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Online-Begleitartikel zur Sonderausstellung "Von der Evolution vergessen? - Lebende Fossilien


Von der Evolution vergessen?

Lebende Fossilien

von Prof. Dr. Volker Fahlbusch

Institut für Paläontologie und Historische Geologie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Richard-Wagner-Str. 10
80333 München


Leben mit einem Widerspruch

Lebende Fossilien - ist das nicht ein Widerspruch in sich? Fossilien sind die versteinerten Überreste ehemaliger, längst ausgestorbener Lebewesen aus der Geschichte der Erde, die in Jahrmillionen gezählt wird. Wie also könnten solche Organismen leben?

Kein geringerer als Charles Darwin hat von ihnen gewußt, und er war es, der in seinem 1859 erschienenen berühmten Buch "Von der Entstehung der Arten" bestimmte, sehr ursprüngliche Lebensformen erwähnte: "These anomalous forms may almost be called living fossils" - welche man also "fast als lebende Fossilien bezeichnen könnte". Das neuseeländische Schnabeltier Ornithorhynchus aus der Gruppe der eierlegenden Säugetiere, der Monotremata, und der südamerikanische Lungenfisch Lepidosiren mit den hochspezialisierten fadenförmigen paarigen Flossen waren für ihn markante Beispiele eines ganz paradoxen biologischen Phänomens. Als ein weiteres Beispiel, und zwar aus der Pflanzenwelt, hat ebenfalls schon Darwin den chinesischen Tempelbaum Ginkgo gekannt. Was haben diese Pflanzen und Tiere gemeinsam, und was ist so paradox an ihnen?

 

Charles Darwin (1809-1882): In seinem 1859 erschienenen berühmten Buch über die Entstehung der Arten beschrieb er auffallende, sehr ursprüngliche Organisationsformen aus der Tier- und Pflanzenwelt: "These anomalous forms may almost be called living fossils" - welche man also "fast als lebende Fossilien bezeichnen könnte".

 


Es gehört zu den allgemein anerkannten biologischen Grundkenntnissen, daß sich die Lebewesen im Laufe der erdgeschichtlichen Zeiträume ständig verändert haben. Wiederum war es Darwin, der dieser Erkenntnis in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu weitgehender Anerkennung verhalf. Er entwickelte nach langjährigen Beobachtungen auch eine Theorie, welche die Entstehung und Entwicklung neuer Lebensformen zu erklären versuchte - die Evolutionstheorie. An ihr, oder mindestens an vielen ihrer Details wird bis heute in fast allen biologischen Einzelwissenschaften noch immer gearbeitet. Aber es gibt inzwischen auch ein umfangreiches gesichertes Wissen über viele einzelne Vorgänge dieser Entwicklung der Organismen.

Da es sich bei der Evolution um einen Prozeß handelt, der in Zeiträumen von Jahrmillionen abgelaufen ist, spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. Und deshalb kommt neben den Erkenntnissen über die gegenwärtige Lebewelt, die wir der Zoologie und der Botanik verdanken, auch den Arbeiten der Paläontologen eine wichtige Aufgabe zu. Denn sie versuchen, aus den fossil überlieferten Resten von Pflanzen und Tieren aus der langen Geschichte der Erde gerade diesen zeitlichen Gesichtspunkt bei der Entwicklung der Organismen besser zu verstehen.

Aus der zeitlichen Verbreitung von Fossilien, zusammen mit ihrer räumlichen Verteilung, lassen sich zwei unterschiedliche Schlußfolgerungen ziehen, die für das Verständnis des eingangs erwähnten Widerspruchs in dem Begriff von den "lebenden Fossilien" wichtig sind. Einmal kann man mit Hilfe der Fossilien eindeutig belegen, daß die einzelnen Organismengruppen sich unterschiedlich schnell bzw. langsam entwickelt haben, und zum anderen, daß in den jeweiligen Abschnitten der Erdgeschichte und in bestimmten geographischen Regionen sehr verschiedene Tier- und Pflanzengruppen gelebt haben, von denen heutzutage viele überhaupt nicht mehr oder in stark abgewandelter Form existieren. Wir wollen diese beiden wichtigen Erkenntnisse ein wenig eingehender betrachten, ehe wir zu unserem "Widerspruch" bei den lebenden Fossilien zurückkehren können.

 

 

 

 

Die Erdzeitalter und die
Entwicklung des Lebens


Tempo, Tempo

Uns allen ist es so gründlich bekannt und geläufig, daß wir es kaum mehr wahrnehmen: das zeitliche Nebeneinander von sehr unterschiedlichen Tier- und Pflanzengruppen, heute genauso wie in der Erdgeschichte. Da leben einzellige Protozoen gemeinsam mit komplexen Weichtieren wie Muscheln oder Schnecken und mit hoch organisierten Fischen, oder Flechten und Moose kommen zusammen mit Nadelbäumen und spezialisierten Blütenpflanzen vor. Ein solches raum-zeitliches Nebeneinander von biologisch unterschiedlichen Organisationsformen ist das Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungsgeschwindigkeiten in den einzelnen Tier- oder Pflanzengruppen. Die bereits von Darwin als "lebende Fossilien" bezeichneten heutigen Lungenfische (wie etwa Lepidosiren in Südamerika) gab es - jedenfalls mit nahe verwandten Vorläufern - bereits in der Zeit des Devons vor 400 Millionen Jahren, und sie haben sich seither nur sehr wenig verändert. Hoch entwickelte Säugetiere, die Zeitgenossen jetziger Lungenfische dagegen gibt es erst seit wenigen Zehner Millionen von Jahren.

 

 

Mit erheblich verfeinerten Methoden der Altersbestimmung kann die Paläontologie heute zeigen, daß es in allen Kategorien der Tier- und Pflanzengruppen (also Arten, Gattungen, Familien und Ordnungen) ganz unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeiten gegeben hat und noch heute gibt. In dem unglaublich komplexen Vorgang der Evolution der Organismen ist jedoch der Faktor Zeit, und damit die jeweilige Entwicklungsgeschwindigkeit, nur einer von vielen, weshalb es hier nicht möglich ist, die Frage nach den Ursachen verschiedener Entwicklungsgeschwindigkeiten zu untersuchen. Zugegebenermaßen sind hier auch noch sehr viele Probleme ungelöst. Für uns ist es vorerst einmal ausreichend, den Tatbestand des unterschiedlichen Tempos in der Evolution einzelner Organismengruppen im Gedächtnis zu behalten.

 


zu Teil 2 des Artikels


 

letzte Änderung 08.12.1998 durch R. Leinfelder Copyright