Claudia Benthien,
Christoph Wulf (Hrsg.): Körperteile. Eine kulturelle Anatomie. Rowohlt
Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2001. 527 Seiten. 18.90 €.
Diese "kulturelle Anatomie" geht der Frage
nach, inwieweit der menschliche Körper mittels einzelner Körperteile
und Fragmente wahrgenommen und dargestellte wird. Zu lange wurde er im
kulturtheoretischen Denken ungefragt als Ganzheit verstanden, über die
sich Bilder und Diskurse formieren. Doch bei genauerer Betrachtung sind
es zumeist nur Teile des Körpers, die hervorgehoben und inszeniert
werden.
Die 24 Beiträge dieses Bandes nehmen ein breites
Spektrum in den Blick: vom materiellen Umgang mit menschlichen
Körperteilen wie Toten- und Reliquienkulte bis hin zu symbolischen
Verfahren der Ersetzung eines Teils für das Ganze in den Künsten, der
Populärkultur, der Medizin etc. Das Erkenntnisinteresse des Buchs wird
von kulturwissenschaftlichen Methoden wie body history,
Mentalitätsgeschichte, Historischer Anthropologie, Semiotik, gender
studies und Bildwissenschaft geleitet.
Die Gliederung des Bandes folgt dem klassischen top-to-toe-Prinzip
mittelalterlicher Lobpreisungen, in denen die Körperteile einer
verehrten Schönheit in einer vorgegebenen Ordnung von oben nach unten
lyrisch besungen wurden. Doch die hier vorgelegte Anatomie vom Scheitel
bis zur Sohle erfasst längst nicht nur Schönes und Preziöses, sondern
auch Grausames, Hässliches, Ekelerregendes und Banales. Vielzählig
sind die Herangehensweisen der Autorinnen und Autoren und ihre im
Einzelnen vertretenen Thesen; breit gefächert sind ihre Ergebnisse, die
zu weiteren Forschungen anregen mögen.
Inhalt
Claudia Benthien und Christoph Wulf: Einleitung. Zur
kulturellen Anatomie der Körperteile
Zerteilter Kopf
Inge Stephan: Das Haar der Frau. Motiv des Begehrens,
Verschlingens und der Rettung
Sabine Flach: Das Auge. Motiv und Selbstthematisierung
des Sehens in der Kunst der Moderne
Gert Mattenklott: Gehörgänge: Erkennen durch die
Stimme
Kay Himberg: Phantasmen der Nase: Literarische
Anthropologie eines hervorstechenden Organs
Claudia Benthien: Zwiespältige Zungen. Der Kampf um
Lust und Macht im oralen Raum
Opaker Rumpf
Michael Oppitz: Zur Körpersymbolik in
Verwandtschaftsbeziehungen. Herz, Leber, Lunge, Eingeweide, Knochen und
Fleisch in himalayischen Gesellschaften
Karl-Josef Pazzini: Haut. Berührungssehnsucht und
Juckreiz
Philine Helas: Madensack und Mutterschoß. Zur
Bildgeschichte des Bauches in der Renaissance
Christoph Wulf: Magen. Libido und Communitas -
Gastrolatrie und Askese
Gerburg Treusch-Dieter: Leber und Leben. Aus den
Innereien einer Kulturgeschichte
Zerrissenes Geschlecht
Hartmut Böhme: Erotische Anatomie.
Körperfragmentierung als ästhetisches Verfahren in Renaissance und
Barock
Adrian Stähli: Der Hintern in der Antike. Kulturelle
Praktiken und ästhetische Inszenierung
Edith Wenzel: Zers und fud als
literarische Helden. Zum <Eigenleben>
von Geschlechtsteilen in mittelalterlicher Literatur
Doerte Bischoff: Körperteil und Zeichenordnung. Der
Phallus zwischen Materialität und Bedeutung
Ann-Sophie Lehmann: Das unsichtbare Geschlecht. Zu
einem abwesenden Teil des weiblichen Körpers in der bildenden Kunst
Elisabeth von Samsonow: Die verrutschte Vulva. Entwurf
einer neuen Organtheorie
Stefanie Wenner: Ganzer oder zerstückelter Körper.
Über die Reversibilität von Körperbildern
Anna Opel: Szenen der Zerteilung: Zur
Wirkungsästhetik von Sarah Kanes Theaterstücken
Bewegte Glieder
Kerstin Gernig: Skelett und Schädel. Zur
metonymischen Darstellung des Vanitas-Motivs
Kattrin Deufert und Kerstin Evert: Der Torso im Tanz.
Von der Destabilisierung des Körpers zur Autonomie der Körperteile
Friedrich Weltzien: Der Rücken als Ansichtsseite. Zur
Ganzheit des geteilten Körpers
Burkhard Oelmann: Auslösen / Abtrennen.
Fotografierende und fotografierte Hände
Anne Fleig: Sinnliche Maschinen.
Repräsentationsformen der Beine in der Moderne
Gerhard Wolf: Verehrte Füße. Prolegomena zur
Geschichte eines Körperteils
Zu
bestellen über den Rowohlt Verlag.
zurück |