Die Thermalwasser-Reservoirs in den Riftzonen des Menderes-Gebirges sind bis zu 260 Grad Celsius heiß und stehen unter einem Druck von bis zu 60 Bar. Nach Probebohrungen schießen Dampf- und Wasserfontänen oft bis zu 150 Meter hoch.
Eine Stimmung wie in einem Endzeit-Film: Kahle Hügel umrahmen ein steiniges Tal, aus dem an mehreren Stellen weiße Dampffontänen hochschießen. Statt futuristischer Bauten sind im Hintergrund aber nur einfache Betriebshäuser zu sehen. Das westliche Anatolien wartet noch auf die Entdeckung durch Filmemacher.
Und doch spielt sich hier Zukunftsträchtiges ab. Denn die Fontänen sollen wirtschaftlich genutzt werden. Wissenschaftliche Unterstützung kommt dazu von Geowissenschaftlern der FU Berlin. Jüngst wurde dazu ein von der FU Berlin finanzierter Forschungsprojektschwer-punkt eingerichtet. Dieser ist bei der Rohstoff- und Umweltgeologie in Lankwitz angesiedelt. Der Lagerstättenkundler und Geochemiker Dr. Nevzat Özgür leitet u. a. die Erforschung der heißen Quellen.
Pilotanlage zur Nutzung von Erdwärme in Kizildere. Dr. Özgür nimmt Proben zur Bestimmung des Alters und der thermodynamischen Geschichte der Thermalwässer. Diese Parameter werden in Deutschland mit einer Kohlenstoff-Isotopen-Messung ermittelt.
Dr. Özgür konnte für das Projekt seine Verbindungen mit der Universität in Izmir nutzen, an der er studierte und sich auch bereits habilitierte. Außerdem knüpfte er Kontakte zu den Wasser- und Elektrizitätswerken und Geldinstituten. Das Interesse an den Forschungen der FU-Wissenschaftler ist auf seiten der türkischen Wirtschaft sehr groß. So erzeugt bereits ein Kraftwerk bei Denizli, südlich von Izmir, mit dem heißen Dampf Elektrizität.
Nicht ohne Probleme, wie Özgür berichtet. Denn die heißen Fontänen enthalten neben Wasser auch Bor. Dieses chemische Element ist in hohen Konzentrationen giftig für Menschen und Pflanzen. Zwei Milligramm pro Liter (mg/l) im Wasser des vorbeifließenden Büyük Menderes-Flusses (Mäandros) reichen, um Zitrusplantagen anzugreifen. Bis zu 35 mg/l enthält das heiße Tiefenwasser. Deshalb wird die 20-Megawatt-Anlage immer im September ausgeschaltet, wenn flußabwärts besonders viel bewässert wird.
Hier wollen die Berliner Abhilfe schaffen. Anstatt das Thermalwasser nach der Nutzung in den Fluß zu leiten, soll es wieder in tiefere Erdschichten gepumpt werden. Reinjektion heißt das Verfahren, das Dr. Özgür auch mit finanzieller Unterstützung der DFG optimieren will.
Dazu werden die Berliner Wissenschaftler ein geochemisches Simulationsmodell entwerfen. Zeigt dieses Modell, daß die Reinjektion erfolgversprechend ist, muß eine Bohrung niedergebracht werden, in die das benutzte Thermalwasser eingeleitet wird. "Bohren wir zu weit weg von dem Thermalwasserreservoir", sagt Dr. Özgür, "laufen wir Gefahr, das Reservoir zu verfehlen, das wir mit dem Wasser wieder speisen wollen".
Die Nutzung soll so umweltschonend und langfristig wie möglich sein. Die Reinjizierung birgt Risiken: Wird zu kaltes Wasser in das System geleitet, das bisher ausschließlich durch Grundwasser gespeist wurde, kann sich das Thermalwasser in den tieferen Gesteinsschichten abkühlen und/oder den Druck verlieren und damit wertlos werden. Es besteht auch die Gefahr, daß dadurch Ausfällungsprozesse (z.B. Bildung von karbonatischen und silikatischen Mineralien), welche die Produktionsbohrungen verstopfen. Andererseits müssen sich die Thermalsysteme regenerieren. Deshalb müssen die Berliner Rohstoff- und Umweltgeologen untersuchen, wo das Thermalwasserreservoir von Kizildere dreidimensional genau zu lokalisieren ist, damit das Reinjektionsverfahren optimal durchgeführt werden kann.
Geographische Lage des Menderes-Massives mit drei Riftzonen in Westanatolien: Leere Dreiecke markieren die aktiven Geothermalsysteme; gefüllte Dreiecke zeigen die Untersuchungsfelder.
Diese Untersuchungen dienen neben der Energiegewinnung aus aktiven Geothermalsystemen auch der Erforschung fossiler Systeme, die andere Schätze bergen können: zum Beispiel die Genese der Erze von Gold, Silber, Quecksilber und Antimon wird in dieser Region von den FU-Geowissenschaftlern untersucht. "Unser Ziel ist", sagt Dr. Özgür, "ein Modell zu entwickeln, womit wir an der Oberfläche diese Systeme kostengünstig prospektieren und explorieren können." Die Ergebnisse der Berliner sind für die Türkei sehr wichtig: Dr. Özgür berichtet von Planungen, die 600 000-Einwohner-Stadt Denizli mit Fernwärme zu versorgen und insgesamt rund zehn Kraftwerke mit jeweils 20 bis 30 Megawatt Leistung zu errichten. Kleine Kraftwerke sind nicht nur ökologisch sinnvoller, sondern auch weniger erdbebengefährdet. Denn die Kehrseite der Thermalsysteme sind Vulkanismus und Erdbeben. Diese positiven und negativen Effekte haben eine gemeinsame Ursache; die Bewegung der Erdplatten. Das nennt man in der Geowissenschaft Plattentektonik. In diesem Fall ist es die afrikanische Platte, die unter die eurasische abtaucht und für geologische Unruhe sorgt. Die Türkei, und speziell die drei Riftzonen im Menderes-Massiv, sind stark gefährdet. Da die Türkei Atomkraftwerke plant, haben die Untersuchungen auch eine politische Komponente. "Die Nutzung der Atomkraft wäre in dieser Region der Türkei mit unvertretbaren Sicherheitsrisiken verbunden", warnt deshalb Dr. Özgür.
Die Perspektiven dieser Forschungen weisen über die Türkei weit hinaus: Thermalwässer und Erdwärme sind als alternative Energiequelle auch in Deutschland im Gespräch. Die geologischen Verhältnisse stellen die Wissenschaft ler allerdings vor ungleich größere Probleme als in der Türkei. In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wird derzeit dazu geforscht: "Dort muß man bis zu 2000 Meter bohren, um an 40 Grad warmes Wasser zu kommen", erklärt der Geologe, "in unserem Untersuchungsgebiet, in den Riftzonen des Menderes-Massives von Westanatolien, haben wir an der Oberfläche 88 Grad und soviel Druck, daß es von selbst fließt".
Josef Zens
Im DFG-Projekt "Hydrogeochemische Untersuchungen der Thermalwässer von Kizildere und des Umfeldes unter Berücksichtigung der Reinjektionsmöglichkei-ten" sind eine Diplomarbeit und eine Dissertation angesiedelt. Das Projekt wird von P rof. Dr. Asaf Pekdeger und Dr. Nevzat Özgür geleitet. Der Forschungsprojektschwerpunkt mit dem Titel "Aktive und fossile Geothermalsysteme in den Riftzonen des Menderes-Massives, Westanatolien/Türkei" steht unter der gemeinsamen Leitung von Prof. Dr. Peter Halbach, Dr. Nevzat Özgür, Prof. Dr. Asaf Pekdeger und Prof. Dr. Wolfdietrich Skala. In diesem Projekt sind außerdem neun Diplomarbeiten und eine Dissertation angesiedelt.