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Online-Begleitartikel zur Sonderausstellung "Von der Evolution vergessen? - Lebende Fossilien


Die Metasequoia, ein zum Leben erwecktes Fossil

von Prof. Dr. Walter Jung

Institut für Paläontologie und Historische Geologie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Richard-Wagner-Str. 10
80333 München


Der "Urwelt-Mammutbaum" wie der gebräuchlichste deutsche Name für die Metasequoia lautet, ist gleich dem Ginkgo ein "lebendes Fossil" — aber in einem noch ganz anderen Sinne. Während dieser offenbar seit langem seinen festen Platz im Leben der Chinesen und Japaner hatte, gab keine schriftliche Überlieferung Kunde von der Metasequoia — bis zum Jahre 1941. In diesem Jahr stieß ein Wissenschaftler aus Nanking in Zentral-China auf einen ihm unbekannten Baum mit sommergrünen Nadeln. Zwischen 1944 und 1948 studierten chinesische und US-amerikanische Fachleute sein Vorkommen in den Bergen der Provinzen Sechuan und Hubei, das sich über annähernd 800 Quadratkilometer erstreckte. Bei der Untersuchung der Zapfen stellte sich sehr rasch heraus, daß der Neufund anders wie vermutet mit der in SE-China wachsenden Wasserkiefer Glyptostrobus nicht so sehr nah verwandt, vielmehr einer eigenen Gattung zuzurechnen war.


Nun wäre zwar das Entdecken eines völlig unbekannten bis 35 Meter hoch werdenden Baumes für sich allein schon eine botanische Sensation gewesen. Gleichsam das Salz in der Suppe war aber, daß man sich erinnerte an die Publikation des japanischen Botanikers und Paläobotanikers Miki, der kurz zuvor — zufällig auch wieder 1941 — aus dem Pliozän fossile Reste einer Metasequoia beschrieben hatte, wie er seinen Fund wegen gewisser Ähnlichkeit mit der Sequoia nannte. Diesem Tertiärfossil glich der als neu erkannte Baum aus China in allen wesentlichen Merkmalen. Daher war für letzteren schnell eine wissenschaftliche Bezeichnung gefunden: Metasequoia glyptostroboides. Damit aber nicht genug des Aufsehens!

 

Großes Bild: Metasequoia-Zweige; Alt-Tertiär, Spitzbergen; auch an den Zweigen stehen die Nadeln einander paarweise gegenüber; Nadellänge ca. 1,5 cm. Paläontologische Staatssammlung München. Photo F. Höck.

Zum Vergleich (kleines Bild): Zweig der Sequoia langsdorfii; Miozän, Türkei; Zweiglänge 6 cm. Paläontologische Staatssammlung München. Photo G. Bergmeier.
(Vergrößerung durch Klick auf Bild)

 

Bereits Miki konnte feststellen, daß etliche fossile Zweigreste, die einstens Oswald Heer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Spitzbergen unter dem Namen Sequoia disticha beschrieben hatte, ebenfalls wegen der Ähnlichkeit mit dem Immergrünen Mammutbaum Sequoia in Wahrheit Metasequoia-Zweige waren. In der Folgezeit merkte man dann immer mehr, daß der Urwelt-Mammutbaum — ausweislich vieler Fossilfunde — während der Oberkreide und des Alt-Tertiärs eine weitverbreitete Konifere war. Er muß damals in den Mischwäldern des nördlichen Amerika, Grönlands, des nördlichsten Europa — er fehlte weiter südlich —, in Sibirien und Ostasien ein dominanter Bestandteil gewesen sein. Viele der als Sequoia langsdorfii, der fossilen Vorläuferin unseres Immergrünen Mammutbaumes Sequoia sempervirens, bestimmten Fossilien mußten revidiert werden. Auch in der Münchner Sammlung liegen einige Stücke dieser Sequoia, gesammelt 1873 am Cap Lyell in Spitzbergen, die eindeutig zur Metasequoia disticha gehören.

So hat es also etwas für sich, wenn amerikanische Autoren im Falle der Metasequoia nicht von einem "living fossil" sprechen, sondern von einem "fossil that came to life".

 

Metasequoia glyptostroboides; Botanischer Garten München 1986. Photo F. Höck.
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Trotzdem paßt auf den Urwelt-Mammutbaum auch der Darwinsche Begriff. Nicht nur die in der Gegenwart bloß mehr eine einzige Art umfassende Gattung Metasequoia läßt sich in das Erdmittelalter zurückverfolgen, auch alle übrigen 15 Angehörigen der Pflanzenfamilie der Sumpfzypressengewächse (Taxodiaceae) erfüllen die Kriterien für "lebende Fossilien": Sie bewohnen ein enges Wildareal, die Gattungen sind extrem artenarm und die allermeisten waren im Mesozoikum und Känozoikum viel weiter verbreitet, was entsprechende Fossilfunde belegen. Wegen ihrer hellgrünen Nadeln und ihres raschen Wuchses, aber auch ihrer guten Klimaverträglichkeit hat die Metasequoia bei Baumschulen und Gartenbesitzern Gefallen gefunden, so daß sie heutzutage allenthalben zu bewundern ist. Der Urwelt-Mammutbaum ist somit mit Hilfe des Menschen in sein ehemaliges Verbreitungsgebiet zurückgekehrt, hat dieses sogar ausgeweitet. Hier spannt sich der Bogen zum Ginkgo, mit dem die Metasequoia während des Alt-Tertiärs, vor fünfzig, sechzig Millionen Jahren, im hohen Norden einmal den Lebensraum teilte.

 

Metasequoia-Zapfen; Alt-Tertiär, Montana/USA; am rechten Bildrand der Rest eines Ginkgo-Blattes; Zapfen samt Stiel 5cm lang. Paläontologische Staatssammlung München. Photo F. Höck.
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letzte Änderung 05.12.1998 durch R. Leinfelder Copyright