Give Me a Paper

Ein paar junge Musiker und die Weltgeschichte

V or der Tür des Al Hamras im Prenzlauer Berg können die Gaslaternen mit ihrem warmen Licht kaum die eisige Kälte überspielen. An diesem Donnerstag im November ist die Bar voller Menschen. Sie quatschen laut, lachen und blicken immer wieder erwartungsvoll zur Bühne. Ein Hauch von Orange liegt in der Luft und vermengt sich mit bunten Lichtern im Kellergewölbe. Es wird langsam wärmer. Drüben im Scheinwerferlicht richten sich die fünf Musiker von Give Me a Paper ein.

Ein Portrait dieser Band ist auf der einen Seite ganz trivial: Ein paar junge Berliner finden sich zusammen und musizieren. Dennoch sollten wir auch das große politische Weltgeschehen auf der anderen Seite sehen. Fangen wir im Kleinen an.

Alles beginnt im September 2015. Der Rapper Mohammad und die Gitarristin und Sängern Fritzi sollen auf einem kleinen Festival im Wedding auftreten. Anstatt sich abzusprechen, wie sie ihre Sets nacheinander spielen, laden sie Freunde ein. Mit Zaher (Violine), Ahmad (Percussion und Gesang) und Laura (Gitarre) fangen sie an zu jammen.

Jeder bringt unterschiedliche musikalische Einflüsse mit. Folk, Rap und Soufi vermischen sich zu einem außergewöhnlichen Sound. Den Organisator des Festivals überraschen sie. Statt alleine, treten sie gemeinsam auf.

Without a paper you are nothing. Mohammad

Ihrer neu gegründeten Band geben sie spontan den Namen Give Me a Paper – in Anlehnung an all die Papiere und Dokumente, die der Mensch im Laufe seines Lebens benötigt. Jedes Bandmitglied hat dazu seine und ihre eigene Geschichte. Zaher und Mohammad erzählen uns, was sie bewegt.

Zaher

S eine schwarzen Haare trägt er zu einem Zopf zusammengebunden, die Stimme ist ruhig und ernst. Überaus höflich und bedacht ist sein Auftreten, wohlüberlegt seine Antworten über seine Person. Für den damals 16-jährigen Zaher begann die musikalische Ausbildung zum Violinisten recht spät. Doch er schaffte nach wenigen Jahren den drittbesten Abschluss an seiner Hochschule in Homs in Syrien – eine Stadt, die seit drei Jahren Bürgerkrieg nicht mehr zur Ruhe kommt, in der Regierungstruppen die Aufständischen belagern – eine Stadt, in der sich Zaher nicht mehr sicher fühlte und seiner großen Leidenschaft nicht mehr nachgehen konnte. Seit April 2015 lebt er in Berlin.

Nur durch die Musik fühlt er sich ernst genommen, Zahers Aufenthaltsstatus in Deutschland definiert ihn als arbeitslos. Zur Zeit verdienen sie noch kein Geld mit der Band. Zaher wird nachdenklich, seine Miene verfinstert sich:

„Auf der ganzen Welt kommt es nur darauf an, was irgendwo über dich geschrieben steht – es geht nicht darum, was du in deinem Alltag bewältigst, oder wie du andere Menschen beeinflusst, sondern nur darum, was in deinen Dokumenten festgehalten ist“.

Sie sehen sich als Teil einer Gesellschaft, die nur darauf achtet, ob man durch seine Arbeit zu ihrem Wohlstand beiträgt und sich dem Wirtschaftsapparat unterwirft.

Für Zaher ist die Musik eines der wichtigsten Bestandteile seines Lebens.

Seit acht Jahren spielt er bereits Geige und entdeckte in Berlin verschiedene musikalische Projekte für sich. Jetzt konzentriert er sich auf die frisch entstandene Band Give Me A Paper.

Mit Musik kann Zaher sich ausdrücken. Viele Dinge sind für ihn unverständlich und fremd. Die Musik ist eine große Herausforderung, eine Herausforderung, der er sich gerne annimmt – weil er sie meistern kann. Durch sein Geigenspiel erfährt er ein positives Gefühl. Es gelingt ihm, seine alte Realität in Syrien aber auch seine neue Realität in Deutschland für kurze Zeit zu verdrängen.

Through music I can express things I don't understand. Zaher

Mohammad

E r weiß, was er sagt. Mit wachem, aber nachdenklichem Blick redet er mit uns bei einem Tee über seine Vergangenheit und das Leben in Berlin. Als Aktivist hat er in Syrien für die Freiheit gekämpft. Dafür kam er ins Gefängnis. Er hat bei vielen Demonstrationen mitgemacht und gespürt, wie stark der Kampf gegen Unterdrückung und Willkür die Menschen eint.

Im Interview erzählt Mohammad, dass er in Syrien mehrmals verhaftet wurde.

Weil Mohammad Aktivist ist, musste er raus aus Syrien, ins Exil gehen. In Deutschland ist er nicht, um dauerhaft zu bleiben, sondern um sich von hier für den Frieden einzusetzen. Das Rappen ist für ihn ein Weg, Gedanken und Ziele mit anderen zu teilen.

Wir reden mit ihm auch über die deutsche Gesellschaft. Der Einsatz für geflüchtete Menschen sei ein neuer Trend: Die UnterstützerInnen feierten – so sah es Mohammed – ausgelassen auf öffentlichen Protesten ihre Haltung, tranken, rauchten, tanzten. Bei einer Demo am Lageso applaudierten sie den in der Kälte wartenden Menschen zu, schüttelten Hände und machten Selfies. Er sah sie sich alle vor dem Lageso versammeln um lautstark ihre Forderungen zu verkünden. Und dann sah er sie weiterziehen. 13 Stunden hat Mohammad vor der Behörde gewartet – für ein Formular.

I'm not representing what you are willing to hear – I'm representing what I'm willing to do. Mohammad

Das Verhalten mancher Leute ist für Mohammad erniedrigend. Sie kommen auf ihn zu und sagen, dass sie sich viel besser für seine Bedürfnisse einsetzen könnten als er, erklären sich zum Sprachrohr aller Geflüchteten und zwingen ihm ihre Interpretationen auf.

Gut gemeinte Gesten können ihr Gegenteil bewirken. Zum Beispiel der Refugees Welcome Slogan. „Wissen die Leute eigentlich, was sie da tragen?“, wundert sich Mohammad. Das Logo mit der flüchtenden Familie war ursprünglich ein Warnschild an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze, à la "Achtung, Wildwechsel". Mit dem Welcome werde ihm vorgeführt, dass er nur ein Gast auf fremden Grund und Boden sei. Nur ein Bruchteil dieser Menschen helfe tatsächlich konkret, vor Ort, im Alltag.

"Give Me a Paper"

V on einem Projekt, das aus Spaß an der Freude entstand, zur politischen aufgeladenen Band. Das ist die große Geschichte, ob sie es wollen oder nicht. Um die Band entstand ein kleiner Hype. Denn es spielen nicht bloß fünf Berliner zusammen, sondern drei geflüchtete Syrer, eine Italienerin und eine Deutsche.

„Hurra, ein Flüchtlingsprojekt!“ Das passt gut ins Programm, denn es ist Flüchtlingskrise. Davon profitiert die Band. Aber sie hat keine Kontrolle darüber, in welchen Kontext sie gestellt wird.

Die Fünf kennen sich noch nicht lange. Vor zwei Monaten kamen sie zusammen, ihre Songs entstanden quasi auf der Bühne. Give Me a Paper trat schon oft auf. Zeit, sich näher kennen zu lernen, zusammen zu wachsen, gab es kaum.

Zaher und Mohammad philosophieren über die Bedeutung des Bandnamens.

Wir wollen ihnen auf Augenhöhe begegnen und versuchen, dem Stigma „Flüchtling“ auszuweichen. Doch auch in Bezug auf diese Band, kommen wir nicht um das Thema herum. Denn es geht um ihre Würde, sie wird ihnen jeden Tag genommen.

Als Mohammad in Tartus auf die Straße ging und „Freiheit“ und „Gerechtigkeit“ rief, spürte er das erste Mal seine Menschenwürde. In Deutschland hingegen ist sein Alltag bestimmt durch den zermürbenden Gang durch die Behörden. Jobcenter, Ausländerbehörde, anstehen, warten, Integrationskurs. Für einen Freiheitskämpfer ist das ein goldener Käfig. Er sei im Exil, da könne man die Wände noch so bunt anmalen, dann wäre es eben nur ein buntes Exil.

We think we belong to a universal culture. Mohammad

Mitfühlen, ohne die Bedeutung der Worte zu verstehen. Das gehe, sagt Mohammad, wenn Fritzi etwas auf Deutsch singt, spüre er den Schmerz. Mohammad rappt auf Arabisch über die syrische Revolution und die Anderen merken, dass er Solidarität braucht.

Mit Give Me a Paper verfolgen sie ihre Ziele und versuchen einfach Weltbürger zu sein. Sie spielen zusammen Musik und sind unmittelbar integriert. Ihre Revolution ist eine von unten. Sie holen sich ihre Würde zurück.









Impressum:

Autoren
Texte, Fotos, Video und Audio:
Leonard Kamps
Max Niederköppern
Stefanie Tendler

Video und Schnitt:
Sophie Bellmann

Ein Projekt des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin in Zusammenarbeit mit dem Medieninnovationszentrum Babelsberg (MIZ).





Potsdam, Berlin ­ November, 2015

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