Schlumbohm 1994
Schlumbohm, Jürgen:
Lebensläufe, Familien, Höfe.
Die Bauern und Heuerleute des Osnabrückischen Kirchspiels Belm
in proto-industrieller Zeit, 1650-1860.
(= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Band 110.)
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1994.
In einem eigenen Faltblatt wurde die Neuerscheinung seinerzeit vom Verlag folgendermassen vorgestellt:
Jürgen Schlumbohm untersucht eine lokale Gesellschaft und ihren Wandel bis in die
kleinsten Einheiten. Er geht den Familiengeschichte, ja einzelnen Lebensläufen
nach und fragt, was die besitzenden Bauern und die eigentumslosen "Heuerleute" mehr oder
weniger spannungsreich miteinander verband. Die Lebensgeschichten einfacher
Menschen werden rekonstruiert, erzählt und analysiert. Männer und Frauen
einer frühneuzeitlichen ländlichen Gesellschaft treten als Handelnde mit eigenen
Zielen und Gestaltungsmöglichkeiten hervor. Auf dieser Basis werden einzelne,
ausführliche überlieferte Konfliktfälle interpretiert. Die Interpretationen geben
genaueren Einblick in die Vorstellungen und Motive, die dem Verhalten der
Menschen zugrunde lagen.
Als Grundzug der untersuchten Gesellschaft wird eine Zunahme der sozialen
Ungleichheit deutlich, ein scharfer Kontrast zwischen der Stabilität der Schicht
landbesitzender Bauern auf der einen, dem enormen Anwachsen der landlosen
Bevölkerung auf der anderen Seite. Ein Hauptziel ist, das Funktionieren der so
beschaffenen lokalen Gesellschaft zu verstehen und den Entwicklungsgang
mikroanalytisch zu durchdringen, den sie währen der agrarisch-protoindustriellen
Expansion und in der Krise genommen hat.
Das Buch ist ein Beispiel für Mikro-Geschichte, die sich der Makro-Geschichte
grösserer Gesellschaften und ganzer Staaten nicht einfach gegenüberstellt. Es
will einen produktiven Dialog mit herbeiführen.
In unserem Zusammenhang sind die folgenden Kapitel beziehungsweise
Kapitelabschnitte von besonderem Interesse:
- Einleitung: Fragen - Methoden - Quellen
- Das Kirchspiel Behm vom 16. zum 19. Jahrhundert: Bevölkerung - soziale
Struktur - Wirtschaft im Überblick
Bevölkerung und Landbesitz
- Prinzipielle Konflikte um die Ansiedlung der landlosen Haushalte
- Leinengewerbe und andere nicht-agrarische Erwerbsquellen
- Von der Expansion zur Krise
- Demographie: Verhaltensweisen von Grossbauern, Kleinbauern und Landlosen
Modelle des demographisch-ökonomischen Systems im vorindustriellen Europa
- Familiengründung: Heiratsalter - Sexualität vor der Ehe - Ehelosigkeit
- Eheliche Fruchtbarkeit
- Sterblichkeit - Lücken füllen: Mortalität von Säuglingen,
Kindern, Müttern
- Dauer der Ehen - Wiederverheiratung
- Haushalte: Grossfamilien - Kernfamilien
Theorien und Probleme
- Grösse der Haushalte
- Kinder, Gesinde und die schichtspezifische Altersstruktur der Haushalte
- Haushalte ohne Hausfrau, Haushalte ohne Hausherr, Konkubinate
- Witwen, Witwer, Alte, Arme und die Frage des Mehrgenerationen-Haushalts
- Lebensläufe: Kindheit und Jugend - Elternhaus und Dienst in fremdem Haus
Thesen und Fragen
- Eingebettet in Familie, Verwandtschaft, Hof: leibliche und Stiefkinder, uneheliche und Pflegekinder
- Zäsuren: Konfirmation, Erstkommunion, Ende des Schulbesuchs
- Eine Phase erhöhter Mobilität: Gesindedienst und Alternativen
- Lebensläufe und Strategien: Heiraten - (s)einen Platz einnehmen in der inegalitären Gesellschaft
Soziale Immobilität und soziale Mobilität: Umriss
- Vererbung der Höfe: Norm und Praxis
- Ehen von Bauern
- Hochzeitsfeier
- Anerbe/Anerbin des Hofes und einheiratender Teil, der īBrautschatzī
- Mehrfache Heirats-Allianzen zwischen zwei Höfen - arrangierte Ehen?
- Hofübergabe an die Jungen - Rückzug der Alten auf die Leibzucht
- Wiederheiraten und ihre Auswirkungen auf die Erbfolge
- Der Hof als lebenslange und vererbbare Versorgung
- Vorherrschendes Muster und Ausnahmen
- Familienstrategien: erweiterte Möglichkeiten und neue Risiken im Gefolge der Agrarreformen
- Kontinuität des Hofes und/oder des īGeblütsī: bäuerliches Erbhof-Denken?
- Ehen der Landlosen
- Höfe: Verbund bäuerlicher und landloser Haushalte
Bauern und ihre Nebenhausbewohner: Umriss der quantitativen Entwicklung
- Das Verhältnis des Bauern zu seinen Heuerleuten: ein Hof mit schriftlicher Überlieferung
- Das Verältnis zwischen Bauern und seinen Heuerleuten: Dauer und Mobilität
- Verwandtschaft zwischen Bauer und seinen Heuerleuten
- Verwandtschaftsbeziehungen unter Heuerleuten - Patenschaft
- "Die Bauern fressen die Heuersleute auf"
- Patron-Klienten-Beziehung und/oder Selbstbewusstsein als Klasse
- Soziale Ungleichheit und soziale Integration als Lebenserfahrung
sowie das umfangreiche
- Verzeichnis der benutzten Quellen und Literatur (S. 646-685).