In der Neubauwohnung am Lietzensee in Charlottenburg ist dicke Luft. Der Mann, der einmal zum Pfeifenraucher der Republik gewählt wurde, qualmt immer noch, was die Pfeife hergibt. Bekannter geworden ist er allerdings zunächst als Bundesinnenminister in bewegter Zeit und später als Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Der Mann heißt Ernst Benda und ist heute 70 Jahre alt.
Bonn und Karlsruhe sind nicht Berlin, Berlin ist einzig für Benda. Hier wurde er 1925 geboren, hier ging er zur Schule und machte - während des Krieges - das Abitur. "Ich war ganz gut in der Schule", sagt er bescheiden. Dennoch durfte er als sogenannter Mischling zweiter Klasse, sein Großvater war Jude, nicht studieren. Statt zur Universität ging der 18jährige freiwillig in den Krieg. Wenn schon Soldat, dann bei der Marine, dachte er damals. Seemann - das war sein Kindheitstraum. Und zur See kämpfen durften nur Freiwillige. Obwohl der Großvater nur knapp dem Transport in ein Vernichtungslager entgeht, der Vater in einem Arbeitslager interniert ist, unterscheidet die Familie strikt zwischen dem "Regime von Verbrechern und dem deutschen Volk, von dem man sich nicht trennen läßt". Der Jüngste in der Familie kreuzt für das deutsche Volk als Marinefunker auf einem Schnellboot vor der norwegischen Küste und erlebt hier auch das Ende des Krieges.
Zurück in der zerbombten Hauptstadt wird Benda zunächst Bauarbeiter, dann Student. Auf seinem Abiturzeugnis stand als Studienwunsch Schiffsbauingenieur. Weil nach dem Krieg in Deutschland vorerst keine Schiffe gebaut werden, erledigt sich die Sache von selbst. Benda liebäugelt jetzt mit einem journalistischen Beruf. Doch einen entsprechenden Studiengang gibt es nicht. Ein Professor rät außerdem ab: Journalistisches Handwerk ließe sich leicht nebenher erlernen, wichtig sei es, Spezialkenntnisse auf einem Gebiet zu haben. Benda, der 1946 der CDU beitritt, schreibt sich im Herbst desselben Jahres an der Lindenuniversität ein, um Spezialkenntnisse in Jura zu erlangen. Zwar interessiert er sich mehr für Soziologie und Psychologie, dennoch paukt er fleißig Paragraphen, getreu dem Motto: "Wenn man ein Studium anfängt, dann macht man es auch zu Ende."
Ernst Benda wäre gern Regierender Bürgermeister von Berlin geworden
Mehr als das Studium aber beanspruchen den Pressereferenten des Studentenrates die Auseinandersetzungen an der Universität Unter den Linden. Während der Studentenrat den "Widerstand gegen zunehmende kommunistische Beherrschungsversuche" plant, werden immer wieder einzelne Studenten verhaftet. Als Benda mit einem Freund am Telefon über mögliche Gegenaktionen beratschlagt, schaltet sich plötzlich ein Dritter dazwischen: "Seien Sie bloß vorsichtig." Benda nimmt sich gerade noch die Zeit, seinen Freund zu verabschieden, dann nimmt er seine Sachen und die nächste U-Bahn gen Westen. Hier schreibt er sich im Herbst 1948 an der neugegründeten Freien Universität ein, doch zum Studieren kommt er kaum. Als Mitglied des AStA ist er gemeinsam mit Kommilitonen hauptsächlich damit beschäftigt, über die Zulassung neuer Studenten zu beraten. Nach nur einem Jahr wechselt Benda abermals die Universität und geht als Stipendiat an die Universität von Wisconsin in Madison. Hier, wo er für Political Science und Journalism eingeschrieben ist, beschäftigt er sich vor allem mit amerikanischem Verfassungsrecht. "Nirgendwo habe ich so viel gelernt", erinnert er sich.
Wieder an der FU paukt Benda deutsches Recht, das im wesentlichen altes Recht war, für das erste Staatsexamen. "Niemand wußte etwas vom Grundgesetz, die Prüfer kannten es nicht", erinnert sich Benda an das Examen 1951. Die Prüfung war deshalb sehr einfach, ein schmales überschaubares Gebiet. Heute, weiß Benda, ist der Stoff so umfangreich, daß Studenten oft nur für prüfungsrelevante Fächer lernen und alles, was darüber hinausgeht, aus dem Blick verlieren. Einer Studienreform räumt er hingegen wenig Chancen und darüber hinaus geringen Nutzen ein. Eine frühe Spezialisierung wäre zwar denkbar - so müßte ein Richter, der Ehen scheidet, nichts über das Strafrecht wissen - "aber was ist das noch für ein Richter", fragt Benda.
Der juristische Traumberuf war für ihn stets der des Anwalts; sein eigener Berufsweg aber führt mehr und mehr hin zum Politischen. 1955 - als er sein zweites juristisches Staatsexamen macht, wird der junge Unionspolitiker ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. Zwei Jahre später geht er als Abgeordneter nach Bonn. Hier rückt er 1967 zum Parlamentarischen Staatssekretär unter Bundesinnenminister Paul Lücke auf und tritt ein Jahr später an dessen Stelle. Der neue Innenminister, unter dessen Ägide die Notstandsgesetze verabschiedet werden, gerät zum Hauptangriffspunkt der Studentenbewegung. Benda erinnert sich vor allem an "eine Knochenarbeit". Als die Regierung 1969 abgelöst wird, beginnt für Benda, befreit von der Last der Verantwortung, die schönste Zeit. "Ein Mordsspaß war es, nun einmal auf die anderen einzudreschen", schmunzelt er. Doch bald läßt er sich erneut in die Pflicht nehmen: Im November 1971 wird er nach längerem parteipolitischen Tauziehen zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe berufen. Während seiner zwölfjährigen Amtszeit ergehen unter anderem Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch, zum Numerus Clausus und zum Radikalenerlaß. Danach war Benda zunächst als Bundespräsident, später als Regierender Bürgermeister von Berlin im Gespräch. "Letzteres wäre ich gerne geworden", gibt er unumwunden zu. Doch weil seine Partei nicht warten mochte, bis er das Amt in Karlsruhe abgegeben hatte, verzichtete Benda auf die Kandidatur. Stattdessen verabschiedet er sich aus der Politik und wird Professor für öffentliches Recht in Freiburg. Am liebsten wäre Benda damals an die Freie Universität gegangen. Doch aus Berlin erhielt er erst eine Anfrage, nachdem er in Freiburg bereits unterschrieben hatte.
Aber die Liebe zu Berlin und vor allem zu den BerlinerInnen ist geblieben. "Hier sagen die Leute ihre Meinung sehr gerade heraus. Das spart viel Zeit und ist oft weniger verletzend." Benda zählt sich zu diesen Leuten. "Ick kanns nich ändern", gesteht er. Zwar hat Benda seinen Hauptwohnsitz noch immer in Karlsruhe, aber die Berliner Luft schnuppert er häufiger, nachdem er vor zwei Jahren zum Vorsitzenden des Medienrates Berlin-Brandenburg gewählt wurde.
Holger Heimann