Feindliche Brüder
Der Kalte Krieg und der deutsche Film

Autor: Rainer Rother

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Grenzgänger

Ein erstes Ergebnis des Kalten Krieges im Bereich des Films war, daß von einem deutschen Film die Rede nicht mehr sein konnte. Im Unterschied zu dieser Entwicklung gab es in der frühen Nachkriegszeit durchaus "Grenzgänger", die mal im Westen, mal im Osten arbeiteten.

Der Regisseur Wolfgang Staudte ist der vielleicht bekannteste Fall, aber auch Falk Harnack arbeitete bei "Das Beil von Wandsbeck" in der DDR. Erich Engel inszenierte zwei der frühesten DEFA-Filme, "Affäre Blum" und "Der Biberpelz", arbeitete dann bei zehn Filmen in der BRD und realisierte 1958 seinen letzen Film, "Geschwader Fledermaus", wieder in der DDR. Kameramänner waren ebenso wie Schauspieler und Autoren beiderseits der Grenze tätig, schon weil es viele Produktionsstätten und Beschäftigunsmöglichkeiten anfangs gar nicht gab.

Zunehmend wurde dies jedoch mit offiziellem Argwohn betrachtet oder als Element der Propaganda benutzt. So auch im Fall Henny Portens, die während des Nationalsozialismus kaum Filmengagements erhielt, weil sie sich nicht von ihrem jüdischen Ehemann, Dr. von Kauffmann, trennen wollte. Sie konnte in Westdeutschland nur in einem Film mitwirken und als sie danach wieder drehte, geschah dies bei der DEFA. Ihre beiden letzen Rollen gaben den Filmen ihren Titel: "Carola Lamberti - eine vom Zirkus" und das "Fräulerin von Scuderi" (1954/55).

Regie führte Hans Müller, das Buch schrieb Arthur Kuhnert. Immerhin erlebten beide Filme ihre Uraufführung in der BRD mit nur geringer Verzögerung gegenüber der DDR-Premiere. Im Falle Staudtes war dies nicht so einfach; "Rotation", noch vor der Gründung der DDR am 16. September 1949 uraufgeführt, erlebte seine bundesdeutsche Premiere erst im August 1957; und "Der Untertan", am 31. August 1951 in der DDR gestartet, kam erst am 8. März 1957 offiziell in bundesdeutsche Kinos, in einer um zwölf Minuten gekürzten Fassung. Die heute absurd anmutenden politischen Bedenken gegen diesen Film, die ihm den Weg in den Westen lange Zeit versperrten, paßten ganz in die damalige Frontstellung. So schrieb "Der Spiegel" am 12. Dezember 1951: Umgekehrt hatten es die Filme, die Staudte im Westen realisierte, nicht einfacher. Auf eine traurige Weise logisch ist es, daß bei Staudtes westdeutschem Film ostdeutsche Kritiker - ähnlich wie westdeutsche Kritiker es bei den DEFA-Filmen getan haben -, nach den bösen Auswirkungen des anderen Gesellschaftssystems suchten, anstatt hinzusehen. Klaus-Norbert Scheffler zum Beispiel polemisiert erst gegen westdeutsche Klassiker-Modernisierungen im Allgemeinen (sein Schimpfwort-Reservoir: "Europäertum", "Kosmopolitismus", "amerikanischer Lebensstil", "politische Demagogie") und dann speziell gegen die "Verflachungen" und die "in der Gesamtkonzeption nicht zu übersehende Propaganda gegen den Osten" in "Staudtes peinlicher Fehlleistung". Diese Urteile galten "Rose Bernd", der in der DDR nicht verliehen wurde. Die Grenzgänger konnten, für eine kurze Zeit, hier und dort arbeiten, aber es war eine Illusion, daß sie "deutsche Filme" machen konnten, wie es sich z.B. Staudte gewünscht hatte - sie stellten, gegen ihren Willen, west- oder ostdeutsche Filme her, die oft nur in dem jeweiligen Teilstaat zu sehen waren.

Grenzposten

Den Verkehr über die Grenze kontrollierten staatliche Institutionen in Ost und West. So kam kaum einer der Filme, die sich thematisch mit dem Kalten Krieg befassen, im jeweils anderen Staat zur Aufführung. War die Filmproduktion der DEFA wie das Verleihangebot in der DDR ohnehin stark abhängig von den Entscheidungen der Partei und dementsprechend auch überwacht, so trat in der BRD der "Interministerielle Prüfungsausschuß für Ost/West-Filmfragen" in diese Funktion ein. Es finden sich in der Literatur auch Hinweise auf die Tätigkeit eines "Interministeriellen Bürgschaftsausschusses", der ebenfalls im Sinne politischer Zensur tätig geworden sei. Er sollte auch kleineren und mittleren Produzenten die Herstellung von Filmen über die Gewährung von Bundesbürgschaften ermöglichen. Doch ließ dies auch die Kontrolle über mißliebige Stoffe etc. zu: In Kreimeiers Sicht offenbart sich hier der "Einfluß der Monopolbourgeoisie", allerdings sind seine Beispiele mitunter nicht unproblematisch. Als besonders skurrilen Fall führte er an: Im Fall von "Herz der Welt" scheint eine Legende vorzuliegen: Summarisch beurteilt Euchner die Tätigkeit des Bürgschaftsausschusses als in der Regel nicht von politischen Gesichtspunkten motiviert - "schlugen sie aber durch, so zeigten sich freilich die alten ideologischen Orientierungsmuster".

Anders sah die Arbeit des Interministeriellen Prüfungsausschusses aus; seine Arbeit als westlicher Grenzposten war politisch motiviert und kann als willkürlich bezeichnet werden. 1950 verfügte der damalige Bundesminister Lehr, Filme der DEFA dürfen nur mit seiner Zustimmung vorgeführt werden; an die Stelle dieses Ukas trat 1954 besagter Ausschuß, von dessen Entscheid es abhing, ob ein Film aus der DDR oder anderen sozialistischen Ländern, den "Ländern hinter dem eisernen Vorhang" in der Bundesrepublik zur Aufführung gelangen durfte oder nicht. Die Tätigkeit dieses Ausschusses, und ebenso die der 1949 gegründeten "Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft" (FSK), kann aus heutiger Sicht nur überaus skeptisch beurteilt werden. 1963 wies Reinhold E. Thiel in "Die Zeit", ein Jahr später erneut in "Die Filmkritik", darauf hin, daß die Arbeit des Ausschusses verfassungswidrig sei.

Tatsächlich wurde 1966 einer Klage vor dem Verfassungsgericht stattgegeben und der Interministerielle Ausschuß stellte seine Wachpostenarbeit ein.

Einreisevisa

Nicht nur gegen die Produkte von drüben mußten jedoch die Grenzen möglichst undurchlässig gemacht werden, auch was hüben, auf Freundesseite also, hergestellt wurde, fand während des Kalten Krieges nicht immer, oder wenigstens nicht immer vollständig, den Weg ins Kino. Die mit dem Kriegsende einsetzende Synchronisation, gängige Praxis der Präsentation ausländischer, vor allem amerikanischer Filme, ihrerseits durch geschäftliche Interessen der Filmindustrie insbesondere der USA mitveranlaßt, gab die Möglichkeit an die Hand, aus den Stories neue Bedeutungen zu gewinnen. Besonders bekannt wurden die Eingriffe, die Michael Curtiz' Film "Casablanca" und Hitchcocks "Notorius" widerfuhren. In beiden Fällen wurden offenbar als störend empfundene Hinweise auf die Machenschaften einerseits der Gestapo in "Casablanca", andererseits der nach dem Krieg in Südamerika untergetauchten Nazis getilgt, und beide Male entstanden "Krimis", denen jede politische Implikation ausgetrieben worden war.

Im Weinkeller
Eine Flasche, in der Uran versteckt ist - oder doch
nur Heroin? "Notorius" oder "Weißes Gift"

Noch eingreifender ging der deutsche Verleih mit einem Film um, der von seinem Thema eigentlich hätte erwarten lassen, daß er auch ohne Veränderungen der politischen Situation angepaßt gewesen wäre. Doch George Setons "The Big Lift" erzählt nicht nur von der Luftbrücke, mit der die Blockade Berlins überwunden wurde. Er verfügt über einen Subtext, der für das amerikanische Publikum entscheidend war und der dem deutschen offenbar nicht zugemutet werden konnte. "The Big Lift" organisiert, in der Form eines Unterhaltungsfilmes, mit spannenden, vor allem aber auch mit sehr komischen Elementen, die Umorientierung des Feindbildes. Die Deutschen, nun Bündnispartner, die Russen, nun die Feinde - um das darzustellen bemüht der Film den Gegensatz zwischen einem jungen, arglosen Luftwaffenfunker (gespielt von Montgomery Clift) und seinem erfahrenen Freund, der in Tempelhof an der Radaranlage arbeitet und die einfliegenden "Rosinenbomber" sicher hinunter geleitet (ihn spielt Paul Douglas). Während Clift sich in eine deutsche Frau aufrichtig verliebt (von der sich im Film herausstellt, daß sie ihn nur benutzen will, um in die USA zu kommen, wo ihr deutscher Geliebter schon auf sie wartet), behandelt Douglas alle Deutschen, einschließlich seines "Fräuleins", mit Verachtung und rüder Aggressivität. Seine Erfahrungen mit Deutschen sind die schlechtesten, er wurde in einem Gefangenenlager gepeinigt, sein Mißtrauen bleibt. Allmählich beginnt er jedoch, noch vor Clift, einen Lernprozeß, in dessen Verlauf er die Unterschiedlichkeit der Deutschen wahrnimmt, sie nicht länger pauschal als eine Volk von Verbrechern ansieht. Clift seinerseits, der den Betrug seiner Freundin am Ende noch rechtzeitig durchschaut, gewinnt ein weniger naives, und damit ein "realistischeres" Bild von den Deutschen. Für die amerikanische Öffentlickeit arbeitet der Subtext des Films mit Verweisen, die auf einen anderen besiegten Gegner zielen: der Überraschungsangriff der Japaner auf Pearl Harbour, die japanische Kriegsgefangenschaft sind die Menetekel, die vor einem neuen Feind, dem ebenfalls alles zuzutrauen sei, warnen sollen. Damit wird das Bild des ehemaligen Feindes differenziert, doch zugleich exponiert die Handlung, wenn auch nicht in vollem Ernst (denn "The Big Lift" bleibt ein Unterhaltungsfilm), den neuen Feind.

Diese Bezüge blieben dem deutschen Publikum verborgen. Allenfalls die Korrespondenten-Berichte von den Aufführungen in den USA oder England - hier finden vor allem die deutschen Darsteller Cornell Borchers, Bruni Löbel, O. E. Hasse Interesse - lassen von der diffizielen Ausrichtung des Films kaum noch etwas ahnen. Die deutsche Version eliminiert den schnöden Verrat an dem naiven Amerikaner, die Frau ist hier nicht mit jener taktischen Raffinesse ausgestattet, statt dessen gibt es ein happy end. Diese Veränderung des ursprünglichen Filmes wurde in der Presse nicht einmal erwähnt - vergleichbar den Fällen "Casablanca" oder "Notorius", deren Umdeutung ebenfalls nicht moniert wurde.

Gespräch
Paul Douglas und die Schwierigkeiten beim Erklären
der demokratischen Spielregeln - "The Big Lift"

Filme zum Thema

Das ist vielleicht nicht ganz zutreffend in der Anzahl der Filme - es hätten auch noch "Die Spur führt nach Berlin" (1952, Regie Franz Cap), "Vom Himmel gefallen" (1955, Regie John Bram) und "Menschen im Netz" (Regie Franz Peter Wirth) erwähnt werden können -, wohl aber in der Tendenz, die sich auch später nicht änderte. Alles zusammengenommen gab es bis in die späten sechziger Jahre viellleicht ein gutes Dutzend Filme, "in die das Thema hineinspielt". Nicht grundsätzlich anders sah es in der DDR aus, wo es allerdings einige Produktionen mehr sind, die sich thematisch auf den Kalten Krieg beziehen; von Kurt Maetzigs "Roman einer jungen Ehe" (1951) bis Rohland Gräfs "Die Flucht" kann man ein halbes Duzend Produktionen mehr als im Westen veranschlagen. Dabei handelt es sich um Spielfilme; die Ausprägungen, die der Kalte Krieg in Dokumentarfilmen und Wochenschauen gefunden hat, sind unberücksichtigt; ebenso die Filme, die den Kalten Krieg nicht thematisieren, wohl aber, in ihren ganz anders gelagerten Handlungen, die Strukturen, die Feindbilder übernehmen. So ist "Der Arzt von Stalingrad" oberflächlich betrachtet ein Film, der von Kriegsgefangenen in russischen Lagern handelt, doch sind die Mittel, mit denen hier ein Gegensatz von zivilisierten Deutschen und unterjochten bzw. unterjochenden Russen (so werden sie im Film immer genannt, wenn auch die Wachmannschaften beim casting offenbar nach ihren asiatischen Gesichtern ausgesucht wurden) aufgebaut wird, ganz vom Geist des Kalten Krieges. Daß das Kind des Lagerkommandanten nur durch den deutschen Chirurgen gerettet werden kann, das hat etwas vom neu gewonnenen Glauben an die eigene Stärke, dem Vertrauen in das know how der Wirtschaftswunderjahre - und es entscheidet den Ost-West-Gegensatz so, wie es der Position der Offensive entspricht, die auch in den thematisch eindeutigen Filmen feststellbar ist. Dagegen steht in den Filmen der DEFA ein defensiver Grundton - von Beginn an setzt sich dieser Ton gegen den üblichen positiven Schluß als das Entscheidende durch.

Berlin Tiergarten

Ein Auto jagt die Straße entlang, in ihm ein Mörder auf der Flucht vor der Polizei. Die Straße führt durch eine Ödnis - noch heißt sie nicht "Straße des 17. Juni", nicht mehr "Siegesallee", den der Film "Die Spur führt nach Berlin" ist von 1952. Im Tiergarten spielt auch eine Szene aus "The Big Lift". Dort gehen Cornell Borchers und Montgomery Clift spazieren. Sie bemerkt traurig, das hier einmal Bäume standen und daß die Berliner an den Wochenenden gern hierher kamen. Dann wird Clift auf die Skulpturen aufmerksam, die früher die Siegesallee schmückten. Er weiß mit ihnen nichts anzufangen, fragt deshalb bei seiner Freundin nach: Die erzählt ihm, wozu sie dort einmal aufgestellt wurden - aber als Clift etwas spöttisch sagt, nach "Sieg" sehe das alles nicht mehr aus, können die Zuschauer eine zornige, allerdings sofort unterdrückte Reaktion der Frau bemerken, die sie fortan von deren guten Absichten nicht mehr ganz überzeugt sein läßt.

Der Tiergarten, ja, das ganze Berlin wirken in diesem Film nicht als Kulisse, denn dieser ist bemüht, die sichtbare Zerstörung für die Glaubwürdigkeit einer Story zu mobilisieren - er behandelt sie fast dokumentarisch.

Trümmer
Trümmerwelt, präsentiert in "The Big Lift"

Anders in "Die Spur führt nach Berlin": hier wirkt der Tiergarten durchaus kulissenhaft, so gut paßt er als Umgebung für diese Verfolgungsjagd und von der Siegessäule aus gesehen macht sie großen Effekt. Am Ende findet der Showdown im Reichstag statt, dessen Ruine wiederum wie ein Film-Ort wirkt, mit den Graffitti an den Wänden, den Schuttbergen im Innern und den Einschußlöchern auf dem Dach.

Trümmer
Dekorative Nutzung einer Kulisse: Der Reichstag als
Ort des Showdowns in "Die Spur führt naach Berlin"

Im deutschen Film wirken die Schauplätze fast wie gefälscht, denn hier steht die Spannung der Story im Vordergrund und legt sich wie ein Schleier über die Trümmer. Wo denn könne die Geldfälscher-Bande ihr Unwesen treiben, wenn nicht in einem fast zerstörten Haus, dessen Keller zur geheimen Zentrale ausgebaut wurde? Das Genre triumphiert. Produktionen aus der Bundesrepublik zeigen oft diese Nähe zum Genre, sie versuchen, das Thema in Action aufzulösen, um der vermuteten Unverkäuflichkeit des ungeliebten Sujets zu entgehen. Sie befolgen damit eine Strategie, die auch Hollywood in seine Storys zum Kalten Krieg häufig anwandte.

Die Auflösung in Action ist den Filmen seinerzeit oft vorgehalten worden, da sie sich dem Ernst des Themas damit entzogen hätten. Doch sind diese Filme durch die unterschwelligen Voraussetznungen für ihre Action durchaus politisch, insbesondere die Fluchtgeschichten, die sich um Begründungen nicht scheren mußten: daß jeder aus der DDR fliehen wollte, davon gingen die Filme schlicht aus.

Schon der vielleicht erste bundesdeutsche Film mit einer Fluchtgeschichte handelt von einer Massenflucht. "Postlagernd Brieftaube", 1952 von Gerhard T. Buchholz inszeniert, läßt die Bewohner eines Mietshauses alle nach dem Westen fliehen. Sie bekommen einen Warnbrief zugeschoben, fühlen sich nun in Gefahr, überwacht; es bleibt nur eines, die Flucht. Dabei handelt es sich um eine gefälschte Warnung, der Hauswart hat sie verschickt, weil er von seiner Schwester aus dem Westen, die zu Besuch ist, zu hören bekommt, das jeder, der solch einen Brief bekommt, fliehen werde - und es nicht glauebn will. Der Film ist ein Machwerk, aber Buchholz, der auch zu "Weg ohne Umkehr" (1953, Regie Victor Vicas) das Drehbuch schrieb, formuliert eine Figur, die weiterverwendet wird. Auch in den späten, nach dem Mauerbau entstandenen Filmen "Tunnel 28" (1962, Regie Frank Wisbar) genügt der Entschluß von einem, damit viele folgen - in den Westen.

Ertappt!
Auf der Flucht aber ertappt - "Tunnel 28"

Stalin Allee

Dagegen sind die Filme über das Thema "Republikflucht" redselig, sie müssen argumentieren, um das Dableiben zu propagieren, so das ihnen Actionmomente ganz fehlen. Im Redeschwall und Begründungszwang dieser Filme zeigt sich die Defensive besonders deutlich. "Roman einer jungen Ehe" (1951, Regie Kurt Maetzig) ist hier der erste Film, auch er findet später eine variierte Formel. Ein junges Schauspielerehepaar macht nach dem Krieg harte Jahre durch in Berlin. Die Teilung, die näher rückt und dann vollzogen wird, sie trennt auch die Liebenden. Denn er will spielen, Karriere machen, wofür er seine Ideale zu opfern bereit ist. Sie wirft ihm das vor, und so scheinen sich die Wege in Richtung Westen und Osten zu trennen. Doch während sie, im FDJ-Hemd, bei der Einweihung eines der Häuser in der Stalin-Allee ein Gedicht auf den Namenspatron der Straße vorträgt, erfährt er im Westen die Schlechtigkeit dieses Systems, das doch nur auf Militarisierung aus ist. So zerstieben seine falschen Illusionen, während sich ihre Ideen bewähren. Wichtig an diesem, ebenfalls schlechtem Film, ist die Kopplung einer Liebesgeschichte mit der Alternative Weggehen oder Dableiben. Wer nämlich "rüber macht", der läßt eine große Liebe zurück. Meist allerdings kommt es nicht dazu, kann das Schlimmste, nämlich die Trennung, noch einmal abgewendet werden. So geschieht es in Heiner Carows "Das Leben beginnt" (1959), in Maetzigs "Septemberliebe" (1962), in Vogels "... Und deine Liebe auch", in Thiels "Der Kinnhaken" (1962). Der Mauerbau, auch schon die Jahre vorher, bringen eine Häufung dieser Filme, in Ost wie West. Zwischen 1959 und 1964 entstehen mindestens acht Filme mit expliziter Kalter-Kriegs-Thematik in der DDR, sieben in der BRD. Offenbar wurden die Spannungen so stark, das auch der Film sich nicht länger in dem von Friedrich Luft beklagten Abseits halten mochte.

Brecht

Kaum war er tot, wurde er für den "Staat der Arbeiter und Bauern" vereinahmt, auch im Film. Daß Hans einen im Grunde guten Charakter hat, trotz zweifelhafter Westkontakte und des Abwerbungsversuchs als Spion, signalisiert in Maetzigs "Septemberliebe" (DDR 1960) die schöne Erstausgabe eines Buches von Brecht, das er besitzt und das die liebe Franka bestaunt. Mag Hans auch etwas dekadent solche Kostbarkeiten sammeln wie Öllampen, daß er Brecht schätzt, erweist: Er steht auf der richtigen Seite. Deswegen kann Franka, die keinerlei Verständnis aufbringen kann für die Ängste, die Hans nun hat, weil er sich ertappt glaubt, ihm auch helfen, indem sie ihn an die Stasi verrät. Sie nämlich, voller Vertrauen zu Hans wie zum Staat, wendet sich an einen Offizier, der wie der nette Stasi-Onkel von nebenan wirkt, um den Geliebten zu retten. Eine ganz unverhohlene Propagierung staatstreuen Verhaltens.

Wer Brecht nicht mag, dem dagegen ist zu mißtrauen. In Carows "Das Leben beginnt" (1969) gilt das für den Westler, den Cousin aus reichem Haus, mit dem die nach Westberlin geflohene Erika nun geht - er steht auf der falschen Seite. Das zeigt sich unter anderem nach einer Aufführung des Berliner Ensembles. Es gab "Mutters Courage und ihre Kinder", Helene Weigel spielt die Hauptrolle. Er lobt recht blasiert das Können der Schauspieler, geht aber aufs "Inhaltliche" gar nicht ein; das diskreditiert ihn. "Brecht" als Nagelprobe: eine rethorische Figur aus DDR-Filmen. Eine andere aktiviert Carow auch (und mit ihm tun das fast alle Regisseure, die Teile des "Westens" zeigen): Der Cousin nähmlich ist zynisch, reich und veranwortungslos. Immer wieder gibt es diesen Zynismus, gegen den die Moral gestellt wird, den Reichtum, der gegen die Heimeligkeit der kargen Küchen nicht bestehen kann, die Verantwortungslosigkeit, über die Prinzipienfestigkeit triumpfiert.

Der Osten
Der "Osten" aufgebaut im Westen: der Agitator
und die Bauern in "Flucht nach Berlin"

Ku-Damm

Hitchkock war ein Freund ökonomischer Lösungen und so zeigte er von der Schweiz die Alpen, von Holland die Windmühlen. Was er wohl im Nachkriegsberlin als Signal für den Schauplatz der Geschichte ausgesucht hätte? Für andere Filmemacher jedenfalls war der Ku-Damm ein solcher Ort; er signalisiert "West-Berlin". Eine naheliegende Entscheidung, weil die meisten repräsentativen Bauten ohnehin im Osten lagen und der Rest in Trümmern.

Ku-Damm, das heißt die Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, der Stern über der Stadt und vor allem: Läden. Das Ensemle, mit dem Westberlin in den Filmen annonciert wird, besticht nicht architektonisch, auch nicht durch seine Geschichte; diese "Straße ohne Erinnerungen" ist die geschichtsloseste, hatte Siegfried Kracauser schon Anfang der 30er Jahre geschrieben. Es besticht durch die Auslagen, durch die Fülle in den Schaufenstern, nachts durch den Prunk der werbenden Neonlichter. Die Konsummetropole, nichts könnte besser charakterisieren , wie fragil das Selbstbildnis der Stadt sein mußte; anderswo gab es Wahrzeichen, hier Waren-Zeichen.

Im Laden
Die Warenwelt des Westens in "Postlagernd Turteltaube"

Auf dem Ku-Damm treffen sich die entgegengesetzten Welten. In "Der Weg ohne Umkehr" von Victor Vicas (1953) schlendert ein russischer Ingenieur über diese Straße. In einer Bar sieht er zu wie Wolfgang Neuss Kalauer über Russen produziert. Ivan Desny spielt den Ingenieur, und wie er hier mit offenen, staunenden, manchmal auch skeptischen Augen über den Boulevard des Westens geht, das bereitet schon seine Umkehr, die Flucht nämlich, vor. Die wird ihm erleichtert, weil man ihm unverblühmt zu verstehen gibt, daß der Spaziergang auf dem Kudamm überwacht wurde und solche Ausflüge nicht gerne gesehen sind. Außerdem stellt er fest, wie ein Arbeitskollege, der ihn anfangs aus einem Mißverständnis für einen Spitzel hielt und sogar töten wollte, unter den unsinnigen Forderungen leidet, die der Ingenieur nicht erfüllen kann, weil das Material nichts taugt. Dessen Sohn ist "von der der Dialektik" verblendet", so das die Eltern fliehen wollen, doch wird der Mann ermordet. Und der ihn am meisten trietzte, der war früher bei der Gestapo und ist deswegen für seine neue Rolle prädistiniert - es ist die gleiche geblieben. (Dies ist überhaupt ein verbindender Zug: die Nazis bevölkern in westlichen Filmen die DDR, während den in östlichen Filmen die positiven Protagonisten immer schon Antifaschisten waren, und die Nazis im Westen wirken). Nun ist es Desny ganz klar, ihm bleibt nur die Flucht. Die Freundin geht mit ihm, aber als er sie kurz allein läßt in der Pension, wo sie im Westen untergeschlüpft sind, da holt sie der russische Kommissar und entführt sie in den Osten. Die Fahrt zurück (und in den Tod) geht durch das Brandenburger Tor, das vor dem Mauerbau oft als eindringliches Symbol der Teilung gezeigt wird.

Anders sieht der Ku-Damm von der DDR her aus. Noch einmal triff sich das Paar nach der Flucht des Mannes; sie folgt ihm nach West-Berlin, es ist nicht ganz klar, ob es einen Besuch oder ein Bleiben meint. Im Cafe Kranzler sitzen sie ganz allein im großen Raum, der von Licht überstrahlt wird und so unwirklich aussieht, daß des Bleibens für sie nicht sein kann: "Der geteilte Himmel" von Konrad Wolf (DDR 1964). Hier heißt es, "man ist auf schreckliche Weise allein", und die Bilder belegen es.

Im Cafe
Auf schreckliche Weise allein - die Entfernung zwischen den
Liebenden im Cafe Kranzler - "Der geteilte Himmel"

Dachwohnungsidyll
Die Dachwohnung, in der Liebe leben konnte;
"Der geteilte Himmel"

Die Zeichen, die in den westlichen Filmen die Fülle und den Reichtum bedeuten sollem, werden in den DDR-Filmen umgekehrt. Möglich ist das nur durch die Abstraktion, die aus "wirklichen" Orten unwirkliche macht. Oder durch eine plakative Montage, wie sie Heiner Carow in "Das Leben beginnt" einsetzt, wo er Erikas Verwirrung durch die sinnleeren Reize der westlichen Kultur verdeutlichen will. Im Jazz-Keller tanzen die Jugendlichen wie hypnotisiert und seelenlos, drohende Wirbel bilden sich aus den sonst so verführerischen Neon-Reklamen. Manchmal geht dieser "abstrakte Westen" nicht auf, weil die Fülle der Warenwelt bloß angedeutet werden darf. Und in "Alaskafüchse" (Regie Werner Wallroth, DDR 1964) taucht im vorgeblichen US-Stützpunkt nicht nur Meißner Porzelan auf; selbst die Bewegungen der Schauspieler, die bemüht sind, amerikanische Lässigkeit nachzuahmen, fallen so deutsch-bieder aus wie zu befürchten war.

Avantgarde

In John Brahms "Vom Himmel gefallen" (BRD/USA 1955) gibt es einen running gag über die modernen Gemälde, die an den Wänden der US-Botschaft in einem osteuropäischen Land hängen. Der neu eingetroffene Soldat sieht sie mit Schaudern, kann aber gegenüber Besuchern schon bald die Erläuterungen repetieren. Der Botschaft wird manches in den Garten geworfen, was hinter dem Eisernen Vorhang keinen Platz hat: Manuskripte, auch Partituren - einmal sogar ein Baby. Um die Frage, ob dieser Erdenwurm für die Zivilisation gerettet werden kann oder ausgeliefert werden muß, kreist die Story, die ein frühes (und nicht besonders gelungenes) Beispiel für eine Komödie über den Kalten Krieg ist. Der Feind des Säuglings und des Westens heißt Kovacs; er kommt in die Botschaft, um das Baby zu fordern. Joseph Cotten, der den Botschafter spielt, zeigt ihm eine Partitur, die ein unterdrücktes Genie des Landes in den Garten der Botschft warf. Kovacs spielt das Stück am Klavier, unwillig, bis er die Abneigung der Amerikaner gegen die modernen Töne bemerkt - dann legt er sich ins Zeug.

Was Brahm hier für einen komischen Effekt nutzt, demaskiert einen aufschlußreichen Schwachpunkt in den Ideologien. Der Westen garantiert die Freiheit der Kunst - bloß mag dort niemand die Moderne. Und die Rechtdenkenden, ob Botschafter oder einfacher Soldat, fühlen sich wohler, würden sie mit ihr nicht behelligt. Ihnen schiene ein Verbot, wie es im unfreien Osten praktiziert wird, nicht besonders bedauerlich. Wie rigide aber die antimodernistische Vorstellung des guten Geschmacks, des gesunden Menschenverstandes ist, zeigt die Unverfrohrenheit, mit der einige DEFA-Filme diese Vorurteile bedienen, um ihre Message abzusichern. Maetzigs "Roman einer jungen Ehe" (DDR 1952), ohnehin ein elender Film, zeigt die junge Schauspielerin Agnes , die ein Engagement sucht. Ihr wird eine Rolle in einem Stück Sartes vorgeschlagen; ihr Abscheu - "grünen Gallert" nennt sie das Drama - qualifiziert sie in diesem Film zur Heldin.

Auch Carow weiß die Abwehrhaltung gegen die Moderne zu mobilisieren; in "Das Leben beginnt" findet Erika in ihrem neuen Zimmer in der Dahlemer Villa moderne Gemälde vor, die sie frösteln machen - dem gleichfalls unangenehm berührten Publikum wird hier bedeute, für Erika sei nicht jede Hoffnung vergebens. Und in Arthur Pohls "Spielbankaffaire" (1956/57), wo ein vollständiges Inventar in westlichem Design der 50er mit Neon-Bar-Beleuchtung, Mannequins auf Tour an der Adria, Spielbanken und Presse-Intrigen einen wahrlich bunt leuchtenden Westen vorführt, werden die modernen Gemälde an den Wänden der größten Schurken wie selbstverständlich präsentiert, um das Bild der Dekadenz zu vervollständigen.

Blick von außen

Robert Siodmak, Frank Wisbar, John Brahm waren Emigranten, die zurückkehrten in ein geteiltes Land. Ihre Filme haben an der Frontstellung teil, ihr Blick von außen ist keiner, der souverän wirkt. Allenfalls bestimmte Partien in "Vom Himmel gefallen" lassen so etwas ahnen. Sicherlich auch die Folge seiner komödiantischen Anlage, denn der "Blick von außen", dem am überzeugendsten eine Überwindung der Frontstellung gelang, ist eine Komödie: Billy Wilders "One, two, three". Dieser Emigrant scheut die Klischees nicht, im Gegenteil, er ließ fast keines aus. gerade darin bewährte sich aber sein Witz, daß er keine Figur in der Demolierung der Klischees unbehelligt ließ. Es gab in beiden deutschen Staaten den Kalten Krieg der Unterhaltung. "One, two, three" ist ein unterhaltsamer Film über den Kalten Krieg.


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1996 Reimo Tiedemann