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Manifest der Volksuni

(verfaßt zur Gründung der Volksuni 1980)

Der Name "Volksuniversität" ist angeregt von der jährlich an Pfingsten stattfindenden "Folkuniversitet" (veranstaltet von der schwedischen "Linkspartei"). Bei "Volk" stellen sich im Deutschen Assoziationen ein, vom "Volksfest" über die "Volkshochschulen" bis zum faschistisch beschlagnahmten Begriff des "Völkischen". Die Rechte hat den Begriff "Volk" stets zu unrecht übernommen. Wir verstehen ihn im demokratischen Sinn. Gegenüber dem Block aus Privilegien, Herrschaft und Reichtum steht - das Volk, stehen die plebejischen Traditionen und die Kräfte der Arbeit, der kritischen Wissenschaft, der Frauenbewegung, der Grünen, der Studentenbewegung und der alternativen Kultur. Ihnen soll die Volksuni gewidmet sein.

Die Volksuni soll den Kräften der Arbeit, der Wissenschaft, der Kultur und der Umweltbewegung eine Möglichkeit bieten, sich mit ihren Problemen theoretisch auseinanderzusetzen.
Eine dreitägige Reihe von Vorlesungen und Diskussionen wird Beiträge zu Theorie, Geschichte und aktuellen Problemen der Arbeiterbewegung und der alternativen Kultur bringen. Träger der Volksuni sind einzelne Gewerkschafter und Wissenschaftler - keine Organisationen.

Ein solches Projekt ist heute möglich geworden, obwohl die Linke politisch schwach ist. Die Elemente arbeitsorientierter Wissenschaft und alternativer Kultur sind stärker als je zuvor im westlichen Nachkriegsdeutschland. Nie zuvor gab es ein intensiveres Interesse der gewerkschaftlich Organisierten an der wissenschaftlichen Durchdringung der ökonomischen Entwicklung. Und erstmalig gibt es aussichtsreiche Ansätze einer Politik umweltfreundlicher Kontrolle von Wirtschaft und Technik.

Die Dozenten der Volksuni kommen aus Gewerkschaft und Betrieben, aus der progressiven Wissenschaft, aus der sozialkritischen Bewegung der Christen, aus der Frauenbewegung, aus der alternativen Kultur und aus der Umweltbewegung.

Die Dozenten der Volksuni kommen aus allen Lagern der Linken.
Namhafte ausländische Theoretiker werden teilnehmen. Die linken Wissenschaftler, Lehrer, Studenten und Schüler finden in der Volksuni einen Ort, wo sie - über bestehende Ansätze hinaus - ernst machen können mit der als notwendig erkannten Zusammenarbeit mit Gewerkschaftern, mit Kollegen aus den Betrieben.

Die verwissenschaftlichte Arbeit und die arbeitsorientierte Wissenschaft können hier einen Schritt aufeinander zu tun.

Die sprunghaft gewachsene Rolle der Wissenschaft in der Produktion droht die Stellung vieler Arbeitnehmer zu schwächen. Automation und Rationalisierung gefährden Arbeitsplätze und entwerten herkömmliche Qualifikationen. Zugleich ist es die Automation, die Arbeit und Wissenschaft zusammenführen muß und die den Arbeitenden auch einen Zuwachs an Handlungsfähigkeit bringen kann.

In dieser Situation darf nicht das Kapital das Monopol im Zusammenbringen von Arbeit und Wissenschaft behalten.
Die Situation von Studenten, Wissenschaftlern, Lehrern und Schülern usw. ist von wacksender Unsicherheit gekennzeichnet. Nur im Zusammenwirken mit den gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern läßt sich ihre Situation langfristig wirksam verbessern.
Die Studentenbewegung hat auf ihrem Höhepunkt die Kritische Universität hervorgebracht. Dort wurde die Ideologiekritik der bürgerlichen Wissenschaft in Angriff genommen.

Die Frauenbewegung hat in Gestalt der Westberliner "Sommeruniversität" und in anderen Formen Elemente eines demokratischen Frauenstudiums entwickelt.

Die Volksuni möchte die Tradition der Kritischen Universität der Studenten und des Frauenstudiums aufnehmen und zusammenbringen mit den Elementen einer arbeitsorientierten Wissenschaft und alternativen Kultur.

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Die neue Volksuni

(verfaßt zur Volksuni 1991)

Im vereinten Deutschland hat die Volksuniversität neue Funktionen erhalten. Noch klaffen zwei Gesellschaften in diesem Einheitsstaat auseinander. Noch stehen die sozialen Bewegungen einander fremd gegenüber. Der Bedarf nach Verständigung über den künftigen Weg ist akut. Es geht nicht um linke Subkultur, sondern um Positionen in der politischen Kultur der künftigen Bundesrepublik, und nicht nur um diese, sondern um den Versuch, auf die Gestaltung des künftigen gesellschaftlichen Lebens einzuwirken.
In dieser Situation hat sich die 1980 als Westberliner Institution gegründete Volksuni "gesamtdeutsch" reorganisiert und sich ein neues Kuratorium gegeben.

Sie versucht, in ihrer Form des "wissenschaftlichen Volksfestes" radikaldemokratische, soziale und ökologische Traditionen zu erneuern und zu vernetzen, insbesondere der "Volksuniversität" der ArbeiterInnenbewegung, der Kritischen Universität der StudentInnenbewegung, der Sommer- Universitäten der neuen Frauenbewegung, der Kirchentage-von- unten, der neuen Friedensbewegungen.

Darüber hinaus will die "neue" Volksuni die Impulse der BürgerInnenbewegungen aufnehmen, der Volkserhebung gegen den undemokratischen Sicherheitsstaat, der politischen Kultur der "Runden Tische". Der Sinn, den das Wort "Volk" in der berühmten Losung "Wir sind das Volk" erhalten hat, soll in der Volksuni immer wieder konkretisiert werden können.

Die Volksuni versteht sich als Medium der Zivilgesellschaft, als Forum öffentlicher Verständigung über die gesellschaftlichen Problemfelder.

Angesichts der sozialen, demokratischen und kulturellen Defizite der Bundesrepublik, der sich steigernden Ungleichheiten, angesichts der Fragen, die sich aus dem Niedergang des Sozialismus und dem Sieg des transnationalen Kapitalismus ergeben, angesichts des immer furchtbarer sich verschärfenden Gegensatzes von Arm und Reich auf diesem Globus, versteht sich die Volksuni als Stützpunkt einer politischen Kultur "von unten".
Hier soll Kommunikation zwischen sozialen Bewegungen stattfinden, die in der großen Politik keinen oder nur verzerrten Ausdruck finden und oft genug in ein linkes Ghetto eingeschlossen werden; hier sollen auch politische Richtungen miteinander sprechen können, zwischen denen es keine Zusammenarbeit in der Parteipolitik gibt. Hier soll kritische Theorie geschärft und "soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen" geübt werden können. Nicht zuletzt geht es darum, Chancen zu schaffen, daß Solidarität und Elemente einer sinnvollen Lebensweise "diesseits" des Kommunismus erfahrbar werden.

Wolfgang Fritz Haug

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