kanonenfutter an die Südfront geschickt. Jüngers Sohn stirbt, Siedler kommt mit einer Verletzung davon und letztlich in britische Gefangenschaft. Als Chefredakteur der Kriegsgefangenenzeitung soll er verblendeten deutschen Soldaten die Augen öffnen. Erst nach mehr als drei Jahren kommt er frei und sieht 1948 wieder, was von seiner Heimatstadt Berlin übriggeblieben ist.

Als Opfer des Faschismus erhält er noch im selben Jahr die Zulassung zur Universität Unter den Linden. Als er jedoch erkennen muß, daß ein freies Studium hier unmöglich ist, geht er mit Freunden daran, eine neue Universität im Westteil der Stadt aufzubauen. Waren auch bald leidlich geeignete Räumlichkeiten gefunden, so ging es schließlich darum, namhafte Professoren für das Projekt zu interessieren. Der junge Siedler macht sich also auf den Weg, fährt zu Gesprächen nach Halle, Greifswald und Jena. "Das war meine große Enttäuschung. " Der Zorn über die erste Frage der Professoren, ob sie denn emeritiert oder pensioniert würden, wie hoch also ihre Rente sein würde, ist ihm noch heute anzumerken. "Es geht hier um die Gründung einer Universität, und sie fragen nach dem Geld", entgegnete er damals. Und sie kamen.

Etwas mehr als 2000 Studenten und knapp 130 Dozenten zählte die Freie Universität im ersten Jahr - eine verschworene Gemeinschaft. "Die nahmen einen ganz ernst", erzählt Siedler über seine Lehrer von damals. Wie auch anders, grüne Jungen waren diese ersten Studenten nach dem Krieg nicht mehr. Und wenn vielleicht noch keine Persönlichkeiten, so doch "ausgereifte Personen".

"Es war ein ganz anderer Umgang damals untereinander und miteinander als heute. Lehrer und Schüler verkehrten zwar mit der Form der Welt von gestern - man sagte Herr Kunisch und Herr de Boor und nicht Hermann und Helmut - aber völlig gleich zu gleich. Es war alles sehr viel formeller und sehr viel vertrauter. "

Und heute? Der 69jährige winkt ab: "Wenn man heute nicht genau weiß, was man eigentlich machen will, welchen Beruf man ergreifen soll, dann geht man eben erst einmal 10 oder 20 Semester an eine Universität. " Auch der junge Siedler war ohne konkrete Vorstellungen zur Universität gekommen, studierte Philosophie, Soziologie, Germanistik und Geschichte - mit mehr Energie und Dynamik allerdings als dies heute üblich sei. Was Siedler denn auch beklagt, sind nicht die Studienanfänger, die nicht genau wissen, was sie einmal machen sollen, sondern vielmehr "die Massen, die nicht beabsichtigen, sich während der Dauer des Studiums über sich selber klar zu werden".

Der Student Siedler weiß schon bald, was er will. Und er verläßt die Universität - ohne Abschluß. Bedauert hat er es nie. "Denn wenn es einen drängt, selbst etwas zu bewirken, dann ist es egal, ob man einen Abschluß hat oder nicht." Den jungen Siedler drängt es zur Zeitung. Nachdem er schon während des Studiums fleißig Artikel geschrieben hat, nimmt er 1954 das Angebot der Neuen Zeitung, Redakteur im Feuilleton zu werden, an. Er ist gerade 29, als er Feuilletonchef beim Tagesspiegel wird. Siedler ist Autodidakt; eine journalistische Ausbildung hat er nie genossen. Was ihn nach oben bringt, ist die Begabung. Ein wenig auch der Zufall, denn der Tagesspiegel ist nicht die letzte Station auf der Karriereleiter. Unverhofft wird er Leiter des Propyläen-Verlags bei Axel Springer. Seine Einwände, er habe keine Ahnung vom Rechnungswesen, tut Springer mit einem Schulterzucken ab. So etwas kann man lernen. Und Siedler lernt, hat Erfolg und übernimmt schließlich auch Ullstein.

Nach der Trennung von Springer gründet er 1980 den eigenen Verlag und gewinnt so unterschiedliche Autoren wie Franz Josef Strauß, Helmut Schmidt, Bruno Kreisky und Richard von Weizsäcker. Politische Scheidungen haben ihn nie interessiert, wichtig ist, was jemand zu sagen hat. Siedler betrachtet sich nicht als "Drucker, der Manuskripte in den Satz gibt und veröffentlicht". Verlegen heißt für ihn, seine Fragen an die Autoren zu richten, gemeinsam Ideen und hieraus Bücher zu entwickeln. In den Verlag oder in das Wohnhaus nach Dahlem lädt Siedler seine Autoren ein, die oft zugleich Freunde sind. Und sie kommen gerne, schätzen wie Siedler das persönliche Gespräch und seine Art, neue Bücher zu planen.

Im kommenden Jahr will er sich, anläßlich seines 70. Geburtstages, ganz aus dem Verlagsgeschäft zurückziehen. Mit Politikern und Wissenschaftlern wird er jedoch weiter zusammenkommen. Wie bisher sollen die Gespräche Anstoß zum Nachdenken und Anlaß für eigene Publikationen sein. Sein nächstes Buch wird sich mit Berlin beschäftigen. Und zwar mit der neuen deutschen Hauptstadt als Mittlerin zwischen dem alten Ost- und dem alten Westeuropa.

Holger Heimann


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