Feindliche Brüder
Der Kalte Krieg und der deutsche Film
Autor: Rainer Rother
Grenzgänger
Ein erstes Ergebnis des Kalten Krieges im Bereich des Films war, daß
von einem deutschen Film die Rede nicht mehr sein konnte. Im
Unterschied zu dieser Entwicklung gab es in der frühen Nachkriegszeit
durchaus "Grenzgänger", die mal im Westen, mal im Osten arbeiteten.
Der Regisseur Wolfgang Staudte ist der vielleicht bekannteste Fall,
aber auch Falk Harnack arbeitete bei "Das Beil von Wandsbeck"
in der DDR. Erich Engel inszenierte zwei der frühesten DEFA-Filme,
"Affäre Blum" und "Der Biberpelz", arbeitete dann bei
zehn Filmen in der BRD und realisierte 1958 seinen letzen Film,
"Geschwader Fledermaus", wieder in der DDR. Kameramänner waren
ebenso wie Schauspieler und Autoren beiderseits der Grenze tätig,
schon weil es viele Produktionsstätten und Beschäftigunsmöglichkeiten
anfangs gar nicht gab.
Zunehmend wurde dies jedoch mit offiziellem Argwohn betrachtet oder
als Element der Propaganda benutzt. So auch im Fall Henny Portens, die
während des Nationalsozialismus kaum Filmengagements erhielt, weil sie
sich nicht von ihrem jüdischen Ehemann, Dr. von Kauffmann, trennen
wollte. Sie konnte in Westdeutschland nur in einem Film mitwirken und
als sie danach wieder drehte, geschah dies bei der DEFA. Ihre beiden
letzen Rollen gaben den Filmen ihren Titel: "Carola Lamberti - eine
vom Zirkus" und das "Fräulerin von Scuderi" (1954/55).
Ihr Entschluß, mitten im Kalten Krieg "rüber" zu gehen (eine
erste Drehbuchbesprechung fiel zudem in die Tage des Aufstands vom
17. Juni), brachte ihr im Westen Vorwürfe ein, aber es erschienen auch
einige wenige abschwächende Artikel. Sie blieb unbeirrt: Sie wollte
spielen, und daß es keine Propagandafilme sein dürfen, hatte sie sich
ausbedungen. Für die DDR waren es trotzdem zwei Prestigeobjekte. Der
"Werbehelfer" empfahl Carola Lamberti: Ein DEFA-Film gedreht von einem
westdeutschen Regisseur nach dem Drehbuch eines westdeutschen Autors -
in der Hauptrolle Hennry Porten; beide Filme begleitete ein
viersprachiger Prospekt vom VEB-DEFA-Außenhandel.
(Helga Belach
- Henny Porten. Der deutsche Filmstar, Berlin 1986, S. 146)
Regie führte Hans Müller, das Buch schrieb Arthur Kuhnert. Immerhin
erlebten beide Filme ihre Uraufführung in der BRD mit nur geringer
Verzögerung gegenüber der DDR-Premiere. Im Falle Staudtes war dies
nicht so einfach; "Rotation", noch vor der Gründung der DDR am
16. September 1949 uraufgeführt, erlebte seine bundesdeutsche Premiere
erst im August 1957; und "Der Untertan", am 31. August 1951 in
der DDR gestartet, kam erst am 8. März 1957 offiziell in
bundesdeutsche Kinos, in einer um zwölf Minuten gekürzten Fassung.
Die heute absurd anmutenden politischen Bedenken gegen diesen Film,
die ihm den Weg in den Westen lange Zeit versperrten, paßten ganz in
die damalige Frontstellung. So schrieb "Der Spiegel" am 12. Dezember
1951:
"Der Untertan" ist ein Paradebeispiel ostzonaler Filmpolitik:
Man läßt einen politischen Kindskopf wie den verwirrten Pazifisten
Staudte einen scheinbar unpolitischen Film drehen, der aber geeignet
ist, in der westlichen Welt Stimmung gegen Deutschland und damit gegen
die Aufrüstung der Bundesrepublik zu machen. Der Film läßt vollständig
außer acht, daß es in der ganzen preußischen Geschichte keinen
Untertan gegeben hat, der so unfrei gewesen wäre wie die volkseigenen
Menschen unter Stalins Gesinnungspolizei es samt und sonders sind.
(zitiert nach Egon Netenjakob - Ein Leben gegen die Zeit, in: Eva
Orbanz, Hans Helmut Prinzler (Hg) - Staudte, Berlin 1991, S. 43)
Umgekehrt hatten es die Filme, die Staudte im Westen realisierte,
nicht einfacher. Auf eine traurige Weise logisch ist es, daß bei
Staudtes westdeutschem Film ostdeutsche Kritiker - ähnlich wie
westdeutsche Kritiker es bei den DEFA-Filmen getan haben -, nach den
bösen Auswirkungen des anderen Gesellschaftssystems suchten, anstatt
hinzusehen. Klaus-Norbert Scheffler zum Beispiel polemisiert erst
gegen westdeutsche Klassiker-Modernisierungen im Allgemeinen (sein
Schimpfwort-Reservoir: "Europäertum", "Kosmopolitismus",
"amerikanischer Lebensstil", "politische Demagogie") und dann speziell
gegen die "Verflachungen" und die "in der Gesamtkonzeption nicht zu
übersehende Propaganda gegen den Osten" in "Staudtes peinlicher
Fehlleistung". Diese Urteile galten "Rose Bernd", der in der
DDR nicht verliehen wurde. Die Grenzgänger konnten, für eine kurze
Zeit, hier und dort arbeiten, aber es war eine Illusion, daß sie
"deutsche Filme" machen konnten, wie es sich z.B. Staudte gewünscht
hatte - sie stellten, gegen ihren Willen, west- oder ostdeutsche Filme
her, die oft nur in dem jeweiligen Teilstaat zu sehen waren.
Grenzposten
Den Verkehr über die Grenze kontrollierten staatliche Institutionen in
Ost und West. So kam kaum einer der Filme, die sich thematisch mit dem
Kalten Krieg befassen, im jeweils anderen Staat zur Aufführung. War
die Filmproduktion der DEFA wie das Verleihangebot in der DDR ohnehin
stark abhängig von den Entscheidungen der Partei und dementsprechend
auch überwacht, so trat in der BRD der "Interministerielle
Prüfungsausschuß für Ost/West-Filmfragen" in diese Funktion ein. Es
finden sich in der Literatur auch Hinweise auf die Tätigkeit eines
"Interministeriellen Bürgschaftsausschusses", der ebenfalls im Sinne
politischer Zensur tätig geworden sei. Er sollte auch kleineren und
mittleren Produzenten die Herstellung von Filmen über die Gewährung
von Bundesbürgschaften ermöglichen. Doch ließ dies auch die Kontrolle
über mißliebige Stoffe etc. zu:
Die Produzenten, die sich um eine Bürgschaft bemühten, werden
angehalten, das Drehbuch, den Kostenvoranschlag, sowie sämtliche
Verträge zur Begutachtung vorzulegen und während der Dreharbeiten ihre
Ateliers den Inspekteuren der Revisions- und Treuhand AG zu
öffnen.
(Klaus Kremeier - Kino und Filmindustrie in der BRD,
Kronberg 1973, S. 189)
In Kreimeiers Sicht offenbart sich hier der "Einfluß der
Monopolbourgeoisie", allerdings sind seine Beispiele mitunter nicht
unproblematisch. Als besonders skurrilen Fall führte er an:
So wird Harald Brauns Film "Das Herz der Welt" (1952), einer
Biographie der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Sutter, die
Ausfallbürgschaft verweigert, weil sogar sein verschwommener, stark
religiös bestimmter Pazifismus als der herrschenden militärischen
Ideologie abträglich erscheint; der Hamburger Real-Film, der auf
legalem Wege den Geschäftsverkehr mit der DDR aufgenommen hat, werden
die Kredite mit dem Hinweis gesperrt, es bedürfe keiner näheren
Begründung, daß und warum die Bundesregierung Bürgschaften für solche
Unternehmer nicht übernehmen kann, die nicht in der Lage sind,
schlüssig nachzuweisen, daß sowohl sie selbst wie auch ihre leitenden
Angestellten auf dem Boden der demokratischen Grundordnung der
Bundesrepublik stehen ... ; ein Filmprojekt der Hamburger
Kamera-Gesellschaft, für dessen Realisierung Wolfgang Staudte
verpflichtet wurde, wird durch ein Telegramm des
Bundesinnenministeriums mit dem Wortlaut "Zustimmung nur, wenn Staudte
unbefristet erklärt, nicht wieder bei der DEFA zu drehen" zunichte
gemacht.
(ebda, S. 189f)
Im Fall von "Herz der Welt" scheint eine Legende vorzuliegen:
Der Film "Herz der Welt" wurde auch in der DDR gezeigt. Er
wurde dort mit einem Prolog versehen, der von dem bedeutenden
Schauspieler Eduard von Winterstein gesprochen wurde. Darin heißt es,
daß der Bonner Regierung dieser humanistische Film unerwünscht sei,
denn sie unternehme alles, der Öffentlichkeit diesen Film
vorzuenthalten. (...) Harald Braun teilte übrigens von Winterstein in
einem freundlichen Brief vom 1. Juli 1954 mit, daß sein Film mit Hilfe
staatlicher Bürgschaften hergestellt worden und auf der Berlinale 1953
mit dem offiziellen Regierungspreis für gesinnungsbildene Filme
ausgezeichnet worden sei. Winterstein möge dies bitte den betreffenden
Stellen in der DDR mitteilen. Dieser Vorgang führte dazu, daß der
Interministerielle Prüfungsausschuß für Ost/West-Filmfragen anregte,
in alle Verträge mit der DDR solle der Passus aufgenommen werden, "ein
Film dürfe nur ohne sinnverändernde und sinnentstellende Zusätze dort
aufgeführt werden".
(Walter Euchner - Unterdrückte
Vergangenheitsbewältigung: Motive der Filmpolitik in der Ära Adenauer,
in: Gegen Barberei. Essays Robert M. W. Kempner zu
Ehren. Herausgegeben von R. Eisfeld und J. Müller, Frankfurt/Main
1989, S. 350)
Summarisch beurteilt Euchner die Tätigkeit des Bürgschaftsausschusses
als in der Regel nicht von politischen Gesichtspunkten motiviert -
"schlugen sie aber durch, so zeigten sich freilich die alten
ideologischen Orientierungsmuster".
Anders sah die Arbeit des Interministeriellen Prüfungsausschusses aus;
seine Arbeit als westlicher Grenzposten war politisch motiviert und
kann als willkürlich bezeichnet werden. 1950 verfügte der damalige
Bundesminister Lehr, Filme der DEFA dürfen nur mit seiner Zustimmung
vorgeführt werden; an die Stelle dieses Ukas trat 1954 besagter
Ausschuß, von dessen Entscheid es abhing, ob ein Film aus der DDR oder
anderen sozialistischen Ländern, den "Ländern hinter dem eisernen
Vorhang" in der Bundesrepublik zur Aufführung gelangen durfte oder
nicht. Die Tätigkeit dieses Ausschusses, und ebenso die der 1949
gegründeten "Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft" (FSK),
kann aus heutiger Sicht nur überaus skeptisch beurteilt werden. 1963
wies Reinhold E. Thiel in "Die Zeit", ein Jahr später erneut in "Die
Filmkritik", darauf hin, daß die Arbeit des Ausschusses
verfassungswidrig sei.
Das Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer
Verbringungsverbote vom 24. Mai 1961 in Verbindung mit der
Durchführungsverordnung vom 12. Oktober 1961 schreibt vor, daß jeder
aus den sogenannten Ostblockstaaten einzuführende Film dem Bundesamt
für gewerbliche Wirtschaft vorgelegt wird. Dieses Amt verweigert die
Einfuhrerlaubnis, wenn der Film geeignet ist, "als Propagandamittel
gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder gegen den
Gedanken der Völkerverständigung zu wirken". Der Interministerielle
Ausschuß wird im Gesetz nicht erwähnt, der Wirtschaftsminister hat
vielmehr das Bundesamt angewiesen, den Ausschuß hinzuzuziehen, wie er
auf eine kleine Anfrage der SPD erlärte. In der Praxis ist das
Bundesamt nur Vollstreckungsgehilfe, die eigentlichen Entscheidungen
trifft der Ausschuß: ein anonymes Gremium ohne Verfahrensordnung, daß
seine Entscheidungen nicht begründet und nicht veröffentlicht. Dieses
Verfahren erfüllt den Tatbestand der Zensur, weil eine Instanz der
Exekutive über die Zulässigkeit der "Verbreitung eines Geisteswerkes"
befindet.
(Reinhold E.Thiel - Obrigkeitszensur und Gruppenzensur,
in: Filmkritik Nr. 2, 1964, S. 68)
Tatsächlich wurde 1966 einer Klage vor dem Verfassungsgericht
stattgegeben und der Interministerielle Ausschuß stellte seine
Wachpostenarbeit ein.
Einreisevisa
Nicht nur gegen die Produkte von drüben mußten jedoch die Grenzen
möglichst undurchlässig gemacht werden, auch was hüben, auf
Freundesseite also, hergestellt wurde, fand während des Kalten Krieges
nicht immer, oder wenigstens nicht immer vollständig, den Weg ins
Kino. Die mit dem Kriegsende einsetzende Synchronisation, gängige
Praxis der Präsentation ausländischer, vor allem amerikanischer Filme,
ihrerseits durch geschäftliche Interessen der Filmindustrie
insbesondere der USA mitveranlaßt, gab die Möglichkeit an die Hand,
aus den Stories neue Bedeutungen zu gewinnen. Besonders bekannt wurden
die Eingriffe, die Michael Curtiz' Film "Casablanca" und
Hitchcocks "Notorius" widerfuhren. In beiden Fällen wurden
offenbar als störend empfundene Hinweise auf die Machenschaften
einerseits der Gestapo in "Casablanca", andererseits der nach
dem Krieg in Südamerika untergetauchten Nazis getilgt, und beide Male
entstanden "Krimis", denen jede politische Implikation ausgetrieben
worden war.
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Eine Flasche, in der Uran versteckt ist - oder doch
nur Heroin? "Notorius" oder "Weißes Gift"
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Noch eingreifender ging der deutsche Verleih mit einem Film um, der
von seinem Thema eigentlich hätte erwarten lassen, daß er auch ohne
Veränderungen der politischen Situation angepaßt gewesen wäre. Doch
George Setons "The Big Lift" erzählt nicht nur von der
Luftbrücke, mit der die Blockade Berlins überwunden wurde. Er verfügt
über einen Subtext, der für das amerikanische Publikum entscheidend
war und der dem deutschen offenbar nicht zugemutet werden
konnte. "The Big Lift" organisiert, in der Form eines
Unterhaltungsfilmes, mit spannenden, vor allem aber auch mit sehr
komischen Elementen, die Umorientierung des Feindbildes. Die
Deutschen, nun Bündnispartner, die Russen, nun die Feinde - um das
darzustellen bemüht der Film den Gegensatz zwischen einem jungen,
arglosen Luftwaffenfunker (gespielt von Montgomery Clift) und seinem
erfahrenen Freund, der in Tempelhof an der Radaranlage arbeitet und
die einfliegenden "Rosinenbomber" sicher hinunter geleitet (ihn spielt
Paul Douglas). Während Clift sich in eine deutsche Frau aufrichtig
verliebt (von der sich im Film herausstellt, daß sie ihn nur benutzen
will, um in die USA zu kommen, wo ihr deutscher Geliebter schon auf
sie wartet), behandelt Douglas alle Deutschen, einschließlich seines
"Fräuleins", mit Verachtung und rüder Aggressivität. Seine Erfahrungen
mit Deutschen sind die schlechtesten, er wurde in einem
Gefangenenlager gepeinigt, sein Mißtrauen bleibt. Allmählich beginnt
er jedoch, noch vor Clift, einen Lernprozeß, in dessen Verlauf er die
Unterschiedlichkeit der Deutschen wahrnimmt, sie nicht länger pauschal
als eine Volk von Verbrechern ansieht. Clift seinerseits, der den
Betrug seiner Freundin am Ende noch rechtzeitig durchschaut, gewinnt
ein weniger naives, und damit ein "realistischeres" Bild von den
Deutschen. Für die amerikanische Öffentlickeit arbeitet der Subtext
des Films mit Verweisen, die auf einen anderen besiegten Gegner
zielen: der Überraschungsangriff der Japaner auf Pearl Harbour, die
japanische Kriegsgefangenschaft sind die Menetekel, die vor einem
neuen Feind, dem ebenfalls alles zuzutrauen sei, warnen sollen. Damit
wird das Bild des ehemaligen Feindes differenziert, doch zugleich
exponiert die Handlung, wenn auch nicht in vollem Ernst (denn "The
Big Lift" bleibt ein Unterhaltungsfilm), den neuen Feind.
Diese Bezüge blieben dem deutschen Publikum verborgen. Allenfalls die
Korrespondenten-Berichte von den Aufführungen in den USA oder England
- hier finden vor allem die deutschen Darsteller Cornell Borchers,
Bruni Löbel, O. E. Hasse Interesse - lassen von der diffizielen
Ausrichtung des Films kaum noch etwas ahnen. Die deutsche Version
eliminiert den schnöden Verrat an dem naiven Amerikaner, die Frau ist
hier nicht mit jener taktischen Raffinesse ausgestattet, statt dessen
gibt es ein happy end. Diese Veränderung des ursprünglichen Filmes
wurde in der Presse nicht einmal erwähnt - vergleichbar den Fällen
"Casablanca" oder "Notorius", deren Umdeutung ebenfalls
nicht moniert wurde.
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Paul Douglas und die Schwierigkeiten beim Erklären
der demokratischen Spielregeln - "The Big Lift"
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Filme zum Thema
Dieser Film sieht weg, wo es um das wichtigste geht. Er rührt das
Grundthema der deutschen Gegenwart nicht an. Es ist, als läge ein Tabu
über diesem ganzen Bereich. Seit der Spaltung sind, sage und schreibe,
ganze drei Filme gemacht worden, in die das Thema hineinspielt:
"Postlagernd Turteltaube", "Weg ohne Umkehr", "Himmel ohne
Sterne". Und der letze von ihnen ist auch schon wieder fünf Jahre
alt", schrieb Friedrich Luf 1960. (zitiert nach Rolf Aurich -
Geteilter Himmel ohne Sterne, in : Kalter Krieg. 60 Filme aus Ost und
West. Herausgegeben von der Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin 1991,
S.31)
Das ist vielleicht nicht ganz zutreffend in der Anzahl der Filme - es
hätten auch noch "Die Spur führt nach Berlin" (1952, Regie
Franz Cap), "Vom Himmel gefallen" (1955, Regie John Bram) und
"Menschen im Netz" (Regie Franz Peter Wirth) erwähnt werden
können -, wohl aber in der Tendenz, die sich auch später nicht
änderte. Alles zusammengenommen gab es bis in die späten sechziger
Jahre viellleicht ein gutes Dutzend Filme, "in die das Thema
hineinspielt". Nicht grundsätzlich anders sah es in der DDR aus, wo es
allerdings einige Produktionen mehr sind, die sich thematisch auf den
Kalten Krieg beziehen; von Kurt Maetzigs "Roman einer jungen
Ehe" (1951) bis Rohland Gräfs "Die Flucht" kann man ein
halbes Duzend Produktionen mehr als im Westen veranschlagen. Dabei
handelt es sich um Spielfilme; die Ausprägungen, die der Kalte Krieg
in Dokumentarfilmen und Wochenschauen gefunden hat, sind
unberücksichtigt; ebenso die Filme, die den Kalten Krieg nicht
thematisieren, wohl aber, in ihren ganz anders gelagerten Handlungen,
die Strukturen, die Feindbilder übernehmen. So ist "Der Arzt von
Stalingrad" oberflächlich betrachtet ein Film, der von
Kriegsgefangenen in russischen Lagern handelt, doch sind die Mittel, mit
denen hier ein Gegensatz von zivilisierten Deutschen und unterjochten
bzw. unterjochenden Russen (so werden sie im Film immer genannt, wenn
auch die Wachmannschaften beim casting offenbar nach ihren asiatischen
Gesichtern ausgesucht wurden) aufgebaut wird, ganz vom Geist des
Kalten Krieges. Daß das Kind des Lagerkommandanten nur durch den
deutschen Chirurgen gerettet werden kann, das hat etwas vom neu
gewonnenen Glauben an die eigene Stärke, dem Vertrauen in das know how
der Wirtschaftswunderjahre - und es entscheidet den Ost-West-Gegensatz
so, wie es der Position der Offensive entspricht, die auch in den
thematisch eindeutigen Filmen feststellbar ist. Dagegen steht in den
Filmen der DEFA ein defensiver Grundton - von Beginn an setzt sich
dieser Ton gegen den üblichen positiven Schluß als das Entscheidende
durch.
Berlin Tiergarten
Ein Auto jagt die Straße entlang, in ihm ein Mörder auf der Flucht vor
der Polizei. Die Straße führt durch eine Ödnis - noch heißt sie nicht
"Straße des 17. Juni", nicht mehr "Siegesallee", den der Film "Die
Spur führt nach Berlin" ist von 1952. Im Tiergarten spielt auch
eine Szene aus "The Big Lift". Dort gehen Cornell Borchers und
Montgomery Clift spazieren. Sie bemerkt traurig, das hier einmal Bäume
standen und daß die Berliner an den Wochenenden gern hierher
kamen. Dann wird Clift auf die Skulpturen aufmerksam, die früher die
Siegesallee schmückten. Er weiß mit ihnen nichts anzufangen, fragt
deshalb bei seiner Freundin nach: Die erzählt ihm, wozu sie dort
einmal aufgestellt wurden - aber als Clift etwas spöttisch sagt, nach
"Sieg" sehe das alles nicht mehr aus, können die Zuschauer eine
zornige, allerdings sofort unterdrückte Reaktion der Frau bemerken,
die sie fortan von deren guten Absichten nicht mehr ganz überzeugt
sein läßt.
Der Tiergarten, ja, das ganze Berlin wirken in diesem Film nicht als
Kulisse, denn dieser ist bemüht, die sichtbare Zerstörung für die
Glaubwürdigkeit einer Story zu mobilisieren - er behandelt sie fast
dokumentarisch.
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Trümmerwelt, präsentiert in "The Big Lift"
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Anders in "Die Spur führt nach Berlin": hier
wirkt der Tiergarten durchaus kulissenhaft, so gut paßt er als
Umgebung für diese Verfolgungsjagd und von der Siegessäule aus gesehen
macht sie großen Effekt. Am Ende findet der Showdown im Reichstag
statt, dessen Ruine wiederum wie ein Film-Ort wirkt, mit den Graffitti
an den Wänden, den Schuttbergen im Innern und den Einschußlöchern auf
dem Dach.
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Dekorative Nutzung einer Kulisse: Der Reichstag als
Ort des Showdowns in "Die Spur führt naach Berlin"
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Im deutschen Film wirken die Schauplätze fast wie gefälscht, denn hier
steht die Spannung der Story im Vordergrund und legt sich wie ein
Schleier über die Trümmer. Wo denn könne die Geldfälscher-Bande ihr
Unwesen treiben, wenn nicht in einem fast zerstörten Haus, dessen
Keller zur geheimen Zentrale ausgebaut wurde? Das Genre
triumphiert. Produktionen aus der Bundesrepublik zeigen oft diese Nähe
zum Genre, sie versuchen, das Thema in Action aufzulösen, um der
vermuteten Unverkäuflichkeit des ungeliebten Sujets zu entgehen. Sie
befolgen damit eine Strategie, die auch Hollywood in seine Storys zum
Kalten Krieg häufig anwandte.
Die Auflösung in Action ist den Filmen seinerzeit oft vorgehalten
worden, da sie sich dem Ernst des Themas damit entzogen hätten. Doch
sind diese Filme durch die unterschwelligen Voraussetznungen für ihre
Action durchaus politisch, insbesondere die Fluchtgeschichten, die
sich um Begründungen nicht scheren mußten: daß jeder aus der DDR
fliehen wollte, davon gingen die Filme schlicht aus.
Wäre es nicht ohnehin in einige Dialoge eingearbeitet ("man müsse raus
aus diesem Gefängnis, es sei kein Leben möglich in einem Käfig"), so
gäben es allein die erzählten Storys preis: Westdeutschland produzierte
Gefängnisfilme, Genrekino mit weltpolitischer Bedeutung. So wie jeder
Gefangene das Verlangen hat, frei zu sein, unterstellt der Westen den
DDR-Bürgern selbstverständlich Gleiches. Der Übertritt in den Westen,
weil legal nicht möglich, muß so zur Flucht werden. Aus ihr, die aus
Bewegung besteht, wird Kino-Aktion. (Rolf Aurich, a.a.O., S.32)
Schon der vielleicht erste bundesdeutsche Film mit einer
Fluchtgeschichte handelt von einer Massenflucht. "Postlagernd
Brieftaube", 1952 von Gerhard T. Buchholz inszeniert, läßt die
Bewohner eines Mietshauses alle nach dem Westen fliehen. Sie bekommen
einen Warnbrief zugeschoben, fühlen sich nun in Gefahr, überwacht; es
bleibt nur eines, die Flucht. Dabei handelt es sich um eine gefälschte
Warnung, der Hauswart hat sie verschickt, weil er von seiner Schwester
aus dem Westen, die zu Besuch ist, zu hören bekommt, das jeder, der
solch einen Brief bekommt, fliehen werde - und es nicht glauebn
will. Der Film ist ein Machwerk, aber Buchholz, der auch zu "Weg
ohne Umkehr" (1953, Regie Victor Vicas) das Drehbuch schrieb,
formuliert eine Figur, die weiterverwendet wird. Auch in den späten,
nach dem Mauerbau entstandenen Filmen "Tunnel 28" (1962, Regie
Frank Wisbar) genügt der Entschluß von einem, damit viele folgen - in
den Westen.
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Auf der Flucht aber ertappt - "Tunnel 28"
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Stalin Allee
Dagegen sind die Filme über das Thema "Republikflucht" redselig, sie
müssen argumentieren, um das Dableiben zu propagieren, so das ihnen
Actionmomente ganz fehlen. Im Redeschwall und Begründungszwang dieser
Filme zeigt sich die Defensive besonders deutlich. "Roman einer
jungen Ehe" (1951, Regie Kurt Maetzig) ist hier der erste Film,
auch er findet später eine variierte Formel. Ein junges
Schauspielerehepaar macht nach dem Krieg harte Jahre durch in
Berlin. Die Teilung, die näher rückt und dann vollzogen wird, sie
trennt auch die Liebenden. Denn er will spielen, Karriere machen,
wofür er seine Ideale zu opfern bereit ist. Sie wirft ihm das vor, und
so scheinen sich die Wege in Richtung Westen und Osten zu
trennen. Doch während sie, im FDJ-Hemd, bei der Einweihung eines der
Häuser in der Stalin-Allee ein Gedicht auf den Namenspatron der Straße
vorträgt, erfährt er im Westen die Schlechtigkeit dieses Systems, das
doch nur auf Militarisierung aus ist. So zerstieben seine falschen
Illusionen, während sich ihre Ideen bewähren. Wichtig an diesem,
ebenfalls schlechtem Film, ist die Kopplung einer Liebesgeschichte mit
der Alternative Weggehen oder Dableiben. Wer nämlich "rüber macht",
der läßt eine große Liebe zurück. Meist allerdings kommt es nicht
dazu, kann das Schlimmste, nämlich die Trennung, noch einmal
abgewendet werden. So geschieht es in Heiner Carows "Das Leben
beginnt" (1959), in Maetzigs "Septemberliebe" (1962), in
Vogels "... Und deine Liebe auch", in Thiels "Der
Kinnhaken" (1962). Der Mauerbau, auch schon die Jahre vorher,
bringen eine Häufung dieser Filme, in Ost wie West. Zwischen 1959 und
1964 entstehen mindestens acht Filme mit expliziter
Kalter-Kriegs-Thematik in der DDR, sieben in der BRD. Offenbar wurden
die Spannungen so stark, das auch der Film sich nicht länger in dem
von Friedrich Luft beklagten Abseits halten mochte.
Brecht
Kaum war er tot, wurde er für den "Staat der Arbeiter und Bauern"
vereinahmt, auch im Film. Daß Hans einen im Grunde guten Charakter
hat, trotz zweifelhafter Westkontakte und des Abwerbungsversuchs als
Spion, signalisiert in Maetzigs "Septemberliebe" (DDR 1960) die
schöne Erstausgabe eines Buches von Brecht, das er besitzt und das die
liebe Franka bestaunt. Mag Hans auch etwas dekadent solche
Kostbarkeiten sammeln wie Öllampen, daß er Brecht schätzt, erweist: Er
steht auf der richtigen Seite. Deswegen kann Franka, die keinerlei
Verständnis aufbringen kann für die Ängste, die Hans nun hat, weil er
sich ertappt glaubt, ihm auch helfen, indem sie ihn
an die Stasi verrät. Sie nämlich, voller Vertrauen zu Hans wie zum
Staat, wendet sich an einen Offizier, der wie der nette Stasi-Onkel
von nebenan wirkt, um den Geliebten zu retten. Eine ganz unverhohlene
Propagierung staatstreuen Verhaltens.
Wer Brecht nicht mag, dem dagegen ist zu mißtrauen. In Carows "Das
Leben beginnt" (1969) gilt das für den Westler, den Cousin aus
reichem Haus, mit dem die nach Westberlin geflohene Erika nun geht -
er steht auf der falschen Seite. Das zeigt sich unter anderem nach
einer Aufführung des Berliner Ensembles. Es gab "Mutters Courage
und ihre Kinder", Helene Weigel spielt die Hauptrolle. Er lobt
recht blasiert das Können der Schauspieler, geht aber aufs
"Inhaltliche" gar nicht ein; das diskreditiert ihn. "Brecht" als
Nagelprobe: eine rethorische Figur aus DDR-Filmen. Eine andere
aktiviert Carow auch (und mit ihm tun das fast alle Regisseure, die
Teile des "Westens" zeigen): Der Cousin nähmlich ist zynisch, reich
und veranwortungslos. Immer wieder gibt es diesen Zynismus, gegen den
die Moral gestellt wird, den Reichtum, der gegen die Heimeligkeit der
kargen Küchen nicht bestehen kann, die Verantwortungslosigkeit, über
die Prinzipienfestigkeit triumpfiert.
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Der "Osten" aufgebaut im Westen: der Agitator
und die Bauern in "Flucht nach Berlin"
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Ku-Damm
Hitchkock war ein Freund ökonomischer Lösungen und so zeigte er von
der Schweiz die Alpen, von Holland die Windmühlen. Was er wohl im
Nachkriegsberlin als Signal für den Schauplatz der Geschichte
ausgesucht hätte? Für andere Filmemacher jedenfalls war der Ku-Damm
ein solcher Ort; er signalisiert "West-Berlin". Eine naheliegende
Entscheidung, weil die meisten repräsentativen Bauten ohnehin im Osten
lagen und der Rest in Trümmern.
Ku-Damm, das heißt die Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, der
Stern über der Stadt und vor allem: Läden. Das Ensemle, mit dem
Westberlin in den Filmen annonciert wird, besticht nicht
architektonisch, auch nicht durch seine Geschichte; diese "Straße ohne
Erinnerungen" ist die geschichtsloseste, hatte Siegfried Kracauser
schon Anfang der 30er Jahre geschrieben. Es besticht durch die Auslagen,
durch die Fülle in den Schaufenstern, nachts durch den Prunk der
werbenden Neonlichter. Die Konsummetropole, nichts könnte besser
charakterisieren , wie fragil das Selbstbildnis der Stadt sein mußte;
anderswo gab es Wahrzeichen, hier Waren-Zeichen.
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Die Warenwelt des Westens in "Postlagernd Turteltaube"
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Auf dem Ku-Damm treffen sich die entgegengesetzten Welten. In "Der
Weg ohne Umkehr" von Victor Vicas (1953) schlendert ein russischer
Ingenieur über diese Straße. In einer Bar sieht er zu wie Wolfgang
Neuss Kalauer über Russen produziert. Ivan Desny spielt den Ingenieur,
und wie er hier mit offenen, staunenden, manchmal auch skeptischen
Augen über den Boulevard des Westens geht, das bereitet schon seine
Umkehr, die Flucht nämlich, vor. Die wird ihm erleichtert, weil man
ihm unverblühmt zu verstehen gibt, daß der Spaziergang auf dem Kudamm
überwacht wurde und solche Ausflüge nicht gerne gesehen sind. Außerdem
stellt er fest, wie ein Arbeitskollege, der ihn anfangs aus einem
Mißverständnis für einen Spitzel hielt und sogar töten wollte, unter
den unsinnigen Forderungen leidet, die der Ingenieur nicht erfüllen
kann, weil das Material nichts taugt. Dessen Sohn ist "von der der
Dialektik" verblendet", so das die Eltern fliehen wollen, doch wird
der Mann ermordet. Und der ihn am meisten trietzte, der war früher bei
der Gestapo und ist deswegen für seine neue Rolle prädistiniert - es
ist die gleiche geblieben. (Dies ist überhaupt ein verbindender Zug:
die Nazis bevölkern in westlichen Filmen die DDR, während den in
östlichen Filmen die positiven Protagonisten immer schon
Antifaschisten waren, und die Nazis im Westen wirken). Nun ist es
Desny ganz klar, ihm bleibt nur die Flucht. Die Freundin geht mit ihm,
aber als er sie kurz allein läßt in der Pension, wo sie im Westen
untergeschlüpft sind, da holt sie der russische Kommissar und entführt
sie in den Osten. Die Fahrt zurück (und in den Tod) geht durch das
Brandenburger Tor, das vor dem Mauerbau oft als eindringliches Symbol
der Teilung gezeigt wird.
Anders sieht der Ku-Damm von der DDR her aus. Noch einmal triff sich
das Paar nach der Flucht des Mannes; sie folgt ihm nach West-Berlin,
es ist nicht ganz klar, ob es einen Besuch oder ein Bleiben meint. Im
Cafe Kranzler sitzen sie ganz allein im großen Raum, der von Licht
überstrahlt wird und so unwirklich aussieht, daß des Bleibens für sie
nicht sein kann: "Der geteilte Himmel" von Konrad Wolf (DDR
1964). Hier heißt es, "man ist auf schreckliche Weise allein", und die
Bilder belegen es.
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Auf schreckliche Weise allein - die Entfernung zwischen den
Liebenden im Cafe Kranzler - "Der geteilte Himmel"
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Die Dachwohnung, in der Liebe leben konnte;
"Der geteilte Himmel"
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Die Zeichen, die in den westlichen Filmen die Fülle und den Reichtum
bedeuten sollem, werden in den DDR-Filmen umgekehrt. Möglich ist das
nur durch die Abstraktion, die aus "wirklichen" Orten unwirkliche
macht. Oder durch eine plakative Montage, wie sie Heiner Carow in
"Das Leben beginnt" einsetzt, wo er Erikas Verwirrung durch die
sinnleeren Reize der westlichen Kultur verdeutlichen will. Im
Jazz-Keller tanzen die Jugendlichen wie hypnotisiert und seelenlos,
drohende Wirbel bilden sich aus den sonst so verführerischen
Neon-Reklamen. Manchmal geht dieser "abstrakte Westen" nicht auf, weil
die Fülle der Warenwelt bloß angedeutet werden darf. Und in
"Alaskafüchse" (Regie Werner Wallroth, DDR 1964) taucht im
vorgeblichen US-Stützpunkt nicht nur Meißner Porzelan auf; selbst die
Bewegungen der Schauspieler, die bemüht sind, amerikanische Lässigkeit
nachzuahmen, fallen so deutsch-bieder aus wie zu befürchten war.
Avantgarde
In John Brahms "Vom Himmel gefallen" (BRD/USA 1955) gibt es
einen running gag über die modernen Gemälde, die an den Wänden der
US-Botschaft in einem osteuropäischen Land hängen. Der neu
eingetroffene Soldat sieht sie mit Schaudern, kann aber gegenüber
Besuchern schon bald die Erläuterungen repetieren. Der Botschaft wird
manches in den Garten geworfen, was hinter dem Eisernen Vorhang keinen
Platz hat: Manuskripte, auch Partituren - einmal sogar ein Baby. Um
die Frage, ob dieser Erdenwurm für die Zivilisation gerettet werden
kann oder ausgeliefert werden muß, kreist die Story, die ein frühes
(und nicht besonders gelungenes) Beispiel für eine Komödie über den
Kalten Krieg ist. Der Feind des Säuglings und des Westens heißt
Kovacs; er kommt in die Botschaft, um das Baby zu fordern. Joseph
Cotten, der den Botschafter spielt, zeigt ihm eine Partitur, die ein
unterdrücktes Genie des Landes in den Garten der Botschft warf. Kovacs
spielt das Stück am Klavier, unwillig, bis er die Abneigung der
Amerikaner gegen die modernen Töne bemerkt - dann legt er sich ins
Zeug.
Was Brahm hier für einen komischen Effekt nutzt, demaskiert einen
aufschlußreichen Schwachpunkt in den Ideologien. Der Westen garantiert
die Freiheit der Kunst - bloß mag dort niemand die Moderne. Und die
Rechtdenkenden, ob Botschafter oder einfacher Soldat, fühlen sich
wohler, würden sie mit ihr nicht behelligt. Ihnen schiene ein Verbot,
wie es im unfreien Osten praktiziert wird, nicht besonders
bedauerlich. Wie rigide aber die antimodernistische Vorstellung des
guten Geschmacks, des gesunden Menschenverstandes ist, zeigt die
Unverfrohrenheit, mit der einige DEFA-Filme diese Vorurteile bedienen,
um ihre Message abzusichern. Maetzigs "Roman einer jungen Ehe"
(DDR 1952), ohnehin ein elender Film, zeigt die junge Schauspielerin
Agnes , die ein Engagement sucht. Ihr wird eine Rolle in einem Stück
Sartes vorgeschlagen; ihr Abscheu - "grünen Gallert" nennt sie das
Drama - qualifiziert sie in diesem Film zur Heldin.
Auch Carow weiß die Abwehrhaltung gegen die Moderne zu mobilisieren;
in "Das Leben beginnt" findet Erika in ihrem neuen Zimmer in
der Dahlemer Villa moderne Gemälde vor, die sie frösteln machen - dem
gleichfalls unangenehm berührten Publikum wird hier bedeute, für Erika
sei nicht jede Hoffnung vergebens. Und in Arthur Pohls
"Spielbankaffaire" (1956/57), wo ein vollständiges Inventar in
westlichem Design der 50er mit Neon-Bar-Beleuchtung, Mannequins auf
Tour an der Adria, Spielbanken und Presse-Intrigen einen wahrlich bunt
leuchtenden Westen vorführt, werden die modernen Gemälde an den Wänden
der größten Schurken wie selbstverständlich präsentiert, um das Bild
der Dekadenz zu vervollständigen.
Blick von außen
Robert Siodmak, Frank Wisbar, John Brahm waren Emigranten, die
zurückkehrten in ein geteiltes Land. Ihre Filme haben an der
Frontstellung teil, ihr Blick von außen ist keiner, der souverän
wirkt. Allenfalls bestimmte Partien in "Vom Himmel gefallen"
lassen so etwas ahnen. Sicherlich auch die Folge seiner
komödiantischen Anlage, denn der "Blick von außen", dem am
überzeugendsten eine Überwindung der Frontstellung gelang, ist eine
Komödie: Billy Wilders "One, two, three". Dieser Emigrant
scheut die Klischees nicht, im Gegenteil, er ließ fast keines
aus. gerade darin bewährte sich aber sein Witz, daß er keine Figur in
der Demolierung der Klischees unbehelligt ließ. Es gab in beiden
deutschen Staaten den Kalten Krieg der Unterhaltung. "One, two,
three" ist ein unterhaltsamer Film über den Kalten Krieg.
1996 Reimo Tiedemann