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Online-Begleitartikel zur Sonderausstellung "Von der Evolution vergessen? - Lebende Fossilien


Limulus - Der kleine, schielende Cyclop

(auch Hufeisen-Krebs, Königskrabbe, Seemaulwurf oder Pfeilschwanzkrebs genannt)

von Dr. Helmut Mayr

Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Historische Geologie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Richard-Wagner-Str. 10
80333 München

 

 


 

Auf den ersten Blick haben all diese Namen (Hufeisen-Krebs, Königskrabbe, Seemaulwurf oder Pfeilschwanzkrebs) miteinander nichts zu tun, aber in allen steckt der Versuch der anatomischen Kurzbeschreibung eines Tieres. Der kleine schielende Cyclop ist die Übersetzung des wissenschaftlichen Namens Limulus polyphemus, eine Anspielung auf die seitlichen Augen und das Stirnauge. Hufeisenkrebs (horseshoe crab) nennen ihn die Amerikaner wegen seines halbrunden Panzerteils bzw. der umgeschlagenen Unterseite, die dem Umriß eines Hufeisens ähnelt. Der Ausdruck Königskrabbe kennzeichnet seine die Krabben übertreffende Größe, Seemaulwurf bezieht sich auf seine schlammwühlende Tätigkeit, Pfeilschwanzkrebs zeigt den Besitz eines Schwanzstachels an, während Schwertschwanz die deutsche Übersetzung des lateinischen Namens Xiphosura ist.


Limulus ein lebendes Fossil ?

Die fremdartig anmutende Körperform dieser Tiere weckte schon früh das Interesse der Laien und Wissenschaftler. Es galt als wissenschaftliche Sensation, als 1822 im Oberjura die fossile Art Limulus walchi nachgewiesen werden konnte. Schon allein auf Grund der zeitlichen Differenz von 150 Millionen Jahren zu den heute lebenden Formen und der als gering geachteten morphologischen Unterschiede schien der Begriff des "lebenden Fossils" treffend und wird auch heute noch verwendet.

Mesolimulus walchi aus den Solnhofener Plattenkalken (150 Millionen Jahre). Körperlänge 6 cm. Paläontologische Staatssammlung München.

Um sich ein Urteil über fossile Limulus-Formen erlauben zu können, brauchen wir zunächst möglichst viel an Informationen über heute lebende Formen, weil sich hier eine Möglichkeit bietet, alle anatomischen und physiologischen Details zu studieren, um so Rückschlüße auf die fossilen Vertreter zu gewinnen. Um so interessanter für die Zoologen und Paläontologen, da sich in der Ontogenie eines Lebewesens Hinweise zur Entwicklungsgeschichte finden lassen.


 

Wissen um die heute lebenden Formen

Die heute noch lebenden Limulus-Formen sind auf verschiedene Meeresbereiche verteilt. Der amerikanische Pfeilschwanzkrebs (Limulus polyphemus.) bewohnt die atlantischen Küsten zwischen Maine und Yucatan, die beiden anderen Gattungen Trachypleus and Carcinoscorpinus (auch als Molukkenkrebse bezeichnet) sind dagegen auf die südostasiatischen Küstengebiete beschränkt.

Männliche und weibliche Tiere versammeln sich im Frühjahr an den Flachwasserküsten zur Fortpflanzung. Die kleineren Männchen umklammern das Abdomen der größeren Weibchen mit dem ersten hakenförmig gestalteten Laufbeinpaar während der Eiablage und besamen die in Sandmulden abgelegten Eier. Aus den 200-300, 2-3 mm großen Eiern entstehen zunächst 1 cm lange Larven, die im Sand graben und herumschwimmen. Sie haben zudem eine große Ähnlichkeit mit im Perm ausgestorbenen Dreilapperkrebsen, den Trilobiten. Die Larven besitzen noch keinen Schwanzstachel (Telson) und erst zwei der 5 Kiemenpaare sind vorhanden, nach einer weiteren Häutung kommen der Stachel und die restlichen Beinchen hinzu. Erneute Häutungen bringen die endgültige Form der Tiere, die nach weiteren Häutungen im 12. Jahr geschlechtsreif werden. Vorderhälfte (Prosoma) und Hinterteil (Opisthosoma) bilden jetzt einen gewölbten Rücken und schützen die an der Bauchseite befindlichen Scheren, Beinpaare, Kiemen und inneren Organe. Der Schwanzstachel dient als Hilfsmittel zum Wiederaufrichten, beim Eingraben, bei der Häutung sowie als Antrieb beim Fluchtschwimmen in Rückenlage.

Limulus polyphemus lebt in Ästuaren zwischen Maine und Yucatan, verträgt zwischen 11 und 36 Promille Salzgehalt, 12,50 - 28,50 Wassertemperatur und eine Tiefe von 50 m. Er lebt auch im Sand eingegraben, seine Bewegung am Meeresboden hinterläßt eine deutliche bis zu 30 m lange Spur, an dessen Ende man das eingegrabene Tier finden kann. Die südostasiatische Gattung Carcinoscorpius kann sowohl marine als auch Brack- und Süßwasserbereiche besiedeln, eine Umstand, den wir auch von fossilen Formen kennen. Die Nahrung der rezenten Formen besteht aus Muscheln, kleinen Fischen, Weichtieren, Würmern und Algen. Natürliche Feinde sind Schildkröten, die sich an den Weichteilen der Unterseite vergreifen und Seevögel, für die der Laich ein Leckerbissen ist. Daß im Magen eines Tigerhaies vor Florida vierzig Exemplare von Limulus gefunden wurden, scheint wohl die Ausnahme.


 

Stellung im zoologischen System und Belege

Die Limulus-ähnlichen Formen gehören im zoologischen System zur Ordnung der Schwertschwänze (Xiphosurida), einer bis ins Silur (440 Millionen Jahre) belegten Gruppe der Gliederfüßer (Arthropoden). Beschränken wir uns auf die Überfamilie der Limulacea, so reicht die Gruppe noch bis ins Perm (390-248 Millionen Jahre) zurück. Bei einer weiteren Unterteilung in drei Familien finden wir nur einen einzigen Vertreter der Palaeolimulidae, der auf das Perm beschränkt ist, die Familie der Mesolimulidae mit Psammonlimulus (Untere Trias), Limulitella (Untere bis Obere Trias, 250-210 Millionen Jahre) und dem fossil wohl bekanntesten Vertreter Mesolimulus (Oberjura, 150 Millionen Jahre) umfaßt vier Gattungen und letztendlich die Familie der Limulidae, zu der auch die drei anfangs erwähnten Gattungen gerechnet werden.

Ein gewisses Grundmuster (Kopfteil, Mittelteil und Schwanzstachel) ist bei allen fossilen und rezenten Formen vorhanden. Unterscheidungsmerkmale sind Form, Aufbau und spezielle Ausbildungen dieser Körperteile, so z. B. Stellung und Ausbildung der Augenhöcker und des Abdomens. Ganz generelle Entwicklungstendenzen zu den heute lebenden Formen sind Zunahme der Körpergröße sowie eine Verkürzung des hinteren Körperteils unter Verschmelzung der Körpersegmente.

 


Paläontologische Schwierigkeiten

Eine neuere zoologische Einteilung - basierend auf Körpersegmenten (Somiten), ihrer Zuordnung zum Bauplan, sowie primitiven oder fortgeschrittenen Merkmalen - unterscheidet drei Superfamilien. Nun ist sehr interessant, daß bei den heute lebenden Limuliden maximal 18 unterscheidbare Körpersegmente (im Embryonalzustand) vorhanden sind, so daß wir über die Larvenstadien bis hin zu den erwachsenen Tieren genau wissen, welche dieser Segmente den jeweiligen Körperteil der Ober- und Unterseite bilden.

 

Bei den fossilen Formen können wir aber nur solche als Körpersegmente definieren, die sich im Außenskelett als Füße, pleurale Rippen, bewegliche Stacheln oder andere Teile manifestieren. Etwaige Segmente, die an der Bauchunterseite lediglich als Nervenstränge bestehen, können natürlich nicht festgestellt werden. Wie aber sind diese 18 Körpersegmente, deren Reduktion, Konfusion, Unterdrückung und bauch- bzw. rückenseitig unterschiedliche Ausprägung ergeben, auf fossile Formen anzuwenden, wobei ein gewisses Grundschema - nämlich die äußere Erscheinung eines Limulus - aber ähnlich zu bleiben scheint ?

Somit hat der Paläontologe neben einer diffizilen Methode mit mehreren Schwierigkeiten zu kämpfen: einer zeitlich gesehenen lückenhaften und spärlichen Dokumentation sowie dem Erhaltungszustand (nur Teile des Tieres). So sind in einer möglichen frühen Entwicklungsreihe, die vom Devon bis ins Perm reicht, körperliche Entwicklungstendenzen festgestellt worden. Seitenstacheln des Opisthosoms veränderten sich von unbeweglichen zu beweglichen, umlaufende Augenleisten trennten sich und Achsialringe wurden reduziert, um nur drei von neun Beispielen zu nennen. Es fand also doch eine gewisse Veränderung des Bauplanes statt, die sich aber - gemessen an der Dreiteilung des Körpers - im Rahmen hält. Neuere anatomische und funktionsanalytische Untersuchungen an Mesolimulus haben ergeben, daß er ein ausgezeichneter Schwimmer war und Weichtierfresser gewesen sein muß, während der rezente Limulus als Bodenwühler und Muschelfresser gilt.

 


Verwandtschaften

Serologische Untersuchungen haben gezeigt, daß die heute noch im Indopazifik lebenden Arten Tachypleus gigas und T. tridentatus näher miteinander verwandt sind als mit Carcinoscorpius rotundicaudatus. Alle drei wiederum sind untereinander näher verwandt als mit dem amerikanischen Limulus polyphemus. Cladistische Untersuchungen haben ferner ergeben, daß der tertiäre Tachypleus decheni sowie die cretazischen Formen Limulus coffini und Casterolimulus kletti auch dem Indopazifischen Formenkreis angehören können, Mesolimulus walchi aber das Ergebnis einer anderen Entwicklungsreihe darstellt, aber beide Linien auf gemeinsame Vorformen im Zeitbereich Trias/Perm zurückgehen dürften.

 


Spuren und Mißverständnisse

Die beste Fossildokumentation - was Anzahl und Erhaltung betrifft - findet sich in den jurassischen Schichten von Solnhofen. Hier ist die Art Mesolimulus walchi in Tausenden von exzellent erhaltenen Tieren erhalten, an denen man die körperlichen Feinheiten erkennen kann, ja sogar dessen Laich ist in einigen Fällen bekannt geworden. Doch fast noch bekannter ist diese Form durch die Entdeckungsgeschichte und Deutung seiner Fährten geworden. Im feinen Kalkschlamm der ehemaligen Solnhofener Lagune hat Mesolimulus in Ausbildung und Größe unterschiedliche Fährten zurückgelassen, ohne daß zunächst der Verursacher bekannt war. Dies war wohl auch der Anlaß, daß die jeweiligen Autoren sehr unterschiedliche Lebewesen als Verursacher bemühten. Die Skala reichte von Amphibien über kleine, hüpfende Saurier, kriechende Flugsaurier bis hin zu kleinen Säugetieren. Ja sogar der Urvogel Archaeopteryx wurde dringend der Tat verdächtigt. Erst 1904 fand sich am Ende einer dieser Spuren der echte Verursacher, nämlich Mesolimulus. Seit 1938 weiß man aus Versuchen im Freiland und Laboratorien, daß all diese Spuren (als Kouphichnium bezeichnet) auf ihn zurückzuführen sind, da sie abhängig waren von der Größe des Tieres, von der Art des Schwimmens bzw. des Kriechens, der Wasserbedeckung und dem Wassergehalt des Kalkschlammes.

 


 

Wir und der Limulus

In letzter Zeit sind die amerikanischen Bestände auf Grund der Küstenverschmutzung stark zurückgegangen, so daß manche Zugvögel wegen des geringen Angebots an Laich an diesen Küsten keine Station mehr machen. Von einem einmaligen Versuch, die Tiere zu einzusammeln, zu zermahlen und als Dünger zu verwenden, ist man ebenfalls zurückgetreten. In medizinischer Hinsicht haben wir dem Limulus einiges zu verdanken. Sein Blut diente als Testsubstanz für menschliche Arzneien, als man entdeckte, daß dieses bei Zugabe von bestimmten Giften (Endotoxine) sofort gerinnt. Komplizierte Untersuchungen über sein Sehvermögen anhand von elektrischen Impulsen ermöglichten einen Ansatzpunkt zur Erforschung menschlicher Augenkrankheiten. Für seine Arbeiten auf diesem Gebiet, die wichtige Aspekte der generellen Sehfunktion lösten, wurde der amerikanische Wissenschaftler H. K. Hartline 1967 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet.

 



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letzte Änderung 14.12.1998 durch R. Leinfelder Copyright