Stiftungsprofessur: Alexander Jakimovic lehrt Kunstgeschichte

Die Philosophie des Zufalls


Der Zufall hat den russischen Kunsthistoriker Alexander Jakimovic nach Berlin an die FU gebracht. So sieht es Jakimovic selbst. Er versäumt es jedoch nicht, mit Spinoza hinzuzufügen, daß Zufälligkeiten - philosophisch betrachtet - nichts weiter als der Ausdruck von Regelmäßigkeiten sind.

Außergewöhnlich ist Jakimovic' Professur am Kunsthistorischen Institut jedenfalls. Finanziert wird sie nämlich von Günter und Waltraut Braun. 360.000 Mark spendete das Ehepaar im Sommer letzten Jahres, um Osteuropa und die Bundesrepublik - zumindest auf kulturellem Gebiet - einander näherzubringen. Für die FU ist die Spende ein Glücksfall und, so Professor Thomas Gaehtgens vom Kunsthistorischen Institut überschwänglich, "ein seltener Beweis von Bürgersinn und Verantwortung".


Geordnet: die "chaotischen russischen Ideen" des Alexander Jakimovic


Alexander Jakimovic ist gern nach Berlin gekommen. Der gebürtige Leningrader spricht fließend Deutsch, ist mit der deutschen Philosophie und Literatur großgeworden. Er mag Friedrich Nietzsche, Thomas Mann und Franz Kafka. "Die deutsche Geistestradition ist mir am nächsten", sagt Jakimovic langsam und überlegt. Deutsch ist für ihn gekennzeichnet durch eine intellektuelle Schwerfälligkeit, es ist für ihn die Sprache der Philosophie, die Sprache für schwierige Konstruktionen. "Auf Deutsch kann man nicht plaudern, das tut man auf Französisch." Jakimovic meint hier nicht das moderne Deutsch, denn dies sei - durchsetzt von Amerikanismen - lediglich das verunstaltete Alte. Der Historiker kennt und liebt das Alte. Den Alltag, das Neue hat er erst hier in Berlin erfahren.

Mittlerweile ist er heimisch geworden an der FU, doch erinnert er sich noch gut an die "Anlaufschwierigkeiten". Für ihn waren diese hauptsächlich ein Resultat der "westlichen Überheblichkeit" vieler Studenten gegenüber der russischen Kunst. "Viele kommen überhaupt nicht auf den Gedanken, daß die russische Kunst etwas wert ist", sagt der Mann aus Moskau. Doch Jakimovic entrüstet sich nicht, er konstatiert: "Das sind normale und keine tödlichen Probleme."

Nicht selten aber paart sich Überheblichkeit mit Unwissenheit. Und tatsächlich führte die russische Kunst bislang ein Schattendasein am Kunsthistorischen Institut. Wofür es keine Fachleute gab, darüber konnten die Studenten natürlich auch nichts lernen. Jakimovic hat einige Wochen gebraucht um festzustellen, daß seine hochtheoretischen Vorlesungen für die Hörer offenbar kaum einsichtig waren. Und er hat gelernt, daß er erst die Grundlagen lehren muß.

Ursprünglich sollte Jakimovic ein Semester bleiben, jetzt sind es zwei geworden. Diejenigen Studenten, die den anspruchsvollen Professor und sein Programm ein Jahr lang "aushalten", werden Rußland, seiner Kunst und seiner Geschichte am Ende sicherlich ein gutes Stück näher sein. Einige haben begonnen Russisch zu lernen. Im Frühjahr werden sie mit Jakimovic eine Studienreise nach St. Petersburg und Moskau machen.

Nächsten Sommer wird Jakimovic von Berlin wieder zu seiner Schreibmaschine nach Moskau zurückkehren. Dort will er dann ein Buch über "Rußland im 20. Jahrhundert. Eine Kulturgeschichte als Geistesgeschichte" schreiben. Dies war auch der Titel seiner Vorlesung im Sommersemster ï95, die ihm nach eigenem Dafürhalten sehr geholfen hat, "eine bestimmte Ordnug in meine chaotischen russischen Ideen zu bringen".

Mit Jakimovic wird voraussichtlich die russische Kunst aus dem Stundenplan der Kunstgeschichtsstudenten verschwinden, doch ein Anfang ist gemacht. Für ein weiteres Semester kann eine Professur mit dem Geld der Brauns finanziert werden. Weil es jedoch Experten für Osteuropäische Kunst nicht wie Zwiebeltürme in Moskau gibt, werden die interessierten Studenten wohl das nächste Wintersemester abwarten müssen.

Thomas Gaehtgens jedenfalls blickt optimistisch in die Zukunft: "Wir werden das weiterführen." Und wenn das "neue Feld erst einmal durch Gastprofessoren bestellt ist", dann sollte man, seiner Überzeugung nach, über die Einrichtung einer ordentlichen Professur nachdenken. "Ein Mäzen kann eine Entwicklung nur anschieben, fortsetzen müssen sie andere."

Holger Heimann / miv


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