Zu dieser CD-ROM

Möchten Sie etwas Hintergrundmusik aus Sammarei hören?

Der Inhalt der CD-ROM ergänzt und vertieft den Festvortrag "Gute alte Zeit? Wie sich unsere Vorfahren zu helfen wussten" in mancherlei Hinsicht. Als Historiker war mir die Aufgabe zugefallen, vor einem chirurgischen Fachpublikum über die "gute alte Zeit" zu berichten, eine Zeit, in der die durchschnittliche Lebenserwartung - mit vielen Abweichungen nach unten und oben - bei etwa 25, 30 Jahren lag. "Vor Pest, Hunger und Krieg bewahre uns, oh Herr!" flehten unsere Vorfahren während Generationen. Das Stossgebet aus der Allerheiligen-Litanei fasst die damalige Alltagssituation trefflich zusammen. Pestilenzen aller Art setzten Mensch und Tier immer wieder gleichermassen zu. Häufige Missernten schufen einen guten Boden für die rasche Ausbreitung und die verheerende Wirkung vieler Seuchen. Kriege - schlimmer und länger als der Erste und der Zweite Weltkrieg - entvölkerten ganze Landstriche. Allein der Dreissigjährige Krieg von 1618-1648 soll einem Drittel der Menschen das Leben gekostet haben.

Den vielfältigen Kalamitäten waren unsere Vorfahren im wesentlichen ohne Sicherheitsnetz ausgeliefert, will heissen ohne Krankenhäuser, ohne Notfallstationen, ohne Supermärkte, ohne Feuerwehr, ohne wirksamen physischen Schutz (vgl. zum Beispiel die minutiösen Ausführungen der hier mit freundlicher Genehmigung mitaufgenommenen Online-Dissertation von Ines Elisabeth Kloke zum Thema "Säuglingssterblichkeit im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland" aus dem Jahre 1997/98). Ob jemand unter uns angesichts solch harter Fakten wirklich mit jener "guten alten Zeit" tauschen möchte? Doch urteilen wir nicht voreilig. Im Stossgebet ist neben der tödlichen Trias "Pest, Hunger, Krieg" auch noch vom HERRN die Rede, an den sich unsere Vorfahren in ihrer Not wenden konnten. Sie fühlten sich nicht allein gelassen, hatten Kirchen statt Krankenhäuser, Kapellen statt Notfallstationen, kannten Wallfahrtsstätten und überirdische Helfer statt Ärztepraxen, Operationssälen und Chirurgen. Gewiss - um das Resultat wissen wir schon: 25, 30 Jahre währte damals ein Leben im Durchschnitt.

Die Anrufung des HERRN erinnert uns indes noch an einen zweiten fundamentalen Unterschied im Vergleich zu heute. Zwar ist richtig, dass die irdische Lebenserwartung während der letzten vier-, fünfhundert Jahre eine starke Bündelung erfuhr und sich der Durchschnitt ebenso erst- wie einmalig verdoppelt, wenn nicht verdreifacht hat. Ebenso richtig aber ist, dass die Lebenserwartung insgesamt (diesseitig und jenseitig) angesichts des vielfachen Glaubensverlustes im gleichen Zeitraum unendlich - in des Wortes eigentlichem Sinn - kürzer wurde. Was sind schon siebzig, achtzig, neunzig Jahre auf Erden gemessen an der ehemaligen, mittlerweile für die meisten von uns weggefallenen Ewigkeit?

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Seit einem halben Dutzend Jahren versuche ich, etwas von diesen Gedanken unter Nutzung zukunftsweisender neuer Medientechnologien (Internet, CD-ROMs) an die Studierenden weiterzuvermitteln. Auf viele von ihnen mögen die letzteren anfänglich die grössere Attraktivität ausüben, bis sie merken, worauf sie sich da inhaltlich eingelassen haben. "Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen" nennt man das wohl. Als hervorragende Quellengrundlage für ein solches Vorgehen erwiesen sich bisher immer wieder die sogenannten Votivbilder oder Votivtafeln. Es handelt sich hierbei um an einem Wallfahrtsort deponierte Bildtafeln, die in katholischen Gebieten bis heute entweder aus Dank über ein abgewendetes Unheil oder vorbeugend mit der Bitte um Abwendung einer drohenden Gefahr oder um Besserung in einer misslichen Lage gestiftet worden sind. Dargestellt werden in der Regel erstens der Votationsanlass, zweitens der oder die Votanten, drittens die zwischen Votanten und dem HERRN vermittelnde überirdische Macht (meist die Muttergottes oder ein Heiliger) sowie viertens eine knappe textliche Erläuterung.

Es dürfte kaum übertrieben sein zu behaupten, dass es sich bei den an manchen Wallfahrtsorten in die Hunderte gehenden Votivbildern um die mit Abstand anschaulichste, eindringlichste, augenöffnendste, zum Vergleichen mit heutigen Zuständen und damit zu tieferem Nachdenken anregende Massenquelle der letzten drei-, vierhundert Jahre handelt. Alle nur denkbaren Auswirkungen von "Pest, Hunger, Krieg" werden bildhaft drastisch vorgeführt. Säuglingssterbefälle, Kindbettsterbefälle, Viehseuchen, Gewalteinwirkungen, Verbrechen, körperliche und psychische Leiden, Sturm und Gewitter, Hagel und Feuersbrünste: alles und jedes wird an nachvollziehbaren Einzelbeispielen handfest geschildert.

Für Chirurgen versteht sich von selbst, dass sie dabei reichlich auf ihre Kosten kommen, beziehungsweise in des Wortes eigentlichem Sinn damals auf ihre Kosten gekommen wären, wenn es sie seinerzeit denn in genügender Zahl gegeben hätte. Unter den herausragenden Votationsanlässen finden sich nämlich Dutzende von Arbeitsunfällen (wie etwa: auf Mistgabel getreten und den Fuss von Zinken durchbohrt, beim Baumfällen unter einen Stamm geraten, vom Mühlrad erfasst, vom Baugerüst gestürzt, beim Wäscheaufhängen von Sensenspitze ins Auge getroffen), Verkehrsunfällen (aufbäumendes Pferd wirft Reiter ab, durchbrennendes Ochsengespann schleift Lenker mit, Kutsche stürzt Böschung hinunter und begräbt Insassen unter sich, auf vereisten Gehwegen ausgeglitten und beide Beine gebrochen) oder Hausunfällen (Verbrühungen, Verbrennungen, verschluckte Fischgräte, durch nachgebenden Kellerboden gefallen und den Arm ausgerenkt. - Vgl. je ein Beispiel aus den Jahren 1835 und 1839).

Im Laufe der Jahre entstand im Rahmen meiner diesbezüglichen universitären Lehre und Forschung allmählich eine digitale Bilddatenbank von über 1200 Votivtafeln aus der noch heute viel besuchten Marienwallfahrtsstätte Sammarei (= Sankt Marien) bei Passau (siehe dazu Mini-Movie), ergänzt durch einen Bestand von rund 300 Exemplaren aus Bayern und Österreich im Berliner Museum für Volkskunde. Je nach Musse und Interesse lässt sich anhand der am Ende zusammengestellten Hyperlinks die Entwicklung der Lehrveranstaltungs-Themen, -Absichten, -Ziele nachvollziehen. Wem der Sinn danach steht, kann sich thematischen Schwerpunkten zuwenden ("Unsere Vorfahren in vielerlei Notsituationen"; "Illustrierte Einleitung in den Votivtafelbestand der Wallfahrtskirche Sammarei"; "Kleine Diaschau der Wallfahrtsstätte von Sammarei mit Glockengeläute und Marienlied"; "Archiv mit 1193 Sammareier Votivtafeln in mittlerer Auflösung"; "Der Votivbildbestand des Berliner Museums für Volkskunde") oder aber sich gleich in die Beiträge mitinvolvierter Studierender und Mitarbeiter vertiefen.

Unschwer ist dabei zu erkennen, wie aus anfänglichem "Schnuppern" allmählich "Ernst" werden konnte. So entstand im Rahmen einer Seminarübung 1995/96 als Teamarbeit eine erste CD-ROM mit der Präsentation von hundert ausgewählten Votivtafeln aus Sammarei. (Der Bericht darüber ist auch offline einsehbar; der CD-ROM-Inhalt kann vom Haupt-Directory der vorliegenden CD aus gestartet werden. Der Pfad lautet: 'Auf geht es/B Ohloff/Sammarei CD ROM/Sammarei.exe'.) Als Koordinator und treibende Kraft tat sich damals Benjamin Ohloff hervor. Drei Jahre später legte derselbe Studierende nach stets tieferem Eindringen in die Materie als wahre Pionierleistung 1998 die erste interaktiv datenbankbasiert recherchierbare Online-Magisterarbeit zum Thema vor. Die in intensiver Kooperation mit einem weiteren Studierenden, Mirko Zimmer, nochmals ausgebaute abfragbare Votivbilddatenbank konnte im März 1999 sodann in Hannover auf der CeBIT99 einem interessierten Fachpublikum vorgestellt werden. Ihnen beiden sowie meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Alexander Laudan, M.A., sei für ihr permanent inspirierendes Interesse und für die Zurverfügungstellung ihrer selbständigen Entwicklungsleistungen Dank gesagt. Für Inhalt und Ausgestaltung ihrer hier mitaufgenommenen Beiträge zeichnen sie selbst verantwortlich. Dank gebührt indes auch meinem FU-Kollegen Professor Dr. Werner Wehry, Zweigverein Berlin-Brandenburg der DMG - Deutschen Meteorologischen Gesellschaft - für die freundliche Genehmigung der Aufnahme und Wiedergabe des votivtafelbezogenen Kapitels 2 (in deutsch und englisch) der 1996 in seiner Regie herausgegebenen CD-ROM 'Wolken-Malerei-Geschichte'.

Durch Einbeziehung von unterschiedlich gestalteten Teilbereichen möchte die CD-ROM bewusst auch unterschiedliche Interessen- und Altersgruppen ansprechen und für die hintergründige Votivtafelthematik gewinnen. Viele KongressteilnehmerInnen haben gewiss Familie, haben Kinder, Enkel, Nichten, Neffen. Diese aber wollen als "neue Kunden" mit neuen Mitteln für eine alte Thematik umworben sein.

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Nicht zuletzt aber geht mein Dankeschön an Herrn Kollegen Professor Dr. med. R. Arbogast, den unermüdlich umsichtigen Organisator und engagierten Ausrichter des Kongresses. Bereits 1998 hatte er sich wegen des "Festvortrags" an mich gewandt, so dass dessen um die CD-ROM erweiterte Ausarbeitung in Ruhe erfolgen konnte. Ihm ist somit zu verdanken, dass sie sich nun zu Ihrer Vertiefung und - hoffentlich - Freude in der Kongressmappe befindet.




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Direkt zu Unterkapiteln und -teilbereichen:

Unsere Vorfahren in vielerlei Notsituationen
Wer möchte mit der "guten alten Zeit" tauschen ?
Illustrierte Einleitung in den Votivtafelbestand der Wallfahrtskirche von Sammarei
Archiv mit 1193 Sammareier Votivtafeln in mittlerer Auflösung (Stand: September 1998)
Kleine Diaschau der Wallfahrtsstätte von Sammarei mit Glockengeläute und Marienlied
Kleine Diaschau mit einzelnen Votivtafeln (in SMIL)
Trailer: Wallfahrtsstätte und Votivtafeln (in SMIL)
QuickTime-Movie zur Einstimmung (7 Minuten)
Sammarei-Videoclip (mov-Datei; 3 Minuten 18 Sekunden)
Sammarei-Videoclip (dito, komprimiert als rm-Datei und eingebettet in SMIL)
Wie bei den Studierenden alles anfing: eine Votivtafel-CD-ROM (Benjamin Ohloff et al.)
Die Sammareier Votivtafeln als historische Quelle (Magisterarbeit von B. Ohloff [PDF-Datei])
Dito online in HTML und mit interaktivem Zugriff auf die Votivbild-Datenbank
Interaktiv recherchierbare Votivbilddatenbank (Benjamin Ohloff und Mirko Zimmer)
Zusammenarbeit mit dem Museum für Volkskunde Berlin (mit eigenem Votivbildbestand)
Eine virtuelle Galerie mit Votivbildern aus Sammerei (von Mirko Zimmer)
Säuglingssterblichkeit in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert (Diss. Ines E. Kloke [PDF-Datei])


Zusätzliches Material lässt sich vom CD-Directory 'Auf geht es' aus aufrufen:

Hundert Votivtafeln aus Sammarei (Pfad: 'B Ohloff/Sammarei CD ROM/Sammarei.exe'; vgl. Bericht)
Kapitel 2 aus der CD-ROM 'Wolken-Malerei-Geschichte' (Pfad: 'A E Imhof/Ton und mehr/Votiv.exe')
Dito in Englisch (Übersetzer und Sprecher: Nigel Prosser; Pfad: 'A E Imhof/Ton und mehr/Votive.exe')
Votivtafeln multimedial - ein Beitrag von Alexander Laudan


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© A. E. Imhof 2000