Nur 20 Kilometer vom Seminar zur See - Studieren auf der
dänischen Insel Fünen an der Universität Odense
"Warum denn gerade nach Dänemark?" fragten mich nicht nur in
Berlin, sondern auch in Dänemark zahlreiche Leute. Ja, warum denn
eigentlich? Die meisten Austauschstudenten gehen nach England,
Frankreich oder in die USA; aber nach Dänemark, womit einige vor allem
Kindheitssommer-Urlaubserinnerungen mit Sandstrand, Blockhaus, Legoland
und knallroten Würstchen (p¿lser) verbinden, doch wohl eher wenige.
Gerade das mag ein Grund für mich gewesen sein. Und warum dann
ausgerechnet noch nach Odense, von dessen Existenz ich trotz meines
Geographiestudiums noch nie zuvor gehört hatte? Das lag ganz einfach
daran, daß die TU Berlin, an der mein Hauptfach angesiedelt ist, mit der
Universität in Odense ein ERASMUS-Austauschprogramm unterhält. Das soll
genug der Erklärung sein.
Jetzt weiß ich also, daß die Stadt Odense, die nach dem nordischen
Göttervater Odin benannt ist, auf der Insel Fünen (Fyn) liegt. Mit
180.000 Einwohnern ist sie die drittgrößte Stadt Dänemarks und war
Geburts- und teilweise Wohnort so berühmter Persönlichkeiten wie Hans
Christian Andersen und Carl Nielsen.
Seit 1966 hat Odense eine Universität in schönster
"Rostlauben"-Architektur, an der heute rund 8.000 Studierende
eingeschrieben sind. Seit einigen Jahren bietet die Universität bzw. der
Fachbereich der Humanisten und die School of Business and Economics das
Programm Scandinavian Area Studies an, das aus einem intensiven
Dänischsprachkurs (auf Englisch) für absolute Anfänger und Kursen über
Skandinavische Kultur, Geschichte, Politik und Gesellschaft sowie
interkulturellem Marketing besteht.
Mit gut 30 Studentinnen und Studenten aus Schweden, den
Niederlanden, Irland, Frankreich, Spanien, Ex-Jugoslawien, Kanada, den
USA und Deutschland habe ich von Anfang September bis Mitte Dezember 15
Wochen lang noch einmal so richtig Schule gespielt. Das bedeutete im
Durchschnitt eine 25-Stundenwoche an der Uni und zum Abschluß in jedem
der drei Fächer ein Essay schreiben bzw. in Dänisch eine mündliche
Prüfung absolvieren. Zur "Belohnung" erhielten wir ein Diplom, neben dem
mein Abitur- und Zwischenprüfungszeugnis, nach ästhetischen Maßstäben
beurteilt, äußerst blaß aussehen.
Zu Beginn irritierte mich das Alter meiner Kommilitonen sehr. Alle
anwesenden Französinnen waren höchstens 22 Jahre alt und hatten ihr
Studium in Frankreich so gut wie beendet. Auch ein amerikanischer
Gastdozent, der für eine Weile am dänischen Sprachunterricht teilnahm
und erst 27 Jahre alt war, ließ mich sehr ins Grübeln geraten. Ungewohnt
war die Situation für mich deshalb, weil ich in Deutschland mit 25
Jahren eigentlich zu denen gehöre, die mit ihrem nahen Studienende "sehr
gut in der Zeit" liegen, und ich mich in Odense inmitten der Franzosen
und Amerikaner schon fast als "Seniorin" fühlte. Aber die anwesenden
Deutschen erhöhten den Altersdurchschnitt dann wieder erholsam, und auch
ein Blick aus meinem "Klassenzimmer" ließ mich entspannter werden, als
ich sah, daß das Durchschnittsalter der dänischen Studenten ungefähr dem
der Deutschen entspricht. Neu war es für mich auch, an einer kleinen
Uni, die alle Fachbereiche unter einem Dach vereint, zu studieren.
Für diesen möglichen Vorteil erhielt ich gleich zu Semesterbeginn
ein eindrucksvolles Beispiel geliefert: als nämlich die Uni ihr
alljährliches Jubiläumsfest veranstaltete. Alle Gänge und viele
Seminarräume wurden freigeräumt, um dort an langen Tafeln zu dinieren.
Anschließend verwandelte sich die gesamte Uni in einen gewaltig großen
Partyraum mit mehreren Bands der unterschiedlichsten Musikrichtungen und
Lautstärken. Menschen über Menschen, vom Erstsemester- und
Austauschstudenten bis hin zur Bibliothekarin und zum
Politologieprofessor, der eine Woche später die dänische Königin
Margrethe nach Tschechien begleitete. Vor vier Jahren war Ihre Majestät
Margrethe II. anläßlich des 25. Jubiläums der Universität
höchstpersönlich anwesend!
Gleich zu Beginn meines Aufenthalts, am 21. September wurde in
Dänemark gewählt. Mit Wahlversprechen wie "Rückenwind für Radfahrer",
"besseres Wetter an Sonntagen" und "größere Weihnachtsgeschenke" war der
Komiker Jakob Haugaard aus Aarhus in der Lage, von den gut vier
Millionen wahlberechtigten Dänen etwas mehr als 23.000 Stimmen und damit
einen Sitz im dänischen Parlament - dem Folketing - zu erhalten. Das
sorgte allgemein für große Aufregung. Manche hielten die gesamte Aktion
nur für eine Art Happening oder eine Satire über politische
Wahlversprechen, andere wiederum verstanden die Wahl als Ausdruck einer
weitverbreiteten Resignation der Dänen, mit ihrer Stimme überhaupt
irgendetwas bewirken zu können, wogegen jedoch eine ungewöhnlich hohe
Wahlbeteiligung spricht.
Seit dieser Wahl steht also der sozialdemokratische Staatsminister
Poul Nyrup Rasmussen an der Spitze einer Minderheitsregierung, in der
neben zwölf Ministern auch sieben Ministerinnen vertreten sind;
insgesamt liegt der Frauenanteil in der dänischen Regierung bei 33
Prozent.
Aber zurück zum Unialltag. Ja, es wurde nach relativ kurzer Zeit
wirklich zum Alltag. Ab und zu aufkeimende Unlust, mehrmals in der Woche
um acht Uhr morgens in der Uni sein zu müssen, eingeschlossen. Aber
gerade die Kurse des Kulturdozenten entschädigten für das frühe
Aufstehen, denn er gab uns einen hervorragenden Einblick in dänisches
Design, skandinavische Literatur, Kunst und Architektur. Und das nicht
nur innerhalb des Seminarraumes, sondern auch auf Tagesexkursionen.
In der Odenser Uni gibt es verteilt über alle drei Mensen
Bierautomaten. Bier heißt auf dänisch bezeichnenderweise ¯l - sprich: Öl
- und wird beinahe von jedermann/frau schon in der Mittagspause ab 11.30
Uhr zum Sm¿rebr¿d getrunken, skŒl! Hinter diesem aus der Muppetshow so
berühmt gewordenen "Sm¿rebr¿d", das übersetzt eigentlich nichts anderes
als "Butterbrot" bedeutet, verbirgt sich eine dünne Vollkornbrotscheibe
mit einem opulenten Aufbau aus wahlweise geräuchertem Fisch, Roastbeef,
Wurst oder Eiersalat und Krabben.
Ich lebte gut 600 Kilometer von Berlin entfernt. Manchmal erschien
es mir allerdings weiter entfernt. Die sprichwörtliche Berliner
Unhöflichkeit gerät im Vergleich zur dänischen regelrecht ins
Hintertreffen: Nicht daß die Dänen nicht freundlich wären, nein, sie
sind eigentlich sehr nette und hilfsbereite Menschen, wenn sie direkt
angesprochen oder um etwas gebeten werden, aber warum fehlen (mir) so
kleine nette Umgangsformen? "Hvad vil du?"- ziemlich direkt, ohne
Umschweife, kein "Was wünschen Sie?" oder "Kann ich Ihnen helfen?",
nein, die dänische Sprache enthält keine überflüssigen Floskeln oder
andere hinderlichen Schnörkel. Auch kein "Können Sie mich bitte
vorbeilassen?" - stattdessen gibt«s den Einkaufswagen direkt in die
Kniekehlen, den Ellenbogen in die Seite und nicht einmal dann ein Wort,
eine Geste der Entschuldigung. Und mein grimmiger Blick und mein
Kopfschütteln bringen auch rein gar nichts. Nein, sie sehen einfach zu
Boden!
Diese ¯l-trinkenden und P¿lser-essenden Dänen, die zwar die
glücklichsten Europäer sein sollen, aber nach Ungarn die höchste
Selbstmordrate in Europa haben, irritierten mich oft. Vor allem
wahrscheinlich deshalb, weil ich mit weit weniger Unterschieden
gerechnet hatte. Meine Zeit in Odense endete vorerst Mitte Dezember,
als die Weihnachtsvorbereitungen auf vollen Touren liefen. So gab es zu
Beginn der Adventszeit in der gesamten Stadt auf den Straßen ein großes
Fest zur Einführung des alljährlich von der Odenser Brauerei Albani
gebrauten Jule¿ls, ein extra Weihnachtsbier - hochprozentig. Der
Tradition des "Julefrokost", einem vorweihnachtlichen "Freßgelage" mit
Hering in diversen Variationen, viel Fleisch und anderen "Leckereien"
sowie natürlich ausreichend Bier und Schnaps kann offensichtlich kaum
jemand ausweichen. Auch in der Mensa hinterließ die Adventszeit ihre
Spuren, denn dort gab es im Dezember dann zusätzlich zum gewohnten ¯l
einen wärmenden "Glögg" zu trinken, der sich von unserem Glühwein darin
unterscheidet, daß ihm zusätzlich zu Wein und Gewürzen noch Schnaps
beigemengt ist. Am dänischen Weihnachtsbaum prangen übrigens all über
all viele kleine dänische Flaggen - man stelle sich die deutsche
Variante vor.
Um keine Mißverständnisse hervorzurufen, meine Zeit in Odense
bestand nicht nur aus Parties, aber wie gab mir der Berliner
ERASMUS-Koordinator vor meiner Abreise so schön mit auf den Weg:
"Genießen Sie die Zeit, die Dänen sind sehr freundliche Menschen!" Und
auch der Rat eines meiner Berliner Geographieprofessoren ging mir
einige Male durch den Kopf: "Egal, wie es wird, Frau Stöber, es wird
gut!" Birgit Stöber aus Odense/Dänemark
Birgit Stöber
Birgit Stöber studiert Geographie im Hauptfach an der TU, Politologie und Publizistik als Nebenfächer an der FU Berlin. Von September bis Dezember 1994 war sie als ERASMUS-Stipendiatin in Dänemark an der Universität Odense. Seit Anfang Februar bis Mitte Juni wird sie an der Universität von Kopenhagen studieren.
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