An fast allen niederländischen Universitäten können sich Studierende umfangreich über Möglichkeiten ihrer beruflichen Laufbahn informieren. Klaus Scholle, Mitarbeiter der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung, hat sich die holländische Hochschullandschaft angeschaut und erläutert den hohen Stellenwert, den die Studentenbetreuung dort einnimmt.
Seit etwa 10 Jahren befindet sich das niederländische Hochschulsystem in einem Zustand permanenter Hochschulreform. Regelmäßig werden Fachbereiche und Studiengänge evaluiert; die Hochschulfinanzierung ist auf der Basis der Studierendenzahlen der einzelnen Hochschulen neu definiert, die Dauer der Einschreibung für reguläre Studierende auf sechs Jahre begrenzt und die Studienförderung zum Teil auf das Einkommen der Eltern umgestellt worden. Neue Pläne der niederländischen Regierung sehen noch weitere Restriktionen vor.
Dabei ist das Studium in den Niederlanden schon jetzt vergleichsweise stark reglementiert. Das obligatorische einjährige Grundstudium, die propaedeuse, wird zum Teil fachübergreifend durchgeführt und hat nicht nur eine orientierende, sondern auch eine deutlich selektierende Funktion, die nach den neuesten Reformplänen noch weiter gestärkt werden soll. Durch ein klar strukturiertes Studienangebot, die Einführung eines in Trimester unterteilten Studienjahrs und die Installation eines credit-point-Systems ist das Studium insgesamt deutlich verschult worden - die Niederlande haben von der humboldtschen Universitätskonzeption inzwischen Abschied genommen.
Die niederländische Hochschulpolitik hat das erklärte Ziel, die Autonomie der Universitäten und Fachhochschulen zu stärken. Diese Politik führt faktisch aber zu einer Flut von Staatseingriffen. Im Resultat streben die Universitäten daher zunehmend eine Privatisierung der Hochschuleinrichtungen an. Vor diesem Hintergrund befinden sich die niederländischen Universitäten in einer Konkurrenzsituation, die sich nicht nur in der Werbung um Studenten im Anzeigenteil der Tageszeitungen während der Bewerbungsperiode ausdrückt. Studierende werden verstärkt als Kunden der Universitäten wahrgenommen.
Die Betreuung der Studenten erhält hierdurch einen anderen Stellenwert: Ganztägig geöffnete Dienstleistungseinrichtungen für Studieninteressierte und Studierende sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die personelle und räumliche Ausstattung der mit deutschen Studienberatungsstellen vergleichbaren Einrichtungen ist vorbildlich; in den Fakultäten wird die Studienfachberatung durch einen besonderen studieadviseur pro Fachgebiet professionell wahrgenommen. Die Öffentlichkeitsarbeit der niederländischen Universitäten - insbesondere was das Informationsmaterial für Studieninteressenten betrifft - schlägt die deutscher Universitäten um Klassen.
Auch der Berufsübergang der Absolventen ist für die Universitäten zu einem Qualitätsmerkmal geworden - die Akademikerarbeitslosigkeit ist in den Niederlanden ein immenses Problem. In unterschiedlicher Form haben alle Universitäten inzwischen Laufbahnberatung für ihre Absolventen nach dem Vorbild britischer Hochschulen als ihre Aufgabe begriffen. Dafür ist allerdings nicht allein die Konkurrenz zwischen den Universitäten verantwortlich, sondern auch die vergleichsweise geringen Beratungsangebote der niederländischen Arbeitsämter für Hochschulabsolventen. Am weitesten entwickelt ist das Loopbaan Advies Centrum (LAC) der Universiteit van Amsterdam (UvA). Sechs akademische Mitarbeiter bieten in einem Dokumentationszentrum Informationen über den niederländischen und den europäischen Arbeitsmarkt, führen Seminare zur Arbeitsmarktorientierung und Bewerbungstraining sowie Einzelberatung für Absolventen der UvA durch, koordinieren empirische Arbeitsmarktuntersuchungen und pflegen Kontakte zu Arbeitgebern und ehemaligen Studierenden. Außerdem bemüht man sich um den Aufbau einer zentralen Praktikumsinformationsstelle; Arbeitsvermittlung findet dagegen im LAC nicht statt. Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, daß die Verkoppelung zwischen Ausbildung und Beruf zunehmend aufweicht und universitäre Studienabschlüsse prinzipiell für ein weites und gleichzeitig diffuses Spektrum von Tätigkeiten qualifizieren.
Auch an der UvA, der ehemaligen "roten" Universität der Niederlande, war die Einrichtung des Loopbaan Advies Centrum nicht unumstritten. Schließlich setzte sich jedoch die Auffassung durch, daß mit dem Funktionswandel der akademischen Ausbildung neue Aufgaben auf die Universitäten zukommen. Wenn auch einige Entwicklungen in den Niederlanden bei Licht besehen nicht so vorbildhaft erscheinen, wie in der Öffentlichkeit oft suggeriert wird: Laufbahnberatungszentren nach diesem Muster würden auch für deutsche Universitäten eine Bereicherung darstellen.
Klaus Scholle
Der Autor verbrachte August/September 1995 einen Austauschaufenthalt am Loopbaan Advies Centrum der Universiteit van Amsterdam.