Medialist 20.97: Kein Votum vom SFB-Verwaltungsrat

Martin Recke (mr94@prenzlnet.in-berlin.de)
18 Apr 1997 10:06:59 GMT

Medialist 20.97: Kein Votum vom SFB-Verwaltungsrat
Hgg. von Martin Recke

        Themen dieser Ausgabe:
        - SFB-Verwaltungsrat verweigert Zustimmung zum
          SFB/ORB-Kooperationsvertrag
        - Grüne Medienpolitiker kritisieren Reiter-Konzept


SFB-Verwaltungsrat verweigert Zustimmung zum
SFB/ORB-Kooperationsvertrag -- "Klassik-Plus"-Welle mit dem NDR
gescheitert?  -- ORB fordert Votum vom SFB-Gremium

Der Verwaltungsrat des Senders Freies Berlin (SFB) hat seine
Zustimmung zum Kooperationsvertrag mit dem ORB verweigert.  In der
vorliegenden Form sah das von den beiden Intendanten Anfang März
paraphierte Vertragswerk vor, aus den beiden Kulturprogrammen SFB 3
und Radio Brandenburg (ORB) zwei neugestaltete Radioprogramme mit den
Arbeitstiteln "Radio Drei" (Wort-Kultur) und "Radio Eins"
(Tagesbegleitprogramm für die Altergruppe 25 bis 49) zu bilden.
Außerdem sollte gemeinsam mit dem NDR die Klassik-Welle NDR 3 unter
neuem Namen und mit regionalen Programmstrecken in Berlin und Teilen
Brandenburgs ausgestrahlt werden.

Dieses unter dem Arbeitstitel "Klassik-Plus" betriebene Vorhaben muß
inzwischen als gescheitert gelten.  Der Widerstand in den SFB-Gremien
gegen das Vertragswerk zielte auch darauf, die Kulturwelle SFB 3 in
unveränderter Form zu erhalten.  "Radio Drei" sollte nach den Plänen
der beiden Intendanten zu Lasten der klassischen Musik mit einem
höheren Wortanteil ausgestattet werden.  Dagegen hatte sich breiter
Widerstand geregt, unter anderem bei Personalrat und Gewerkschaften.
Im SFB-Verwaltungsrat wandte sich auch der Vertreter des Sportbundes
Marco Budde gegen den Vertrag, der familiäre Beziehungen zum
privat-kommerziellen Klassik-Radio hat, wie die "Tageszeitung"
berichtet.

Die Klassik-Welle wird in dem Vertrag, dessen Zustimmung von Seiten
des SFB-Gremiums weiterhin aussteht, zwar vorausgesetzt.  Es gibt
jedoch noch keine formelle Vereinbarung mit dem Norddeutschen Rundfunk
(NDR).  NDR-Intendant Jobst Plog erklärte am 17. April, es seien
bereits Umfang und Plazierung regionaler Fenster für Berlin und
Brandenburg verabredet worden.  "Bemerkenswert" sei noch ein weiterer
Punkt, sagte Plog: "Im Hamburg trifft der Intendant
Programmentscheidungen.  Dabei beraten ihn die Gremien.  Zumindest
letzteres scheint in Berlin völlig anders zu sein."

Beim SFB soll sich nun zunächst der Programmausschuß am 25. April mit
dem Kooperationsvertrag befassen und ein Votum abgeben, bevor sich der
Verwaltungsrat am 28. April in einer Sondersitzung erneut mit diesem
Thema befaßt.  Am gleichen Tag findet auch eine Rundfunkratssitzung
statt.  Eine öffentliche Äußerung des Verwaltungsrats, der nach der
SFB-Satzung der Kooperation zustimmen muß, und ein Votum des Gremiums
stehen noch immer aus.  Ob die Radiokooperation wie geplant zur
Internationalen Funkausstellung Ende August beginnen kann, ist unklar.

ORB-Verwaltungsrat: Vertrag muß in Berlin zur Abstimmung kommen

Einen dringenden Appell richtete der Vorsitzende des
ORB-Verwaltungsrats Markus Vette (CDU) in einer Sondersitzung am 17.
April an das SFB-Gremium.  Der Vertrag, der die ORB-Gremien überzeugt
habe, müsse auch in Berlin zur Abstimmung kommen, so Vette:  "Wir
müssen eindeutige Signale setzen und deutlich machen, daß wir ein
Konzept der Vernunft für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk
in der Region unterstützen."  Mit Blick auf die aktuelle Diskussion um
die Neuordnung der ARD gelte es, sich eindeutig zu positionieren und
keine Chance zu vertun.  Vette kritisierte, daß es an einem klaren
medienpolitischen Bekenntnis der Landespolitik fehle.

ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer bedauerte, daß der
SFB-Verwaltungsrat dem Vertrag in der vorliegenden Form skeptisch
gegenüberstehe.  Das paraphierte Papier sei in sich schlüssig und
würde auch eine Zusammenarbeit mit dem NDR zur Folge haben.  Er könne
sich nicht vorstellen, daß die Vorteile "gerade für den SFB" nicht
gesehen würden.  "Wir müssen gemeinsam alles Vertretbare tun, daß die
Kooperation nicht scheitert", so Rosenbauer.  ORB-Sprecherin Pia Stein
erklärte am 18. April gegenüber epd, es könne keine Nachverhandlungen
geben, bevor ein Votum des SFB-Verwaltungsrats vorliege.  Das Gremium
müsse sich zum Vertrag in der Form äußern, in der er vorliege.

An einigen Stellen seien SFB und ORB heute schon dem im Südwesten
vereinbarten Modell einer Zweiländeranstalt der ARD voraus, an anderen
ließe sich schnell ähnliches vereinbaren, erklärte Intendant
Rosenbauer zur ARD-Strukturdebatte und zur Fusion von SDR und SWF.  Er
forderte von den Landespolitikern in Berlin und Brandenburg, sich auf
die "großen Chancen" zu besinnen, die in der Gemeinschaft lägen.
"Statt auf Hilfe von außen zu hoffen und sich in neue Abhängigkeiten
zu begeben, müssen Berlin und Brandenburg bald aus eigener Kraft zu
einer regionalen Lösung kommen", so Rosenbauer.  (mr)


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Berlin: Grüne Medienpolitiker kritisieren Reiter-Konzept --
"Mißtrauenserklärung an die eigene Bevölkerung"

Die Vorschläge des ARD-Vorsitzenden Udo Reiter für eine Reform der ARD
stoßen weiter auf heftige Kritik.  Der sogenannte "Reiterplan" diene
der "Zentralisierung der bundespolitisch bedeutsamen
Hauptstadtberichterstattung" und sei "eindeutig parteipolitisch
motiviert", kritisierte die medienpolitische Sprecherin der
Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus, Alice Ströver, am 17. April vor der
Presse in Berlin.  Es komme einer "Mißtrauenserklärung an die eigene
Bevölkerung" gleich, so Ströver, daß der Berliner Regierungschef
Eberhard Diepgen (CDU) Plänen zustimme, nach denen die Kontrolle über
die Hauptstadtberichterstattung den Berliner Bürgern entzogen werden
solle.  

Ströver und der Vertreter von Bündnis90/Grüne im SFB-Rundfunkrat,
Jochen Esser, wandten sich gegen die Vorschläge des MDR-Intendanten
"in beiden Varianten":  In der ursprünglichen Fassung dieser Pläne
solle der SFB als eigenständige Landesrundfunkanstalt beseitigt werden
und in einer ARD-Gemeinschaftseinrichtung aufgehen.  Die zweite
Variante sieht nach Auffassung der grünen Medienpolitiker vor, den SFB
als regionale Rundfunkanstalt mit Hörfunk und dem Fernsehprogramm B1
zu erhalten, ihn aber nicht mehr am Ersten Programm der ARD zu
beteiligen.

Als "Steigbügelhalter der CDU/CSU-Politik" bezeichnete die
bündnisgrüne Medienpolitikerin Alice Ströver den MDR-Chef.  Er besitze
als befristet gewählter "Sprecher" der ARD keine Legitimation für die
von ihm gemachten Vorschläge und überschreite damit seine Kompetenzen.
Es sei richtig, ein Hauptstadtstudio "kräftig" zu etablieren, an dem
wie geplant als ARD-Gemeinschaftseinrichtung auch die anderen
Anstalten beteiligt werden.  Mit dem Reiter-Plan solle jedoch der Sinn
des Regierungsumzugs ausgehebelt werden, meinte Jochen Esser.  Den
konservativen Medienpolitikern gehe es darum, für die "Abschottung der
politischen Klasse" zu sorgen.  Es gelte vor allem, die "finanzielle
Erpreßbarkeit des SFB" zu beseitigen, um diese "parteipolitisch
motivierte Rechnung" nicht aufgehen zu lassen.

Die Bündnisgrünen sprachen sich für eine Fusion des SFB mit dem ORB
aus.  Damit entstünde in der Region eine Rundfunkanstalt der Größe des
Hessischen Rundfunks, die in der Lage ware, allen "Reiterspielen" zu
widerstehen.  "Wir sperren uns nicht gegen Strukturveränderungen",
betonte Ströver.  Sie könne sich auch vorstellen, Sachsen-Anhalt aus
dem MDR herauszulösen und in eine neue ARD-Anstalt mit Berlin und
Brandenburg einzubringen. Ausdrücklich unterstützten die beiden
Medienpolitiker den Vertrag zwischen SFB und ORB über eine
Hörfunk-Senderfamilie.  Dieser Vertrag hat im SFB-Verwaltungsrat keine
Mehrheit gefunden (siehe weitere Meldung in dieser Ausgabe).  (mr)


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